Neue Gentechnik: Politik und Verbände fordern Patentregelung

Pflanzenzüchter und Bauernverbände warnen davor, Pflanzen aus neuen gentechnischen Verfahren (NGT) zu patentieren. Auch einige EU-Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, haben der EU-Kommission deutlich gemacht, dass die geplante NGT-Verordnung die Patentierung mitregeln muss. Denn vom Europäischen Patentamt ist wenig Hilfe zu erwarten: Das hat die Vorgaben zur Patentierung von Pflanzen bisher im Interesse der Antragsteller extrem weit ausgelegt. Daher wurde zum 50. Geburtstag der Behörde vergangene Woche lautstark protestiert.

Derzeit sind Pflanzen, die mit neuen gentechnischen Verfahren (NGT) hergestellt wurden, patentierbar. Grundlage dafür ist die Biotechnik-Richtlinie, die generell erlaubt, gentechnisch veränderte Pflanzen und Tiere patentieren zu lassen. Schon jetzt gibt es zahlreiche Patente auf NGT-Pflanzen, obwohl kaum welche auf dem Markt sind. Aus diesem Grund warnt Jan Plagge, Präsident von Bioland, vor einer „Patentflut, die bäuerliche Betriebe und den Mittelstand in der Pflanzenzucht in noch größere Abhängigkeit zu den großen Agrochemie-Konzernen zwingt“. Seine Forderung: „Das Patentrecht muss überarbeitet werden, bevor das Gentechnikrecht angefasst wird.“

Auch Bundesagrarminister Cem Özdemir hat bei den aktuellen Beratungen über eine neue NGT-Verordnung in Brüssel deutlich gemacht, dass ein Ausufern von Patenten auf Nutzpflanzen verhindert werden muss. Der Deutsche Bauernverband hält es ebenfalls für „unabdingbar, eine Lösung in der Frage der Patente zu schaffen“. Der Verband der deutschen Pflanzenzüchter (BDP) warnt, NGT-Patente „könnten den Zugang zu neuen Technologien und biologischem Material, welches für die Züchtungsarbeit unverzichtbar ist, einschränken und dadurch den Züchtungsfortschritt massiv gefährden“. Deshalb müsse „eine schnelle, rechtsverbindliche Lösung geschaffen werden, nach der biologisches Material, das auch in der Natur vorkommen oder entstehen könnte, nicht patentiert werden kann“, forderte BDP-Geschäftsführer Carl-Stephan Schäfer.

Doch so schnell wird keine Lösung kommen. Denn dafür müsste die Biotechnik-Richtlinie der EU geändert werden. Dazu gibt es bisher offiziell nur die Zusage der EU-Kommission, ab 2026 über eine Änderung nachzudenken. Sollte in den Jahren nach 2026 die Patentierbarkeit von NGT tatsächlich eingeschränkt werden, würde dies nur für dann neu eingereichte Patentanträge gelten. Alle bis dahin eingegangenen Anträge würden vom Europäischen Patentamt (EPA) noch nach altem Recht entschieden. Und das könnte dazu führen, warnen Verbände, dass sich die großen Saatgutkonzerne zahllose natürlich vorhandene Pflanzeneigenschaften, etwa Krankheitsresistenzen, mit Hilfe von NGT-Patenten unter den Nagel reißen. Denn für ein solches Patent reiche es zu zeigen, dass sich die Eigenschaft mit Hilfe von Crispr/Cas erzielen lässt. Es würde also nichts neu erfunden, sondern lediglich eine bereits in der Natur vorkommende Mutation technisch nachgebaut. Das dafür erteilte Patent würde dann alle Pflanzen dieser Art mit der entsprechenden Eigenschaft umfassen, warnen Kritiker – selbst dann, wenn die mit NGT herbeigeführte Mutation natürlich entstanden ist und diese Pflanzenvariante schon lange existiert. Dies könnte dazu führen, dass Zuchtbetriebe und Landwirt:innen überraschend mit kostspieligen Patentansprüchen auf Pflanzen konfrontiert werden, mit denen sie bisher unbehelligt arbeiten konnten.

Um das zu verhindern, müssten in der Biotechnik-Richtlinie Patente auf NGT-Pflanzen verboten werden. Doch selbst das würde womöglich nicht ausreichend Schutz bieten. Dies zeigt ein Blick auf die derzeitige Patentierungspraxis EPA. Eigentlich ist es der Behörde längst rechtlich verboten, Patente auf Pflanzen aus herkömmlicher Züchtung zu erteilen. Trotzdem entwickele das EPA immer wieder neue juristische Begründungen, um dieses im europäischen Patentrecht verankerte Verbot zu umgehen, kritisiert das Bündnis „Keine Patente auf Saatgut!“. So hatte die Behörde im September einen konventionell gezüchteten Brokkoli der Bayer-Tochter Semenis patentiert. Das sei kein Einzelfall, so Johanna Eckhardt vom Bündnis: „2023 wurden bereits ein Dutzend weitere Patente auf konventionell gezüchtete Pflanzen erteilt, die Paprika, Melonen, Tomaten, Weizen, Spinat, Gurken, Zuckerrüben und Stevia betreffen.“ In einem im Juli vorgelegten Bericht schildert das Bündnis die dabei angewandten rechtlichen Tricks.

So genügt es für ein Patent bereits, wenn ein Unternehmen herausfindet, welcher Genabschnitt im Erbgut einer Pflanze eine erwünschte Eigenschaft hervorruft. Es meldet diesen als QLT (Quantitative Trait Locus) bezeichneten Abschnitt samt der Markergene, die dabei helfen, ihn im Erbgut zu finden, zum Patent an. Dieses Patent gilt – einmal erteilt – dann für alle Pflanzen einer Art, die diesen QLT enthalten. Beispielhaft erläutert „Keine Patente auf Saatgut!“ das anhand des 2022 erteilten Patents EP3560330 des deutschen Züchtungskonzerns KWS für einen besonders verdaulichen Mais.

Ein weiterer Trick ist es, Pflanzensamen zuerst einer nicht zielgerichteten Mutagenese zu unterziehen. Bei diesem in der herkömmlichen Züchtung üblichen Verfahren wird das Saatgut mit Chemikalien oder radioaktiver Strahlung behandelt, um viele Mutationen im Erbgut zu erzeugen. Ist darunter eine Mutation, die zu einer erwünschten Eigenschaft führt, reicht die Mutagenese bereits aus, damit ein Unternehmen die Rechte an dieser Pflanze (und alle anderen dieser Art bei denen diese Mutation vorkommt) beanspruchen kann. Denn dem EPA gilt die nicht zielgerichtete Mutagenese als technisches Verfahren, dessen Ergebnisse patentierbar sind. In einem Bericht der Bundesregierung vom September 2022 beschreibt das Bundesjustizministerium dieses Vorgehen des EPA und die Unlust der meisten europäischen Staaten, diesen Tricks einen Riegel vorzuschieben.

Eine leicht gekürzte Meldung des Informationsdienst Gentechnik.

11.10.2023
Von: lf/Informationsdienst Gentechnik