Weltmilchtag am 1. Juni: Erzeuger fordern in einem offenen Brief an die Europäische Union die Einrichtung eins Instruments zur Krisenprävention im Milchsektor

Nachfolgend dokumentieren wir den offenen Brief der europäischen Erzeuger des EMB, ECVC, APLI und der Confédération paysanne, sowie von OXFAM, SOS FAIM und CFSI an die Europäische Union mit der Forderung, jetzt ein Instrument zur Krisenprävention im Milchsektor einzurichten und den Druck vom EU-Markt und damit von den Erzeugern in der EU und in Afrika zu nehmen.

Wir – die europäischen Bäuerinnen und Bauern des European Milk Board, der ECVC, APLI sowie Confédéderation paysanne zusammen mit OXFAM (België/Belgique und Frankreich), SOS FAIM sowie dem Comité Français pour la Solidarité Internationale (CFSI) – sprechen eine Frühwarnung bezüglich des EU-Milchsektors aus und rufen die EU-Kommission dazu auf, den Milchmarkt genau zu beobachten und wenn nötig, ihn mit Hilfe des freiwilligen Lieferverzichts zu entlasten. Ohne die Schaltung des Kriseninstruments kann der Milchsektor sehr bald von einer Überschusskrise aufgrund von zurückgehender Nachfrage und ansteigenden Lieferungen hart getroffen werden. Die Auswirkungen davon würden sowohl für die EU-Bäuerinnen und -Bauern als auch für ihre KollegInnen in afrikanischen Ländern sowie für die Ernährungssicherheit sehr problematisch sein.

Hohe Kostensteigerungen, aber auch steigende Erzeugerpreise haben das Bild im Milchsektor im vergangenen Jahr geprägt. Doch diese Ausnahmesituation, bei der sich mancherorts die Preise den Produktionskosten angenähert hatten, ist beendet. Höhere Milchanlieferungen sowie eine zurückgehende Nachfrage aufgrund der Inflationssituation haben dazu geführt, dass Preisrückgänge nun an der Tagesordnung sind. Der Überschuss am Markt hat die Abwärtsspirale aktiviert. Für Bäuerinnen und Bauern in der EU, aber auch für ihre afrikanischen Kollegen ist dies eine bedrohliche und destabilisierende Situation.

Wir rufen die Generaldirektion Landwirtschaft und ländliche Entwicklung der EU-Kommission dazu auf:

  • jetzt für die EU die Sektordaten zum Nachfragerückgang, zu den Produktionssteigerungen und der Entwicklung der Erzeugerpreise sowie weiterer Preisindikatoren und Produktionskosten genau zu erheben und zu analysieren.
  • nach dieser Analyse, wenn der Trend zeigt, dass die Erzeugungskosten unterschritten werden, den freiwilligen Lieferverzicht, der in der Gemeinsamen Marktorganisation (GMO) verankert und ein wichtiges Instrument in der EU-Toolbox ist, zu schalten.

Wird einer erneuten Krise nicht vorgebeugt, dann werden die Hofaufgaben einen neuen Rekord erreichen. Unsere Produktionsstruktur und damit auch die Ernährungssicherheit ist bereits sehr instabil und weitere Verluste können wir uns in der EU nicht leisten. Für die afrikanischen Bäuerinnen und Bauern wiederum zerstören EU-Überschüsse über Dumpingexporte die lokalen Märkte und gefährden somit die lokale Produktion.

Es handelt sich bei dem freiwilligen Lieferverzicht um eine erprobte Maßnahme. Jedoch ist ein rechtzeitiges Schalten essentiell. Die Sensibilität des Milchmarkts und die Häufigkeit schwerer Sektorkrisen sind hinreichend bekannt.
Um in Zukunft problematische Situationen und Krisen zu umgehen, sollte zudem ein Mechanismus installiert werden, der bei entsprechenden negativen Marktentwicklungen Maßnahmen wie den freiwilligen Lieferverzicht automatisch aktiviert. Verzögerungen in der Anwendung, die aufgrund von langwierigen politischen Diskussionen und Blockierungen entstehen und die die ErzeugerInnen sowie die Ernährungssicherheit teuer zu stehen kommen, können so vermieden werden. Damit kann der Markt rechtzeitig wieder in Balance gebracht werden.
Die unterzeichnenden Organisationen betonen, dass eine erneute Milchkrise um jeden Preis verhindert werden muss. Es ist von grundlegender Bedeutung, die junge Generation für den Beruf zu gewinnen. Es ist daher völlig unangebracht, dem Markt zu erlauben, seine Gesetze zu diktieren und so die wirtschaftlich Schwächsten zu verdrängen, darunter auch diejenigen, die erst kürzlich einen Hof übernommen haben. Jede Krise hat einen "Umstrukturierungseffekt" aufgrund der Eliminierung von Erzeugern. Eine Milchpolitik muss jedoch genau das Gegenteil bewirken. Sie muss langfristig ein würdiges Einkommen für die Landwirte sichern.

Weitergehende Reformen sind daher unbedingt erforderlich. Dafür sollte:

  • eine echte Mengen- und Preisregulierung der Milchproduktion wieder auf den Tisch kommen.
  • die Milchpreisbildung vom Weltmarkt abgekoppelt werden und zunächst auf 90% der Wertschöpfung des Binnenmarktes basieren.
  • die Kommission präzise Indikatoren einführen, die im Falle eines Einkommensrückgangs der Erzeuger Artikel 219 der GMO auslösen.
  • die Milchpolitik Bauernhöfe mit humaner Größe aufwerten, die von Natur aus leichter übertragbar und nachhaltiger sind. Wir müssen uns von Modellen verabschieden, die Firmen oder Banken gehören und bei denen die Landwirte jegliche finanzielle Autonomie und Entscheidungsfreiheit verloren haben.
  • angesichts des Klimawandels, der Biodiversität, der Erschöpfung der Ressourcen und anderer Herausforderungen unbedingt eine Verzweigung der Praktiken und Modelle vorgenommen werden. Es ist unerlässlich, die bäuerliche Viehzucht und die Milchproduktion zu unterstützen und sich dabei auch auf viele kleinere, wirtschaftlicher arbeitende und autonomere Bauernhöfe mit Weidehaltung auszurichten. Angesichts unvorhersehbarer Ereignisse und der Notwendigkeit, unsere Ernährungssouveränität zu stärken, muss der Fokus auf der Robustheit der Höfe liegen.

Die Kommission und alle europäischen Instanzen müssen positive Signale aussenden, indem sie Wege aufzeigen, bei denen die Erzeuger Teil einer Gesellschaft sind, in der Solidarität wichtiger als der Wettbewerb aller gegen alle ist.

Wir bitten die EU-Kommission, uns zu ihrem Vorgehen in dieser Angelegenheit umgehend zu informieren und stehen für Gespräche diesbezüglich zur Verfügung.

Der offene Brief inclusive der Unterzeichner:innen und der Kontakdaten findet sich hier.

31.05.2023
Von: FebL/PM