Marktbeobachtungen von Hugo Gödde +++ Auch bei der neuen Regierung ändert sich erst einmal bei der Tierwohlpolitik wenig. Starke Worte, große Ankündigungen, schnelle Dementis und wenig Klarheit. Zwar verspricht die „kleine GroKo“ den Landwirten mehr Perspektiven und Planungssicherheit. Davon ist aber in der Tierhaltungspolitik noch nichts wirklich zu merken. Borchert-Plan umsetzen oder nicht? Wenn ja, welche Teile, welche Finanzierung, wie, wann? Eines ist für die Betroffenen – nicht nur die Landwirte - geblieben: man streitet mal wieder wie seit Jahren, als wären die alte GroKo oder die Ampel noch in Betrieb.
Erstes Ergebnis: Verschiebung des Tierhaltungskennzeichnungsgesetzes (THKG) auf März 2026. Damit hat man Zeit gewonnen, zugleich die Unsicherheit verlängert.
Kampf zweier Linien in der Regierung
Besonders heftig wird in der CDU/CSU, Mehrheitspartei in der Regierung und wichtigste Agrarpartei, die auch den Überraschungsminister Alois Rainer stellt, gestritten. Während die CDU-Nordlichter wie der agrarpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Albert Stegemann oder der frühere CDU-Bundestagsabgeordnete und heutige Präsident des Deutschen Raiffeisenverbandes Franz Josef Holzenkamp übereifrig in Interviews schon mal Claims abstecken wollen und „keine Bereitschaft der Koalition sehen, das Borchert-Konzept umzusetzen“ (Holzenkamp), halten Politiker aus dem Süden wie der Vorsitzende des Bundestagsagrarausschusses Hermann Färber (CDU) oder CSU-Vertreter an der Richtung einer staatlichen Tierwohl-Finanzierung fest. Hauptstreitpunkte sind die Höhe einer möglichen Förderung und die Ausrichtung der Subventionen.
Während sich einige CDU-Politiker für eine reine Stallbauförderung aussprechen, gibt es auch Stimmen, die weiterhin für die Förderung der laufenden Kosten eintreten. Dazu gehört eindeutig der Koalitionspartner SPD. Minister Rainer hat nun angekündigt, um Milliarden für die Tierhaltung zu „kämpfen“. Auch dieses Versprechen hat es nicht einmal in den Koalitionsvertrag geschafft, steht also unter starkem Finanzierungsvorbehalt. Man habe aber in den Verhandlungen schon mal über 1,5 Mrd. € „gesprochen“. Er favorisiere eine Stallbauförderung, wolle aber das Förderprogramm der Ampelkoalition „selbstverständlich fortsetzen“.
Förderung für was?
Die Frage der Finanzierung allein für Investitionen oder auch für laufende Kosten ist für Marktkenner der Knackpunkt der Auseinandersetzungen, weil alle Berechnungen bisher zeigen, dass der Marktpreis die höheren Kosten nicht allein abbildet. Ohne eine zusätzliche staatliche Förderung eines Teils der Mehrkosten – wie es im Bundesprogramm der Ampel beschlossen ist - wird den Erzeugern keine planbare Sicherheit gegeben werden, was die Umstellungsbereitschaft massiv und damit den Umbau der Tierhaltung einschränken wird. Das war und ist der Kern der Empfehlungen der Borchert-Kommission. Eine Verweigerung dieses Grundgedankens wäre eine komplette Abkehr – auch wenn man den Namen des Ex-CDU- Politikers noch so laut vor sich herträgt.
Befremdlich ist z.B. die Forderung von Stegemann, ITW-Ställe der Haltungsform 2 (Stall + Platz) fördern zu wollen. Nicht nur Kritiker aus den Reihen der Umwelt- und Tierschutzverbände lehnen es ab, weil damit auch der Vollspaltenstall mit geringfügig mehr Platz zum Tierwohlstall umdefiniert und gesellschaftsfähig gemacht würde, obwohl er nur eine „Alibi-Tierwohl-Haltung“ beschreibe, die – so auch im Borchert-Plan – leicht von Gerichten (Begründung: Tierschutz im Grundgesetz) ausgehebelt werden würde. (Nebenbei: in Österreich ist gerade das Aus des Baus von Vollspaltenställen in neun Jahren beschlossen worden.) Aber auch Marktexperten warnen dringend davor, Fehlinvestitionen am Markt vorbei zu subventionieren. Denn alle Ankündigungen der großen Lebensmittelkonzerne gehen davon aus, ab 2030 nur noch Fleisch aus höheren Stufen (HF 3 bis 5) anzubieten.
Und der Markt?
Bei jeder Gelegenheit bestätigen die großen Lebensmittelkonzerne, dass sie an ihrem Plan festhalten, so schnell wie möglich – spätestens bis 2030 – aus den Stufen 1 und 2 auszusteigen. Dann nützt auch keine Bestandsgarantie der Regierung für 20 Jahre bei allen Neubauten. Ohne sicheren Absatz keine sinnvolle Produktion. Lidl und Rewe haben gerade wieder ihr definitives Bekenntnis zu ihrem Ziel bestätigt. Aldi stellt seine Platzierung im Laden auf Blockplatzierung um, d.h. demnächst werden höherwertigere Produkte besser erkenntlich und prominenter herausgestellt. Edeka hat nach Angaben von Marktexperten in unterschiedlichen Regionen bereits jährlich mehr als 100 Mio. € Umsatz mit Tierwohlfleisch – mit wöchentlich steigenden Zahlen.
Neue Vertragsstrukturen
In der Folge werden Tiere mit höherer Stufe (ab 3) dringend gesucht. Das gilt besonders für Rindfleisch, wo der Marktanteil sich nach Informationen von Schlachthöfen bzw. Viehhändlern Richtung 40% und mehr bewegt. Ähnliches wird teilweise vom Geflügelmarkt berichtet. Aber auch bei Schweinen, dem umsatzstärksten Markt, werden die Wachstumsperspektiven immer offensichtlicher. Heute werden von nahezu allen großen Schlachtern langfristige Verträge mit einem Zeitraum über 3 bis 5 Jahren angeboten. Der Erzeuger kann es sich aussuchen. Angesichts dieser Konjunktur sind auch die Verhandlungsspielräume der Landwirte in der Preisgestaltung erheblich. Der Tierwohlmarkt ist zurzeit eindeutig ein Verkäufermarkt, weil die Nachfrage das Angebot übersteigt.
Zu dieser für umstellungswillige Landwirte günstigen Situation kommt allerdings auch, dass die Schlachthofstruktur im Umbruch ist – spätestens, wenn demnächst Tönnies für diverse Vion-Schlachthöfe im Süden eine Genehmigung vom Kartellamt bekommen sollte. Nicht wenige Mittelständler sind in einer veritablen Strukturkrise. Zudem übernehmen nicht selten große Erzeugergemeinschaften Partnerschaften mit den großen Lebensmittelhändlern und schließen dreiseitige (Landwirtschaft, Handel, Schlachthof) oder vierseitige Verträge (Landwirtschaft, Handel, EZG, Schlachthof) direkt ab. Diese neue Form der Direktverträge ohne Schlachthof oder mit dem Schlachthof als Dienstleister sind eine große Herausforderung für die klassische Macht der Schlachtkonzerne. Ihre Stellung als Nadelöhr zwischen Erzeugung und Handel gerät in Frage. Nach Marktinformationen, die der Bauernstimme vorliegen, sind einzelne große Erzeugerzusammenschlüsse mit mehreren Hunderttausend Tieren in Haltungsstufe 3 bereits größer als manche Schlachthofriesen.
Der Marktbeobachter nimmt die Streitereien in der Politik eher mit Kopfschütteln zur Kenntnis. Die heftigen strukturellen Änderungen bei den Lieferstrukturen (und Machtstrukturen) überraschen ihn mehr. Verträge wurden bisher von vielen Seiten als Teufelsgeburt identifiziert. Die Tierhaltungs-Differenzierung der Erzeugung und des Marktes bringt neue Formen der Planungssicherung, der Vertragsgestaltung und der Marktstellungen hervor. Und das bringt viele Verhältnisse zum Tanzen. Auch die Härte der Auseinandersetzung um den RVZ-Betrug und die sofortige Kündigung durch die QS – so berichten Insiderquellen – ist ohne diesen Hintergrund kaum erklärbar. Und am Ende wartet noch die vertikale Integration in allen möglichen positiven und negativen Facetten. Die Chancen und Risiken der neuen Verhältnisse entfalten sich erst langsam. Es gilt aufzupassen.