Ukrainischer Getreideexport: Konzerngewinne sprudeln, der Hunger bleibt

Marktbeobachtungen von Hugo Gödde

Monatelang hielt der Getreidekorridor aus der Ukraine die Welt in Atem. Kommt er, hält er, inwieweit nutzt Putin Getreide als Waffe im Krieg gegen die Ukraine? Forciert der blockierte Export von der Schwarzmeerküste den Hunger vor allem in Afrika und manchen armen Ländern Asiens? Müssen Europas Bauern die Produktion steigern, um eine humanitäre Katastrophe zu begrenzen, wie im Frühjahr Agrarverwalter in Brüssel und Ackerbaufunktionäre mit drohender Miene im „Interesse der Menschlichkeit“ forderten?

Exportziele: 60% nach Spanien, China, Türkei, Italien und Holland

Seit Juli funktioniert nun der Transport aus Odessa und anderen Häfen am Schwarzen Meer. Damit wurden auch die Spekulationen im Welthandel eingedämmt und der Weltmarktpreis für Weizen und Mais sinkt. Allerdings geht der weitaus größte Teil der Getreideexporte nicht nach Afrika oder in arme Länder. 60% der Ausfuhren gingen nach Europa, China und Türkei. Wie das ukrainische Wirtschaftsministerium Anfang Januar mitteilte, liefen mehr als 600 Schiffe seit Beginn des Korridors aus mit 16,4 Mio. Tonnen Agrarprodukten. Die mit Abstand wichtigste Ausfuhren waren Körnermais als Tierfutter mit 7,7 Mio. t oder 45% der Menge. Weizen als Nahrungsmittel (oder auch als Futtergetreide?) hatte einen Anteil von 23% bzw. 4,8 Mio. Tonnen. Kleinere Mengen Sonnenblumenschrot, -öl und Rapssaat ergänzten den Handel.

Unter den Importeuren oder besser Abnehmerländern waren aber nicht die „Hungergebiete“ zu verzeichnen, sondern mit Abstand die großen Schweineproduzenten in Spanien (2,9 Mio.t) und China (2,7 Mio.t). Danach folgen die Türkei, Italien und die Niederlande. Diese TOP 5 nahmen 60% des Getreides ab. Erst dann folgt mit Ägypten der größte Weizenimporteur Afrikas vor Israel, Belgien, Tunesien. Nordafrika gehört zu den traditionellen Abnehmern der Ukraine. Deutschland hat 0,3 Mio. t Mais und Rapssaat gekauft, immerhin noch doppelt so viel wie das von Dürre geplagte Äthiopien.

Die ärmeren Länder Asiens und Afrikas, vor allem Subsahara, Sudan, Somalia, Kenia erhielten pro Land weniger als 1%. Die Einfuhrmenge dieser Staaten lag insgesamt unter 15% und wäre ohne die Unterstützung des UNO-Hilfsprogramms noch geringer ausgefallen. Die Preise, getrieben durch die reichen Importländer und deren Fleischproduktion, waren ohne UNO unbezahlbar und mit UNO immer noch sehr hoch für die Kaufkraft.

Keine Probleme auf dem globalen Markt? Wer hungert, ist selbst schuld.

Anders bewertet Oliver Balkhausen von Archer Daniels Midland (ADM) Deutschland die Lage des internationalen Agrarhandels. Der US-Konzern ADM ist Nr. 2 unter den fünf Multis im globalen Getreidehandel – neben Bunge, Cargill, Dreyfus und der chinesischen Cofco. Der Welthandelsanteil der „Big Five“ an den Agrarrohstoffen liegt bei 70 bis 80%. Die Konzerne besitzen Hochseeschiffe, Häfen, Eisenbahnen, Raffinerien, Silos, Ölmühlen und Fabriken – auch in der Ukraine. ADM Germany hat 2014 den bekanntesten deutschen Agrarhändler, die Töpfer International übernommen. „Der Markt für Agrarprodukte hat nach dem durch Russland erzwungenen Stopp der ukrainischen Agrarexporte weltweit überragend gut funktioniert,“ berichtete der Marktanalyst in Berlin. Die Sorgen, „die Ärmsten der Armen“ könnten nicht mehr ausreichend mit Nahrungsmittel versorgt werden, sei ein Märchen. Kurzfristige Lücken seien rasch durch andere Länder wie USA, Kanada, EU oder auch Russland gestopft worden, „angereizt auch durch rekordhohe Preise für Getreide und Ölsaaten“, so Balkhausen. „Die Mär, dass viele Regionen Nordafrikas, Sub Sahara Afrikas oder im Mittleren Osten unter ausbleibenden Importen aus der Ukraine leiden, entspricht nicht der Faktenlage.“ Natürlich herrsche z.B. in Ostafrika Hunger und die humanitäre Lage sei dort katastrophal. Das liege aber nicht an Problemen von Lieferketten oder an den „immer noch hohen Preisen“, sondern an Korruption, Bürgerkrieg, einer desaströsen Heuschreckenplage und fehlender Infrastruktur.
Tatsächlich ist durch die „schrittweise Normalisierung“ der Ukraine-Exporte (Balkhausen) der Weizenpreis von 400 €/t im Mai auf heute etwa 270 Euro Erzeugerpreis gefallen – etwa dem Vorkriegsniveau. In der Ernte 2021 lag Weizen aber bei 200 €/t.

Nur nebenbei: Wie ADM am vergangenen Donnerstag (26.1.) in Chicago mitteilte, hat der Gesamtkonzern seinen Gewinn im Geschäftsjahr 2022 bei starker Umsatzentwicklung (+19,5% auf 93,7 Mrd. €) auf einen neuen Rekord gesteigert. Dabei stieg der Nettogewinn um 60,1 % auf 4,0 Mrd. Euro.

Der Marktbeobachter schüttelt den Kopf. Der Markt funktioniert „überragend“, die Gewinne sprudeln wie ein Wasserfall. Und am Hunger sind die Länder selbst schuld. Krise, nein, alles normal?

Auch Afrika kann Getreide

Eine völlig andere Lehre zieht die Agrarkommissarin der Afrikanischen Union, Josefa Sacko aus der Getreidekrise. Wer lernen will, wie gutes Krisenmanagement funktioniert, solle nach Äthiopien schauen. Das ostafrikanische Land hat direkt nach dem Angriff auf die Ukraine begonnen, den eigenen Getreideanbau massiv auszuweiten und in Weizenproduktion zu investieren. Nach weniger als einem Jahr hat Äthiopien sich zum Getreideexporteur in andere afrikanische Länder entwickelt. Noch 2021 waren Getreide und Getreideerzeugnisse für Äthiopien die wichtigsten Importgüter. Außerdem seien Investitionen in die Lieferkette für Agrarprodukte notwendig. Dabei gehe es vor allem um die Vermeidung der immens hohen Nachernteverluste, die sich auf bis zu 40 % der Erzeugung beliefen. Wesentliche Ursachen seien fehlende Lagermöglichkeiten und die unzureichende Infrastruktur. Leider habe der Privatsektor in Afrika bislang kaum Interesse, in die Landwirtschaft zu investieren.

Auf der internationalen Konferenz in Berlin erklärte Sacko, dass in Afrika derzeit 60 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche ungenutzt sind. „Wir haben das Ökosystem, um Afrika zu ernähren“. Die ausfallenden Getreidelieferungen aus der Ukraine seien für Afrika eine Chance, die eigene Produktion auszubauen. Länder wie Ägypten, Algerien oder Tunesien und auch einige Subsahara-Staaten bekamen die ausgebliebenen Lieferungen und die Preissteigerungen allerdings besonders zu spüren.

Trotzdem sei der Ukraine-Krieg ein Anlass, um die Nahrungsmittelproduktion auf dem Kontinent neu zu bewerten. Die 45 Mrd. Dollar, die Afrika jedes Jahr für Lebensmittelimporte ausgebe, könnten stattdessen in die eigene Landwirtschaft fließen. Wenn die Produktion in Afrika gesteigert werde, könnten die Lieferungen aus Europa reduziert werden. Europa müsse dann seinerseits nicht zwingend über Produktionssteigerungen nachdenken.

31.01.2023
Von: Hugo Gödde

Von den Getreideexporten aus der Ukraine profitieren in erster Linie große Schweineproduzenten und Handelskonzerne. Foto: Mohammed Hijaz/pixabay