EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat am Mittwoch die Ergebnisse des strategischen Dialogs zur Zukunft der Landwirtschaft in der EU vorgestellt. Der „Dialog“ ist die Brüsseler Variante zur Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) in Deutschland und fand wie die ZKL unter dem Vorsitz von Professor Peter Strohschneider statt. Teilnehmer:innen in dem rund 30-köpfigen Gremium waren unter anderen die European Coordination Via Campesina (ECVC), dem auch die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) angehört, und der Dachverband der Europäischen Bauernverbände (COPA), dem der Bauernverband (DBV) angehört, sowie IFOAM, Slow Food und Greenpeace. In ersten Stellungnahmen zum Dialog-Ergebnis mahnten sowohl ECVC wie auch DBV Verbesserungen und weitere Schritte an.
Um den anstehenden Herausforderungen respektive planetaren Krisen - Klimawandel, Verlust an biologischer Vielfalt und Umweltverschmutzung – zu begegnen, „ bedarf es entschiedenen Handelns“, heißt es in einer von der EU-Kommission veröffentlichten Zusammenfassung des Dialog-Ergebnisses. Und dieser Wandel müsse „so gestaltet werden, dass er zu widerstandsfähigeren, nachhaltigeren, wettbewerbsfähigeren, rentableren und gerechteren Agrar- und Ernährungssystemen führt.“
In seinen Empfehlungen berücksichtigt der Strategische Dialog, so die Zusammenfassung, dass die Weiterentwicklung der Agrar- und Ernährungssysteme unweigerlich Interessenkonflikte und komplexe Zielspannungen mit sich bringt, die nur durch Kompromissfindung bearbeitet werden können.
An erster Stelle der Empfehlungen steht „die Stärkung der Position der Landwirtinnen und Landwirte in der Lebensmittelwertschöpfungskette, indem sie zu engerer Zusammenarbeit ermutigt, Kosten gesenkt, Effizienz gesteigert und Marktpreise sowie das Einkommen verbessert werden.“ Eine weitere zentrale Empfehlung lautet: „Eine zielgerichtete Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) auf den Weg bringen.“ Die künftige GAP soll auf folgende Funktionen ausgerichtet werden: 1. Bereitstellung sozioökonomischer Unterstützung für diejenigen Landwirtinnen und Landwirte, die sie am dringendsten benötigen; 2. Förderung positiver gesellschaftlicher Leistungen in den Bereichen Umwelt, Soziales und Tierwohl und 3. Schaffung von Rahmenbedingungen für lebenswerte ländliche Räume.
Dazu heißt es in der Zusammenfassung: „Auf der Grundlage der wirtschaftlichen Tragfähigkeit landwirtschaftlicher Betriebe sollte die GAP sehr viel gezielter Einkommensstützung für bestimmte aktive Landwirte bieten. Diese gezielte Unterstützung sollte die Aufgabe landwirtschaftlicher Betriebe verhindern und dazu beitragen, dass die Landwirtinnen und Landwirte über ein angemessenes Einkommen verfügen.
Sie sollte auf diejenigen ausgerichtet sein, die ihrer am meisten bedürfen, insbesondere kleine und gemischte landwirtschaftliche Betriebe, Junglandwirte und Neueinsteiger, sowie auf Gebiete mit naturbedingten Benachteiligungen. Um Anreize dafür zu schaffen, dass Landwirtinnen und Landwirte Ökosystemleistungen etablieren und kontinuierlich erbringen, und um sie dafür zu belohnen, sollten die Voraussetzungen für Bezahlung dieser Leistungen über den Anforderungen des derzeitigen EU-Rechts liegen und an möglichst ambitionierten Zielen orientiert werden, die auf robusten Indikatoren mit quantifizierbaren Ergebnissen beruhen. Um die Anforderungen der EU in den Bereichen Landwirtschaft und Lebensmittelerzeugung, Entwicklung des ländlichen Raums, Klimaneutralität und Wiederherstellung der biologischen Vielfalt zu erreichen, bedarf es eines eigenen und angemessenen Budgets, das allen Zielen in ausgewogener und fairer Weise gerecht wird. Die finanzielle Unterstützung für Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen muss in den beiden kommenden GAP-Finanzierungsperioden jährlich und substanziell aufgestockt werden, beginnend bei dem derzeitigen Anteil der Haushaltsmittel für Öko-Regelungen sowie Agrarumwelt- und Klimaschutzmaßnahmen.“
Zusätzlich zur GAP soll ein befristeter Agrarfonds für faire Weiterentwicklung des Agrar- und Ernährungssystems (Agrifood Just Transition Fund - AJTF) eingerichtet werden.
Weitere Empfehlungen des Strategie-Dialogs beziehen sich auf die Förderung von Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit in der Handelspolitik, auf die Förderung nachhaltiger landwirtschaftlicher Produktionsmethoden, die Verringerung der Treibhausgasemissionen in der Landwirtschaft, die Forderung nach einer Strategie für eine nachhaltige Tierhaltung in der EU sowie weitere Maßnahmen zur besseren Erhaltung und Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Flächen, zur Förderung einer wasserresilienten Landwirtschaft und zur Entwicklung innovativer Ansätze in der Pflanzenzucht.
Als Fazit steht in der Zusammenfassung: „Da der Handlungsdruck und die Gesamtkosten des Nichtstuns zunehmend steigen, liegt es bei der Europäischen Kommission, dem Europäischen Parlament, den Mitgliedstaaten und den Interessenvertretungen diese gemeinsamen Empfehlungen anzunehmen und in ebenso mutige wie rasche Entscheidungen zu übersetzen. Die Mitglieder des strategischen Dialogs stehen bereit, diesen Prozess weiter konstruktiv zu begleiten.“
Wie sich ECVC und DBV diese Begleitung vorstellen, haben sie in einer ersten Reaktion gleich nach der Veröffentlichung des Abschlussberichts erklärt.
ECVC: Empfehlungen weiterentwickeln und umsetzen
Für die ECVC enthält der Abschlussbericht „positive und wichtige Fortschritte in bestimmten Schlüsselbereichen“ für eine Agrarwende. Jetzt müsse jedoch auch sichergestellt werden, dass die Empfehlungen von der kommenden Kommission weiterentwickelt und umgesetzt werden. Dies müsse insbesondere durch eine Überarbeitung der UTP-Richtlinie gegen unlautere Handelspraktiken, die Stärkung der Gemeinsamen Marktordnung (GMO) in der GAP und die Schaffung einer EU-Bodenrichtlinie geschehen.
Der ECVC begrüßt die Betonung und die Initiativen, die in dem Bericht zu einer Reihe von Schlüsselbereichen entwickelt wurden, darunter unter anderem:
- Die Notwendigkeit, das Einkommen der Landwirte zu verbessern und Preise über den Gestehungskosten zu gewährleisten, zieht sich nach Ansicht der ECVC durch den gesamten Bericht, einschließlich der möglichen Überarbeitung der UTP-Richtlinie gegen unlautere Handelspraktiken. Die Notwendigkeit einer Marktregulierung zur Gewährleistung fairer und stabiler Preise hätte jedoch im Mittelpunkt der Empfehlungen stehen müssen, und bis heute fehle es an der notwendigen Diskussion über Angebotssteuerung, öffentliche Lagerbestände und Mindeststützungspreise. Die ECVC fordert, dass in den kommenden Monaten die Verpflichtung in die UTP-Richtlinie aufgenommen wird, dass die Abnehmer von landwirtschaftlichen Erzeugnissen den Landwirten Preise zahlen müssen, die die Produktionskosten decken.
- Die Empfehlung, dass die GAP-Subventionen denjenigen zugutekommen, die sie am meisten brauchen, einschließlich der kleinen landwirtschaftlichen Betriebe. Der ECVC werde besonders darauf achten, dass alle vorgeschlagenen Maßnahmen, wie das „Benchmarking“ von Umweltleistungen, die Digitalisierung von Dienstleistungen, die Risikodeckung oder die Finanzierung, auf kleine und mittlere Betriebe anwendbar sind und nicht zur Aufgabe von Betrieben aufgrund der Kosten oder der Komplexität der Anträge führen. Für die ECVC bleibt es jedoch vorrangig, das Kapitel der GMO der GAP zu stärken, damit die Marktregulierung faire Preise gewährleistet.
- Die Vorschläge für die Erhaltung von und den Zugang zu Land und die Einrichtung einer Beobachtungsstelle. Land muss laut ECVC in den Mittelpunkt der agrar- und ernährungspolitischen Agenda gerückt werden und die neue EU-Kommission muss mit den Verhandlungen über eine entsprechende europäische Richtlinie beginnen.
Neben diesen positiven Aspekten geht der Bericht laut ECVC jedoch nicht ausreichend auf eine Reihe von Schlüsselfragen für Landwirte und landwirtschaftliche Arbeitnehmer ein. Das in dem Bericht zentral vorkommende Wettbewerbsdenken und die Wettbewerbslogik müsse durch einen Paradigmenwechsel hin zu einem solidarischen Zusammenarbeiten ersetzt werden. Die europäische Handelspolitik ist laut ECVC eine Triebfeder für niedrige Einkommen der Landwirte. Der Bericht verkenne, dass Freihandelsabkommen und die WTO-Regeln nur dazu dienen, die Preise so weit wie möglich zu drücken, ohne Rücksicht auf die Kosten für das Wohlergehen und die Gesundheit der Landwirte und Bürger sowie die Auswirkungen auf das Klima und die biologische Vielfalt. Daher müsse die EU eine radikale Reform des internationalen Handels hin zu einem neuen Handelsrahmen fördern, der auf Ernährungssouveränität und sozialer und ökologischer Gerechtigkeit beruht. Ferner müsse sich die EU-Agrar- und Ernährungspolitik auf einen Menschenrechtsansatz stützen, einschließlich des Rechts auf Nahrung und der Rechte, die in der UN-Erklärung der Rechte der Bauern und anderer in ländlichen Gebieten arbeitender Menschen (UNDROP) festgelegt sind. Und abschließend heißt es bei ECVC: „Europa braucht mehr Landwirte, um die Umstellung der Agrar- und Ernährungssysteme zu erreichen, da kleine und mittlere Landwirte eine Schlüsselrolle bei der Lösung der aktuellen sozialen, ökologischen und ernährungsbezogenen Krisen und bei der Entwicklung und Erhaltung lebendiger ländlicher Gebiete spielen.“ Die ECVC und ihre Mitglieder werden sich daher weiterhin dafür einsetzen, mit der Europäischen Kommission und anderen EU-Institutionen zusammenzuarbeiten, um diese Themen anzugehen und den Weg für eine nachhaltige Umstellung der Agrar- und Ernährungssysteme weiter zu ebnen.
DBV: Bericht ist nicht die notwendige Kursänderung
Der DBV begrüßt, dass die EU-Kommission dem Grundsatz eines tieferen Dialogs über die Zukunft der Landwirtschaftspolitik mehr Bedeutung beimisst. Aus Sicht des DBV-Präsidenten, Joachim Rukwied, gibt es bei den Ergebnissen jedoch noch deutliches Verbesserungspotenzial: „Der heute vorgelegte Abschlussbericht ist als Arbeitsdokument eine Basis für weitere Diskussionen, allerdings muss jetzt noch intensiv nachgearbeitet werden. Hier ist die neue Kommission gefordert und muss weiter den Dialog mit den direkt Betroffenen, uns Landwirtinnen und Landwirten, suchen.“
Insbesondere die Inhalte bleiben nach Ansicht von Rukwied deutlich hinter den Erwartungen der deutschen Landwirte zurück: „Der Bericht liest sich in vielen Themen wie eine Bestätigung des bisherigen Kurses der Kommission ohne den notwendigen kritischen Rückblick auf das vergangene Mandat. Die Landwirte haben protestiert für weniger Bürokratie und ein besseres Einkommen. Ernährungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit kamen in den bisherigen Prioritäten der Kommission erheblich zu kurz und müssen zukünftig stärker gewichtet werden. Dieses Ergebnis ist nicht die aus Sicht der Landwirtschaft notwendige politische Kursänderung, für die wir Anfang des Jahres auf die Straße gegangen sind.“ Eine detaillierte Stellungnahme will der DBV nach eingehender Prüfung des Berichts vorlegen.