Letzte Woche war ich abends nach dem Melken noch unterwegs. Drei gute gebrauchte Anhängerreifen gab es zu verkaufen, und weil unsere vier Wasserwägen immer mal die ein oder andere Panne haben, wollte ich mir einen kleinen Vorrat an intakten Reifen anlegen. Auf dem Weg dorthin hab ich noch schnell den Besuch aus der Stadt vom Bahnhof eingesammelt und weiter ging's. Der Hof, an dem die Reifen verkauft wurden, war ein alter Drei-Seiten-Hof, wunderschön ausgebaut mit wieder frei gelegtem Fachwerk und einem Innenhof, der so sauber war, dass schnell klar war, dass hier schon lange kein Trecker mehr drübergerollt ist und auch keine Kuh getrieben wurde.
„Ach, Sie arbeiten noch so richtig in der Landwirtschaft?“ Der Reifenverkäufer sah mich an, als hätte er soeben ein lebendes Fossil getroffen. „Na, da sind Sie ja jeden Tag mindestens 24 Stunden am Schaffen, wenn nicht sogar mehr, oder?“ Ich frage mich, was er jetzt hören wollte – dass die Welt noch in Ordnung war, so wie er es aus seiner Schulzeit vielleicht kannte, dass die Kühe noch mit Hand gemolken werden und von früh bis spät jeder Gedanke nur der Arbeit gilt? Irgendwie hatte ich auch Lust, ihm zu sagen, dass die Landwirtschaft heute eine andere und alles tipptopp geregelt ist: Urlaub, Überstunden etc. Ich kam nicht zu meiner Antwort, weil mein Besuch stark nickend zustimmte. „Ja, das ist wirklich ein Fass ohne Boden. Und man fragt sich warum, weil die Lebensmittel wachsen ja im Supermarkt“, setzte er noch scherzhaft hinzu. Aber der Scherz versetzt mir auch einen Stich. Das ist eben genau das, was nicht zusammen passt: Die Anerkennung für meine Arbeitsstunden und die Schwere der Arbeit sind voll da im persönlichen Gespräch, aber die Anerkennung des Produktes, für das ich arbeite, fehlt. Die Anerkennung fehlt nicht nur hier im Gespräch, sondern bei jeder Milchabholung und jedem Schlachtkalb und sie lässt mich auch immer wieder zweifeln, für was genau ich arbeite. Zu welchem Grad produziere ich Lebensmittel für einen gewissen Monatslohn und zu welchem Grad ist meine Arbeit ehrenamtliches Engagement für Tierwohl, belebte ländliche Räume und biologische Vielfalt?
Landwirtschaft ist für mich nicht nur ein Job, sondern passiert aus Überzeugung – Überzeugung von der Art von Landwirtschaft und Lebensmittel, wie ich sie mir vorstelle. Diese Überzeugung motiviert mich und gibt mir Kraft, aber die Realität macht mich umso trauriger mit überarbeiteten Kolleg*innen, wenig Freizeit und der allgegenwärtigen Sorge um den Hof und die Nachbarbetriebe. Es ist eine Grundstimmung, eine Art Resignation gegenüber der geringen Wertschätzung und Sichtbarkeit, die ich in der Landwirtschaft wahrnehme. Ich will mich nicht damit zufriedengeben, meine Arbeit nur wegen meiner Überzeugung und Begeisterung für diese zu machen. Diese Begeisterung nach außen zu tragen und von anderen einzufordern, ist natürlich nicht weniger Arbeit! Aber sie ist notwendig, solange vor allem auch die Politik nicht die Rahmenbedingungen für gute Marktbedingungen und damit auskömmliche Preise für unsere Produkte und damit auch für unsere Arbeit schafft. Nachdenklich lade ich also die drei Reifen ein und lasse noch einen Flyer da. „Kommen Sie gern mal auf dem Hof vorbei“, lade ich den Reifenverkäufer ein. Er scheint sich zu freuen und verabschiedet sich.