Die 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) werden wohl am 16.11. darüber entscheiden, ob der Unkrautvernichter Glyphosat weitere zehn Jahre auf hiesigen Äckern versprüht werden darf. In einer aktuellen Langzeitstudie mit Ratten haben Herbizide mit diesem Wirkstoff in mehreren Fällen Leukämie ausgelöst. Und zwar in Dosierungen, die bisher von den Genehmigungsbehörden für unbedenklich gehalten wurden. Grund genug, die Notbremse zu ziehen?
Seit mehreren Jahren arbeitet das italienische Ramazzini Institut zusammen mit mehreren internationalen Forschungseinrichtungen an einer umfassenden Glyphosat-Studie, der Global Glyphosate Study (GGS). Auf einer Tagung präsentierten die Forschenden nun erste Ergebnisse. Sie zeigen, dass glyphosathaltige Unkrautvernichter Leukämie auslösen können – zumindest bei Ratten. Die Tiere erhielten zwei Jahre lang täglich entweder den reinen Wirkstoff oder ein glyphosathaltiges Herbizid. Verwendet wurden dabei das in Europa zugelassene Spritzmittel Roundup BioFlow oder das in den USA eingesetzte Ranger Pro. Verschiedene Tiergruppen erhielten von den Substanzen über das Trinkwasser jeweils 0,5, 5 oder 50 Milligramm je Kilogramm Körpergewicht und Tag. Die Menge von 50 Milligramm entspricht der Konzentration, bei der nach Angaben der EU-Lebensmittelbehörde EFSA in Tierversuchen mit Glyphosat bisher keine negativen Effekte beobachtet wurden. Abgeleitet davon gilt in der EU die Menge von 0,5 Milligramm Glyphosat je Kilogramm Körpergewicht als akzeptable tägliche Aufnahme durch den Menschen.
In der Studie erkrankten in der Versuchsgruppe, die 0,5 Milligramm reines Glyphosat pro Kilo Gewicht erhielt, zwei von 102 Tieren an Leukämie. In den Gruppen mit 5,0 und 50 Milligramm war es jeweils eins von 102 Tieren. Beim Spritzmittel Ranger Pro waren es in den drei Gruppen eins, zwei und vier Tiere; bei Roundup traten in der 50 Milligramm-Gruppe drei Leukämiefälle auf. Als besonders bedenklich bezeichnete es Studienkoordinator Daniele Mandrioli, dass bei der höchsten Dosierung die meisten Fälle schon im ersten Lebensjahr der Tiere auftraten. „Diese Ergebnisse sind von so großer Bedeutung für die öffentliche Gesundheit, dass wir beschlossen haben, sie jetzt … zu präsentieren. Die vollständigen Daten werden in den kommenden Wochen öffentlich zugänglich gemacht und zur Veröffentlichung in einer wissenschaftlichen Zeitschrift eingereicht“, sagte Mandrioli.
Einfließen könnten diese Ergebnisse in die anstehende Entscheidung über die erneute Zulassung von Glyphosat in der EU. Am 16. November stimmen die EU-Mitgliedstaaten im Berufungsausschuss über den Vorschlag der EU-Kommission ab, das Totalherbizid für weitere zehn Jahre zu erlauben. Dieser Termin wurde notwendig, weil es im Oktober im zuständigen Ausschuss (ScoPAFF) keine qualifizierte Mehrheit für diesen Vorschlag gab. In einer Zusammenfassung der damaligen Diskussion schreibt die EU-Kommission, die meisten Mitgliedstaaten hätten sich eine Neuzulassung sogar für 15 Jahre gewünscht. Doch eine qualifizierte Mehrheit, bestehend aus 55 Prozent der Mitgliedsstaaten die gleichzeitig 65 Prozent der EU-Bevölkerung vertreten, kam nicht einmal für den Zehn-Jahres-Vorschlag zustande. Wie berichtet hatte Österreich, Luxemburg und Kroatien dagegen gestimmt; Frankreich und Deutschland sowie Bulgarien, Belgien, Malta und die Niederlande hatten sich enthalten.
Ob diese blockierende Minderheit erhalten bleibt, wird wesentlich vom Abstimmungsverhalten Frankreichs abhängen. Das Land hatte seine Enthaltung im Oktober damit begründet, dass Glyphosat nur in Fällen angewendet werden sollte, in denen es keine Alternativen gebe. Diese Regelung dürfe die Kommission nicht auf die Mitgliedstaaten verlagern. Da der Kommissionsvorschlag unverändert abgestimmt werden wird, spricht wenig dafür, dass Frankreich diesmal anders votieren wird. Deutschland wird einer weiteren Zulassung nach Angaben einer Sprecherin wieder nicht zustimmen. Angesichts des anhaltenden Dissenses in der Ampelkoalition zu dem Thema dürfte es also erneut auf eine Enthaltung hinauslaufen. Das trug dem grünen Landwirtschaftsminister Cem Özdemir bereits reichlich Kritik ein, zuletzt vom Bio-Dachverband BÖLW. Auf einer Branchentagung vergangene Woche forderte die BÖLW-Vorstandsvorsitzende Tina Andres das Ministerium auf, bei wichtigen Themen wie Glyphosat und Gentechnik auf europäischer Ebene nicht stumm zu bleiben, sondern Haltung zu zeigen.
Sollte sich im Berufungsausschuss wieder keine qualifizierte Mehrheit gegen den Plan der EU-Kommission finden, wird diese Glyphosat voraussichtlich alleine bis 2033 zulassen. Bis zum 15. Dezember muss eine Entscheidung fallen, da dann die geltende Zulassung ausläuft. Das EU-Parlament (EP) kann dazu nur Empfehlungen aussprechen und ist zudem selber uneins. Im Umweltausschuss des EP scheiterten im Oktober sowohl eine Resolution, die die Kommission aufforderte, Glyphosat weiter zu genehmigen, als auch eine, die verlangte, es nicht erneut zuzulassen. Das europäische Pestizidaktionsnetzwerk PAN und andere Umweltorganisationen forderten die EU-Kommission auf, angesichts der vorgelegten Leukämie-Studie ihren Zulassungsvorschlag zurückzuziehen. „Diese qualitativ hochwertige Studie bedarf der vollen Aufmerksamkeit der europäischen Behörden, da sie alarmierende neue Beweise liefert, die frühere Erkenntnisse über die krebserregende Wirkung von Glyphosat im Lymphsystem bestätigen, die in Studien an Mäusen und in epidemiologischen Studien am Menschen festgestellt wurden“, sagte der Toxikologe Peter Clausing für PAN.
Eine Meldung des Informationsdienst Gentechnik.