Technologien für klein- und mittelbäuerliche Betriebe mehr in den Fokus nehmen:
In Deutschland wirtschaften knapp 45 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe auf Flächen unter 20 Hektar. Dass diese Betriebe in der Technologieentwicklung häufig nicht mit bedacht werden, sondern vor allem die großen Produktionseinheiten in den Blick genommen werden, zeigt exemplarisch die jährliche Erhebung des Branchenverbandes der Digitalwirtschaft Bitkom. Hier werden Daten zum Stand der Digitalisierung in der Landwirtschaft erhoben und veröffentlicht, die erst für Höfe über 20 Hektar repräsentativ sind, das entspricht 55 Prozent aller Betriebe. Eine Online-Befragung am Fachgebiet Agrar- und Ernährungspolitik der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) und des Department of Science, Technology and Society der Technischen Universität München (TUM) hat nun explorativ diese kleinen und mittleren Betriebe in den Blick genommen. Im Spätsommer 2023 wurden insgesamt 239 Betriebe aller Größenordnungen zu Themen der Nutzung und Bewertung digitaler landwirtschaftlicher Technologien befragt.
Digitalisierte Hardwaretools
Für Betriebe über 20 Hektar konnten die Ergebnisse der genannten Bitkom-Studie bestätigt werden. Es zeigt sich beispielsweise, dass vor allem Großbetriebe über 100 Hektar (75 Prozent) und großbäuerliche Betriebe zwischen 20 und 100 Hektar (25 Prozent) auf GPS-gesteuerte Landmaschinen setzen. In Betrieben unter 20 Hektar spielen GPS-Technologien hingegen kaum eine Rolle. Ähnlich sieht es für Farm- und Herdenmanagementsysteme aus. Stattdessen finden hier vor allem digitale Bewässerungssysteme eine häufigere Anwendung (bis zu 25 Prozent). Das gilt vor allem für Kleinst- und Parzellenbetriebe unter zwei Hektar. Eher wartungsintensive und in der Fläche weniger stark skalierbare Bewässerungssysteme können offenbar auf kleineren Höfen ihr Potential entfalten. Ergänzt wird die Bewässerung in klein- und mittelbäuerlichen Betrieben teilweise durch den Einsatz von Drohnen, Sensortechnik und Satellitenbildern.
Softwaretools
Gefragt wurde außerdem nach der Verwendung von Softwarelösungen, also Agrar-Apps, Farm-Management (z. B. Zeit- und Ernteerfassung) und Verwaltungssoftware. In fast allen Größenklassen wird digitale Verwaltungssoftware als die am häufigsten genutzte Technologie genannt. Die Ausnahme bilden Großbetriebe, wo Software etwas weniger häufig eingesetzt wird als GPS-Maschinen (73 Prozent). Ein Kleinbetrieb gibt an, dass, wenngleich man der Digitalisierung der landwirtschaftlichen Arbeitsabläufe eher kritisch gegenüberstehe, dennoch bei „Themen der Verwaltung“ Ausnahmen gemacht würden. Andere hingegen sehen in der Digitalisierung von Verwaltungsprozessen „einen weiteren Schritt in Richtung Überwachung“. Es zeigt sich außerdem, dass vor allem Kleinst- und Parzellenbetriebe sowie kleinbäuerliche Betriebe Softwaretools für die Verwaltung stärker nutzen und als wichtiger bewerten als mittelbäuerliche Betriebe. Ein möglicher Erklärungsansatz für die beobachteten Unterschiede könnte sein, dass es sich bei diesen Betriebsgrößen oft um Wirtschaftsmodelle mit vielen Mitgliedern sowie direkten Abnehmer:innen (z. B. Solidarische Landwirtschaften, SoLawis) handelt, welche über diese Tools organisiert werden.
Insgesamt werden in den Ergebnissen der Umfrage in allen Betriebsgrößen Softwarelösungen als wichtiger bewertet als Hardwarelösungen. Gründe für die übereinstimmende Bewertung von Verwaltungstools könnten sein, dass Verwaltungsaufgaben, bei denen Softwaresysteme assistieren können, in jeder Betriebsgröße anfallen. Weiterhin sind diese Technologien verhältnismäßig günstig zu erwerben und können ohne größeren Aufwand auf bestehenden Geräten installiert werden.
Werden diese Tools aber spezifisch für die großen Betriebe entwickelt, können die kleineren die bereitgestellten Tools zwar mitnutzen, benötigen jedoch dabei oft nur einen Bruchteil des Funktionsumfangs. Durch den Umfang der Software wirken diese Tools in der Konsequenz eher zusätzlich be- als entlastend. So gibt ein kleinbäuerlicher Betrieb an, dass noch abzuwarten sei, da „die Software nicht passt“, „nicht zuverlässig funktioniert“ und „Schnittstellen nicht klappen“.
Für wen und wofür?
Insgesamt geht aus den Ergebnissen der Umfrage hervor, dass mittelbäuerliche Betriebe im Schnitt am wenigsten digitale Technologien nutzen. Die Bedarfe und Bewertung in puncto Digitalisierung in klein- und mittelbäuerlichen Betrieben in Deutschland entsprechen also nicht denen größerer Betriebe. Da aber gerade größere Betriebe häufig das Ziel neuer digitaler Innovationen sind, werden die Bedarfe der kleineren oft nicht adressiert. Während bei Softwarelösungen klein- und mittelbäuerliche Betriebe oft noch – aber dann nur als „Trittbrettfahrer:innen“ – die Verwaltungs- und Managementprogramme der Großen nutzen können, geht diese Möglichkeit im Bereich Hardware vollkommen verloren. So werden die sich in Großbetrieben durchsetzenden, GPS-fähigen Maschinen den kleinen Betrieben nicht gerecht, weder aus einer finanziellen Perspektive noch in Bezug auf die Flächennutzung.
Die anders gelagerten Bedarfe kleiner Betriebe müssen in den Blick genommen werden und sollten auch in der Forschungs- und Investitionsförderung stärker berücksichtigt werden. In Verbandsarbeit und Technologieentwicklung nur große Betriebe in den Blick zu nehmen, spiegelt die Diversität der praktizierten Landwirtschaft in Deutschland nicht wider. Dies bedeutet auch einen bewussten Umgang mit Bedenken und damit einhergehend möglicherweise auch die bewusste Entscheidung gegen die Verwendung einzelner (digitaler) Technologien. Die Gründe dafür können vielfältig sein und reichen von der Befürchtung einer „Entfremdung zwischen Mensch und Natur“ über Abhängigkeit und einer damit einhergehenden Einschränkung der eigenen Autonomie bis zu Mehrkosten durch Technologienutzung. So sieht ein kleinbäuerlicher Betrieb „in der fortschreitenden Digitalisierung die Gefahr einer finanziellen Überforderung“. Die wahrgenommene Abhängigkeit hat mehrere Dimensionen. So bestehen erstens Bedenken, dass eine „höhere Überwachbarkeit“ digitaler Anwendungen „zu einer verstärkten behördlichen Regulierung“ und damit zu einem Verlust der „freien Gestaltung des landwirtschaftlichen Handelns“ sowie zum Verlust „bäuerlicher Intuition“ führt. Zweitens wird die Abhängigkeit von Hersteller:innen immer wieder betont, also die Befürchtung, abhängig zu werden von Technologien, die man nicht selber warten könne. Ein weiterer häufig genannter Punkt ist der Schutz der betriebseigenen Daten.
Die Digitalisierung der Landwirtschaft nachhaltig zu gestalten, bedeutet vor diesem Hintergrund nicht allein auf ökonomische Effizienzsteigerung zu zielen. Vielmehr bedeutet es in der Gestaltung der Digitalisierung die Diversität sowohl der Betriebe als auch der Agrarlandschaften ins Zentrum zu stellen, einschließlich dem Gedanken einer suffizienten Digitalisierung, d. h. nur dort, wo es notwendig und sinnvoll ist. Allem voran müssen dabei die besonderen Bedürfnisse, welche sich aus der Bewirtschaftung kleinerer Flächen ergeben, bedacht und die Bedarfe der Betriebsleiter:innen ernst genommen werden. Das bedeutet auch, dass die Digitalisierung kein linearer Prozess ist, in den jeder Betrieb früher oder später einsteigen muss.
Till Kümmelberger, studentischer Mitarbeiter der Humboldt-Universität Berlin; Sarah Hackfort, Projektleiterin Humboldt Universität Berlin; Mascha Gugganig, Projektleiterin Technische Universität München