Der Blick in das Schweinemarktjahr gleicht einem Blick in die Glaskugeln. Selbst die größten Experten sind bei Voraussagen zurückhaltend, nachdem sie in den letzten Jahren oft deutlich „danebenlagen“. Ein vorsichtiger Optimismus scheint sich zu verbreiten, aber ob es mehr ist als ein Pfeifen im dunklen Wald, muss sich noch zeigen. Dahinter steckt die Hoffnung, dass der Abbau der Schweinebestände (auf Kosten der Schweinehalter!) inzwischen so weit fortgeschritten ist, dass Angebot und Nachfrage sich in den nächsten Monaten die Waage halten und die Preise sich an den Kosten orientieren können. Tatsächlich sind in 2022 fast 10% weniger Schweine produziert und geschlachtet worden (und 10% der Schweinehalter ausgestiegen!). Da auch der Verzehr um etwa 7% gesunken ist und die Importe rückläufig waren, steuert man allmählich „im Groben“ auf ein Marktgleichgewicht zu. Jetzt sind die Feinheiten entscheidend. Denn schon seit einiger Zeit haben wir es kaum noch mit einem Schweinemarkt, also einem Markt mit ganzen Schweinen zu tun, sondern mit einem Teilstückemarkt, also einem Markt für Schinken, Kotelett oder Bäuche. Die Wertigkeit bzw. Marktfähigkeit von Schinken im Winter, Nacken in der Grillzeit oder Bäuchen im Export markieren die Preise. Zugleich steigt die Bedeutung von europäischen Verschiebungen. Wenn also die Spanier ihre Produktion ausweiten oder die Holländer aus Stickstoff-/Nitratgründen weniger erzeugen oder die Dänen ihre Produktion einschränken oder mehr nach Osteuropa liefern, macht sich all das auf dem deutschen Teilstücke-Markt bemerkbar. Aktuell haben aber alle EU-Länder ihre Produktion reduziert und obgleich der Export schwächelt, gehen Branchenexperten allenfalls zeitlich und regional begrenzt von Mengendruck aus.
Kurzum ihr Fazit: Ferkel sind eher knapp und steigen langsam im Preis, Mastschweine müssen noch eine Durststrecke bis zum Frühjahr preislich durchhalten, bevor es „Luft nach oben“ geben kann. Die Schlachtzahlen werden nach den Erkenntnissen der Viehzählung eher zurückgehen. Schon jetzt sind die Erträge nicht mehr so rot wie seit Corona-Beginn. Auch für die Schweinehalter keimt Hoffnung auf. Endlich!
Krise bei der ITW = Pausentaste beim Tierwohl?
Zurzeit bewegen sich aber angesichts der Inflation die Verkaufszahlen für teurere oder Premiumprodukte im Rückwärtsgang. Das gilt besonders für die höheren LEH-Tierwohlstufen 3 und 4 (auch Bio). Aber selbst die niedrigste Handelsstufe 2 der Initiative Tierwohl (ITW) steckt mitten in der Krise. Dabei waren und sind die Selbstbewertungen der ITW äußerst vollmundig. Noch auf der Grünen Woche ist vom größten Tierwohlprogramm in Europa die Rede. Man sei mit hoher Beteiligung und Breitenwirkung auf Erfolgskurs. Als Beweis für das Interesse und die Anstrengungen vieler Landwirte an mehr Tierwohl und Tierschutz wurde die wachsende Zahl der Teilnehmer am Programm für den Einzelhandel vorgebracht. Mittlerweile profitieren jährlich 27 Mio. Schweine und 15 Mio. Ferkel davon, heißt es in einer Stellungnahme. Fast jeder zweite Schweinehalter nehme teil und der Marktanteil läge bei 68%. „Die ITW steht solide da, ist aber nicht unverwundbar“, warnte ITW-Geschäftsführer Römer.
Sandwichposition Schlachthof
Tatsächlich gehen Brancheninsider davon aus, dass nur etwa 20 der 27 Mio. Mastschweine als ITW-Fleisch vermarktet werden. Mehrere Gründe geben dabei den Ausschlag. Es werden wegen des Schweineabbaus auch weniger ITW-Schweine auf den Höfen real erzeugt. Andere werden zwar als ITW-Schweine beim Schlachthof angeliefert und auch mit den vereinbarten 5,28 €/ Schwein bezahlt, wenn der Schweinehalter mit dem Abnehmer einen Vertrag hat. Aber sie können nicht zu höheren Marktpreisen weitergegeben werden. Der abnehmende Schlachthof zahlt die fehlende Preisdifferenz aus eigener Tasche. Dieser Fehlbetrag kann sich je nach Größe des Schlachthofes/Schlachtkonzerns durchaus auf 10.000 bis zu 100.000 € belaufen - pro Woche! In der Folge haben mehrere Fleischwerke auslaufende (meist 1-jährige) Verträge im Herbst nicht verlängert. In der Branche spricht man von bis zu 20% der Verträge. Die Schlachtunternehmen begründen ihre „Fehlkalkulation“ von eingegangenen Verträgen und jetzt geringeren Verkaufszahlen mit dem geringeren Verbraucherinteresse, aber besonders auch der Nichteinhaltung der Absprachen und (schriftlichen!) Zusicherungen des Einzelhandels und des Discounts. Besonders Teile der Edeka-Gruppe gelten Brancheninsidern zufolge als „wortbrüchig“. Aber die ITW ist offensichtlich nicht stark genug, die Abweichler auf ihre Zusagen zu verpflichten.
Damit es nicht noch mehr werden und sich die Verluste der Schlachtindustrie nicht weiter anhäufen, hat die ITW nun beschlossen, die „Pausentaste“ zu drücken. Dadurch können Landwirte ohne Nachteile aus ihren Verträgen aussteigen, auf rein gesetzlichem Niveau (Stufe 1) weiterproduzieren und nach bis zu 8 Monaten wieder einsteigen, ohne ihre Mitgliedschaft zu verlieren. Damit soll der Markt der ITW-Stufe entlastet werden. Nach eigenen Aussagen nehmen aber bisher nur sehr wenige Betriebe diese Pausentaste in Anspruch. Die ITW erklärt es mit dem großen Vertrauen der Schweinehalter in das Programm und deren Zukunft.
Wenig Tierwohl
Erfahrene Landwirte und Schweineberater halten dagegen, dass die Kosten der niedrigen „Tierwohl“-Auflagen (10% mehr Platz, Einsatz von Raufutter) durch eine bessere Tiergesundheit und eine bessere Futterverwertung schon weitgehend ausgeglichen werden und die 5,28 € eher ein Zubrot fürs Management darstellen. Für einen erfahrenen Neuland-Bauern haben die geringen Anforderungen des ITW-Programms nichts mit Tierwohl zu tun, werden aber als breit wirksamer Tierschutz verkauft. Nicht umsonst läuft diese Stufe bei Özdemirs (und „Borcherts“) Haltungskennzeichen tendenziell als Auslaufmodell.
Insgesamt zeigt sich die Schwäche der jetzigen dritten Phase der ITW (2021-2024). Im Unterschied zu vorher bekommen die Tierhalter ihren Bonus nicht mehr von einem Fond, der vom LEH gespeist wurde, sondern vom Markt-Vertragspartner (Schlachtunternehmen, Viehhandel o.ä.), der sich den Aufpreis am Markt (LEH, Discount) wiederholen muss. Der Einzelhandel hat aber keinen Abnahmevertrag mit dem Fleischunternehmen, sondern eine Zusage bei der ITW unterschrieben. Für geringeren Verkauf übernimmt er keine Verantwortung. Der Schlachter bleibt in der „Sandwichposition“ mit schlechten Karten. Für Schweinehalter und Industrie ist das jetzige Modell ein Rückschritt.
Merke auch: Verträge müssen nicht nur unterschrieben, sondern auch durchgesetzt werden.
EU-Export (nach China) stark unter Druck
Trotz massiver Rückgänge des EU-Exports nach China hängt die Hoffnung in vielen europäischen Ländern am asiatischen Markt. Für die deutsche Schweinebranche hat sich seit dem Ausbruch der Asiatischen Schweinepest (ASP) im September 2020 dieser Traum zerschlagen. Bis dahin war die deutsche Fleischindustrie der größte Schweinefleischexporteur nach China, was in den Jahren 2019/2020 eine Goldgrube war. China hat in dieser Zeit über 200 Mio. Schweine durch die grassierende ASP im Land „verloren“, die durch Einfuhren ausgeglichen werden mussten und die deutsche Boulevardpresse um das Grillvergnügen bangen ließ (BILD- Schlagzeile: „Chinesen kaufen unser Grillfleisch weg“) Diese Goldgräberstimmung brach im Herbst 2020 binnen Tagen zusammen – zum Nutzen von Spanien, Dänemark und den Niederlanden, die den deutschen Teil bereitwillig übernahmen. Inzwischen hat China die Eigenerzeugung wieder normalisiert, so dass die Importe in 2022 um 50% fielen. Die genannten EU-Länder verloren zwei Drittel ihrer Exporte ins Reich der Mitte und drückten die Ware auf andere asiatische Märkte. Die EU-Schweinefleischausfuhren brachen trotzdem um 20% ein, die nun auf den europäischen Markt drängen. Aber immer noch waren die Preise in China höher als in Europa und die Margen „ordentlich“. Deutschlands Wettbewerber lachten sich ins Fäustchen – vor allem als im Herbst die Schweine in China knapp wurden und der Preis dort auf 4,80 €/kg stieg. Seitdem ist aber dort der Preis um 40% abgestürzt und der Import deutlich mengen- und preismäßig zurückgefahren. Spanische und dänische Fleischexporteure stöhnen unter dem Margendruck. In der Folge fluten sie mit Aktionspreisen den Markt, auch nach Deutschland. Dänemark und Holland haben die niedrigsten Preise in der EU und liegen 30 €/Schwein unter Deutschland, gesteht auch Danish Crown-Chef Valeur (DC hat 80% Marktanteil in Dänemark). Auffallend ist, dass die Erzeugerpreise dort am stärksten gesenkt wurden, wo die Marktkonzentration am höchsten ist (Vion in Niederlande und DC in Dänemark).
Für den deutschen Schweinemarkt ist es daher momentan schwierig, das Preislevel zu halten, obwohl deutlich weniger Schweine geschlachtet werden. Trotzdem erwarten Marktexperten, dass sich die Preise in den nächsten Monaten eher positiv entwickeln. Im knappen Angebot und Anspringen der Nachfrage sehen viele etwas Licht am Ende des Tunnels.
Der Marktbeobachter freut sich über ein wenig Hoffnung, warnt aber vor übertriebenen Einschätzungen aus den Statistiken. Der Schweinefleischmarkt hat sich in den letzten drei Krisenjahren gedreht. Was veränderte Verzehrsgewohnheiten, Produktionsabbau, Exportstau, hohe Kosten und Kaufzurückhaltung bewirken, ist schwer absehbar. Europaweit, ja weltweit, so analysieren Fachleute, ist es ein Blick in die Glaskugel.
Der Umbau der Schweinehaltung bleibt oben auf der Tagesordnung.