Die aktuelle Milchmarktkrise muss anerkannt und notwendige Gegenmaßnahmen müssen initiiert werden. In der europäischen Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) muss im Jahr 2023 eine zusätzliche Öko-Regelung für die Förderung von Dauergrünland und die Weidehaltung von Milchkühen beschlossen werden. Das haben Vertreter:innen des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter (BDM) e.V. und der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) e.V. vor dem Landwirtschaftsministerium in Kiel gefordert. Sie übergaben, begleitet von zwei Milchkühen, dem dortigen Landwirtschaftsminister und Vorsitzenden der heute beginnenden Agrarministerkonferenz (AMK) Werner Schwarz konkrete Ausgestaltungvorschläge. Verbände aus Natur- und Tierschutz unterstützten die Anliegen der Bäuerinnen und Bauern ausdrücklich.
Ursula Trede, BDM-Landesteamleiterin in Schleswig-Holstein, machte deutlich, dass die Bäuerinnen und Bauern von der AMK ganz konkrete Beschlüsse erwarten. „Warme Worte, Prüfaufträge und wolkige Absichtserklärungen reichen uns nicht. Wir brauchen schnelle Handlungen.“ Der EU-Milchmarkt befinde sich längst wieder in einer Krise, auch wenn die politisch Verantwortlichen dies nicht wahrnehmen wollten. „Bei rund 45 Cent/kg Milch liegen aktuell allein die variablen Kosten in Deutschland. Im Krisenjahr 2016 lagen sie noch bei 27 Cent. Ab diesem Preisniveau, das wir aktuell bereits wieder erreicht haben, geraten wir sehr schnell in massive Liquiditätsschwierigkeiten. Wer eine vielfältig strukturierte, bäuerliche Landwirtschaft erhalten will, kann nicht warten, bis sich der Markt durch Betriebsaufgaben sozusagen selbst „bereinigt“. Eine nennenswerte Reduktion der Tierzahlen durch die Hintertür, die sich manche davon versprechen mögen, garantiert dieses Vorgehen jedenfalls nicht. Eine verstärkte Konzentration und Intensivierung dürften eher die Folge sein, das zeigen die Entwicklungen der vergangenen Jahre“, erklärte Ursula Trede. Von Minister Werner Schwarz erwarten die Verbände, dass er zusammen mit seinen Ministerkolleg:innen Bundesminister Özdemir beauftragt, sich auf EU-Ebene dafür einzusetzen, dass das in der Gemeinsamen Marktorganisation ausdrücklich zugelassene Instrument des Freiwilligen Lieferverzichts gegen Entschädigung aktiviert wird.
Milchbäuerin Kirsten Wosnitza übergab als Vertreterin der AbL Schleswig-Holstein einen gemeinsamen Vorschlag von Verbänden aus Landwirtschaft, Natur- und Tierschutz zur Einführung einer zusätzlichen Öko-Regelung für die Honorierung von Dauergrünland und Weidehaltung von Milchkühen und forderte deren umgehende Umsetzung. „Der hohe ökologische und gesellschaftliche Wert von Grünland und Weidehaltung ist vollkommen unstrittig. Die Benachteiligung von Grünlandbetrieben in der neuen GAP ebenfalls. Worauf warten die Minister:innen der Länder und des Bundes eigentlich? Die zusätzliche Öko-Regelung muss noch in diesem Jahr beschlossen werden, damit sie 2024 auf unseren Höfen und Weiden umgesetzt werden kann“, erklärte Wosnitza.
Die Vorschläge und Forderungen AbL und BDM werden von vielen weiteren zivilgesellschaftlichen Gruppen mitgetragen und sind in einer gemeinsamen Stellungnahme zusammengefasst. Vertreter:innen dieser Gruppen äußern sich wie folgt:
Dr. Pia Turowski, Sprecherin Landesarbeitskreis Land und Natur BUND Schleswig-Holstein: „Eine in der Intensität angepasste Weidehaltung ist die eierlegende Wollmilchsau der nachhaltigen Landwirtschaft. Sie dient sowohl Tierwohl und Biodiversität als auch Gewässer-, Klima- und Bodenschutz. Außerdem prägt sie unsere Kulturlandschaft.“
Martin Hofstetter, Landwirtschaftsexperte bei Greenpeace Deutschland: „Weder Bundeslandwirtschaftsmister Özdemir noch die LänderministerInnen setzen sich bisher ausreichend für Milchviehbetriebe ein, die ihre Kühe auf die Weide bringen. Obwohl die Weidehaltung besonders artgerecht, ökologisch wertvoll und klimafreundlich ist, geht sie seit Jahren zurück. Der Bund muss jetzt mit einem starken Grünland-Weideförderprogramm die Trendwende einleiten. Es gibt ausreichend EU-Gelder, die dafür genutzt werden können.“
Frank Lenz, Vorstandsvorsitzender MEG Milch Board w. V.: „Wenn Weidehaltung ein gesellschaftliches Ziel ist, müssen auch die Mittel dafür zur Verfügung gestellt werden, so dass die Milchbäuerinnen und -bauern dieses Ziel umsetzen können. Laut unserer Studie „Tierwohl für Kühe - bezahlbar“ sind das je nach Region von 5,55 Cent bis 7,34 Cent pro Kilogramm Milch. Die Voraussetzung, dass Bäuerinnen und Bauern diesen Mehrwert durchsetzen können, sind mit der Umsetzung des Art. 148 zu schaffen.“
Jörg-Andreas Krüger, Präsident beim Naturschutzbund Deutschland (NABU): „Kühe auf der Weide werden in erster Linie für die Milchproduktion gehalten. Dass an ihren Ausscheidungen jedoch ein ganzes Nahrungsnetz von einer großen Vielfalt an Insekten, Feld- und Wiesenvögeln und Säugetieren abhängt, ist den wenigsten bekannt. Die Agrarministerkonferenz muss sich jetzt für eine faire Honorierung der Weidehaltung in der deutschen GAP-Förderung stark machen.“
Valerie Maus, Vorstandsvorsitzende PROVIEH e.V.: „Für eine artgemäße Tierhaltung gehören Tiere auf die Weide! Die Möglichkeit zum artgemäßen Verhalten beim Laufen, Liegen und Grasen sowie eine wiederkäuergerechte Fütterung sind gelebtes Tierwohl und sollten an Stelle der ganzjährigen Stallhaltung flächendeckend zu Grundpfeilern landwirtschaftlicher Tierhaltung werden. PROVIEH fordert die Politik im Namen des Tierschutzes auf, schnellstmöglich eine Förderung der Weidehaltung umzusetzen!“
Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes: „Nur wenn Rinder Weidegang erhalten, kann man von einer tiergerechten Haltung sprechen. Auf der Weide können sie ihre natürlichen Verhaltensweisen am besten ausüben und sie leiden seltener an Euterentzündungen, Klauenerkrankungen und Lahmheiten. Wann immer die Witterung es zulässt, sollten Rinder deshalb auf die Weide – oft ist das von April bis Oktober möglich. Die Haltung von Milchkühen auf der Weide muss gefördert werden.“
Christoph Heinrich, geschäftsführender Vorstand beim WWF Deutschland: „Es ist im Interesse des Gemeinwohls, dass Landwirtinnen und Landwirte dabei unterstützt werden, ihre Tiere auf der Weide zu halten. Sie bewahren artenreiche Wiesen und Weiden und leisten damit einen großen Beitrag zum Natur- und Klimaschutz. Weidehaltung tut auch den Tieren gut und trägt zur Stabilisierung landwirtschaftlichen Einkommens bei. Umweltschutz und Landwirtschaft profitieren somit gleichermaßen.“