Positive Glyphosat-Beurteilung der EFSA löst heftige Kritik und Klageankündigung aus

Nach Ansicht der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) bestehen aus wissenschaftlicher Sicht keine grundsätzlichen Bedenken gegen eine erneute Zulassung des Herbizidwirkstoffs Glyphosat. Einen Freifahrtschein für das Totalherbizid sieht darin der BUND und die Deutsche Umwelthilfe (DUH) kündigt eine Klage noch im Juli an. Der grüne EU-Abgeordnete Martin Häusling vermutet „Augenklappen oder Ignoranz“ bei der Behörde. Begrüßt wird die EFSA-Beurteilung vom Bauernverband.

„Bei der Bewertung der Auswirkungen von Glyphosat auf die Gesundheit von Mensch und Tier sowie auf die Umwelt wurden keine kritischen Problembereiche festgestellt. Einige Datenlücken werden in den Schlussfolgerungen der EFSA als Fragen, die nicht abschließend geklärt werden konnten, oder als offene Fragen aufgeführt, welche die Europäische Kommission und die EU-Mitgliedstaaten in der nächsten Phase des Verfahrens zur Erneuerung der Genehmigung berücksichtigen sollten. Dies sind die wichtigsten Ergebnisse des Peer-Reviews der EFSA zur Risikobewertung von Glyphosat, das von Behörden in vier Mitgliedstaaten (die gemeinsam als „berichterstattende Mitgliedstaaten“ fungieren) durchgeführt wurde.“ Das teilt die EFSA mit. Die vier „berichterstattenden Mitgliedstaaten“: sind Frankreich, Ungarn, die Niederlande und Schweden.

Zu den Fragen, die laut EFSA „nicht abgeschlossen werden konnten, gehören die Bewertung einer der Verunreinigungen in Glyphosat, die Bewertung des ernährungsbedingten Risikos für Verbraucher und die Bewertung der Risiken für Wasserpflanzen.“
Zu den offenen Fragen gehören weiterhin laut EFSA u.a. „das Fehlen von Informationen über die Toxizität eines der Bestandteile der zur Bewertung vorgelegten Pestizidformulierung auf der Basis von Glyphosat; diese Information werden benötigt, um die Risikobewertung der Formulierung für repräsentative Verwendungszwecke abzuschließen. Für die betreffende Formulierung lagen keine Hinweise auf akute Toxizität oder Genotoxizität vor.“

Und zum Thema Biodiversität schreibt die EFSA: „In Bezug auf Biodiversität stellten die Sachverständigen fest, dass die Risiken im Zusammenhang mit den repräsentativen Verwendungszwecken von Glyphosat komplex und von mehreren Faktoren abhängig sind. Sie wiesen zudem auf das Fehlen harmonisierter Methoden und vereinbarter spezifischer Schutzvorgaben hin. Insgesamt lassen die verfügbaren Informationen keine eindeutigen Schlussfolgerungen zu diesem Aspekt der Risikobewertung zu, und Risikomanager können Maßnahmen zur Risikominderung in Betracht ziehen.“

Trotzt dieser selbst geäußerten Fragen und Informationslücken, was ja nicht anderes als dann auch Wissenslücken sind, kommt die EFSA zu ihrem „Unbedenklichkeitsvotum“. Das kritisiert auch der BUND.

BUND: System ist dringend reformbedürftig

„Die Europäische Lebensmittelbehörde EFSA stellt heute einen Freifahrtschein für das in Europa am meisten verwendete Totalherbizid Glyphosat aus – obwohl die Behörde selbst Daten-Lücken einräumt“, erklärt Daniela Wannemacher, BUND-Expertin für Landwirtschaft. Damit negiere die Behörde all die zahlreichen unabhängigen Studien, die zeigen, dass Glyphosat ein gravierendes Gesundheits- und Umweltproblem ist. „Viele dieser Studien belegen, dass Glyphosat das Nervensystem schädigen kann und das Mikrobiom im Darm beeinflusst. Immer noch gilt es als wahrscheinlich krebserregend beim Menschen. Einmal in die Umwelt gebracht, verursacht das Herbizid gravierende Schäden im Boden, im Wasser und bei Nützlingen. Die Empfehlung der EFSA zeigt erneut, dass die europäische Pestizid-Zulassung die Gefahren für Gesundheit und Ökosystem weitgehend ignoriert. Dieses System ist dringend reformbedürftig, um Mensch und Umwelt vor Risiken durch Pestizide zu schützen und Landwirtschaft zukunftsfähig zu gestalten“, so Wannemacher.

DUH: Noch im Juli Klage einreichen

Die DUH kritisiert die Einschätzung von Glyphosat als unkritisch durch die EFSA scharf und kündigt rechtliche Schritte an. Dazu erklärt Jürgen Resch, DUH-Bundesgeschäftsführer: „Die neue Einschätzung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit zu Glyphosat widerspricht der Bewertung durch die Weltgesundheitsorganisation und zahlreichen wissenschaftlichen Studien. Produkte mit Glyphosat dürfen nicht länger in Deutschland zugelassen werden. Wir werden noch im Juli mit fachlicher Unterstützung von foodwatch Klage gegen die Zulassung des Glyphosat-Produkts Roundup Powerflex einreichen. Wir nehmen die Gefahr, die von hochgiftigen Pestiziden ausgeht, nicht länger hin.“

Die angekündigte Klage richtet sich laut DUH gegen die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln zuständige Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. Es ist eines von mehreren Verfahren von DUH und foodwatch gegen Pestizid-Produkte, bei denen massive schädliche Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit zu befürchten sind. In Pflanzenschutzmitteln enthaltene Wirkstoffe wie beispielsweise Glyphosat werden auf europäischer Ebene in einem politischen Prozess genehmigt. Pestizid-Produkte, die diese Wirkstoffe enthalten und verkauft werden, müssen jedoch von den jeweiligen EU-Mitgliedstaaten zugelassen werden.

Häusling. Ignorieren ist Dauerproblem der Behörde

Von „Augenklappen oder Ignoranz“ bei der EFSA spricht Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament und Mitglied des Umwelt- und Gesundheitsausschusses. „Es wirkt so als hätte man einfach die Bewertung von 2017 kopiert. Doch seitdem gibt es zig Veröffentlichungen, die klar zeigen, dass Glyphosat gefährlich ist. Für die Artenvielfalt, für Insekten und Bodenorganismen, für das menschliche Mikrobiom, für die embryonale Entwicklung, ja sogar direkt die Hirnschranke kann es überwinden und Schaden anrichten. Wissenschaftler*innen der Universität von Arizona haben 2022 erstmals im Tierversuch gezeigt, dass Glyphosat dort in den Stoffwechsel von Botenstoffen auf eine Art und Weise eingreifen kann, die Krankheiten wie Alzheimer begünstigen könne“, so Häusling. Die aktuelle Bewertung nehme die Gesundheit der Anwender und Konsumenten nicht ernst genug und wirkt fahrlässig in Bezug auf die Biodiversitäts-Strategie. „Glyphosat Unbedenklichkeit zu attestieren, erfordert entweder ein Lesen mit Augenklappen oder ein Ignorieren wesentlicher Studien. Letzteres ist ein Dauerproblem dieser Behörde. Die Regeln, welche Studien abgefragt und welche als relevant eingestuft werden, müssen überarbeitet und vor allem transparent gemacht werden. Das, was hier als Bewertung abgegeben wird, ist einer sorgfältigen Risikobewertung nicht angemessen und würde wissenschaftlich gesehen an keiner weltweiten Fakultät auch nur als Masterarbeit durchgehen", so der EU-Abgeordnete.

DBV: Wirkstoff als „ein Werkzeug“ für Anbauverfahren anerkennen

„Die Einschätzung der EFSA sollte der Anlass sein, in der Diskussion um Pflanzenschutz und um die Bewertung von Wirkstoffen wieder zu wissenschaftlichen Grundlagen zurückzukehren“, erklärte der Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes, Bernhard Krüsken, gegenüber Agrar Europe. Dieser Wirkstoff sei zwar kein Allheilmittel, könne aber „ein Werkzeug“ für Anbauverfahren sein, „die Erosion verhindern, Humus aufbauen und Wasser sparen“. Begrüßt wurde die EFSA-Beurteilung auch von der Bayer AG und der FDP.

12.07.2023
Von: FebL/PM

Die DUH will mit fachlicher Unterstützung von foodwatch Klage gegen die Zulassung des Glyphosat-Produkts Roundup Powerflex einreichen. Foto: Archiv