Tierwohl: Die Hunde bellen noch, die Karawane zieht weiter

Marktbeobachtungen von Hugo Gödde +++ An dieses orientalische Sprichwort erinnert die aktuelle agrarpolitische Diskussion um die Tierhaltungskennzeichnung. Bei den Beduinen galt der Hund nicht viel, während das „Wüstenschiff“ erhaben seinen Weg zog und sich nicht von den Kläffern abhalten ließ. Das Sprichwort benutzte im politischen Raum besonders Helmut Kohl sehr gern, wenn er seine Widersacher abkanzelte.

Auch bei der Tierhaltungskennzeichnung gibt es diese zwei Seiten. Die einen („Hunde“) halten sie für überflüssig und unsinnig, die anderen („Karawane“) sehen darin einen wichtigen Schritt für eine Weiterentwicklung des Tierwohls und des Verbrauchervertrauens in die Ernährung mit Fleisch. Die einen wollen am liebsten boykottieren oder wieder rückabfertigen, die anderen können gar nicht schnell genug in die höheren Stufen fortschreiten.

Landwirtschaft gespalten

Nun ist das Tierhaltungskennzeichnungsgesetz (THKG) wahrlich kein Meisterwerk der Ampelregierung. Fachliche Fehler, Lücken (Sauen) oder handwerkliche Schwächen sind nicht zu übersehen. Um die Finanzierung ist man bemüht, sie bleibt aber ein Buch mit sieben Siegeln. So macht man es den Ablehnungskritikern leicht, gegen den gesamten Umbauprozess zu polemisieren. Vermehrt wird gerade in manchen landwirtschaftlichen Medien Stimmung geschürt gegen das THKG. „Es gibt keinen Handlungsbedarf für dieses Gesetz“ lautet ein Kommentar in top agrar. „Wir haben ein gut funktionierendes, etabliertes System der Wirtschaft, um vier unterschiedliche Haltungsstandards bei Schweinen, Rindern, Puten und sogar Pekingenten bis in die Ladentheke zu kennzeichnen. Insbesondere Haltungsform 2 mit der Initiative Tierwohl ist eine Erfolgsgeschichte.“ Tatsächlich wird etwa jedes zweite Schwein nach ITW gehalten.

In einer Umfrage von agrarheute heißt es, dass 57% der zufälligen Abstimmenden der Meinung sind, wir bräuchten keine neuen Tierwohlställe, denn „niemand zahlt ernsthaft für mehr Tierwohl“ – trotzdem haben 38% für mehr Tierwohlställe votiert. Die Rentenbank kommt dagegen in einer repräsentativen Befragung von Tierhaltern zu dem Ergebnis, dass bereits 46% der Rinder in den Haltungsformen 3 und 4 gehalten werden, aber derzeit gerade einmal 13% der Schweine. Dort würden auch die meisten Umstellungen geplant, die die Rentenbank mit Innovationsförderungen unterstützt.

ITW heute wird zur Übergangsstufe …

Der Handel ist aktuell der dynamischste Partner in der Lieferkette und drängt auf mehr Tierwohlfleisch. Die Lebensmittelkonzerne wetteifern, wer wann wieviel Fleisch (und Milch) in den höheren Stufen anbieten kann und fordern vom Staat, diesen Prozess mitzutragen und zu gestalten. Allein schaffen wir es nicht, ist das Credo der Lebensmittelwirtschaft. Man brauche rechtliche Klarheit und finanzielle Stützung des Umbaus. Dem Markttrend kann sich wohl niemand entziehen, auch wenn die Umsetzung stockt.

Nehmen wir die Schweinehaltung: Die Initiative Tierwohl (ITW) des Handels und des Bauernverbandes hat sich viele Jahre allein um Schweinefleisch der niedrigsten Stufe gekümmert. Auslauf- oder Biohaltung interessierte sie nicht. Manche Kritiker, besonders aus der NGO-Szene, bemängelten, dass es den Protagonisten der ITW mehr um Rettung des Vollspaltenstalles ging als um Tierwohl. „Alibi-Tierschutz“ nannten Tierschützer die verlangten Kriterien von 10% mehr Platz und Futterraufen. Wir müssen Tierwohl in die Breite bringen, erwiderte die ITW, deshalb darf die Anforderung nicht zu hoch sein und der Preis nur wenig steigen. Man wähnte sich mit dieser Strategie als die erfolgreichste Tierwohlbewegung überhaupt.

Aber dieses „gefühlte“ Erfolgsmodell verliert drastisch an Bedeutung. Mit der Umsetzung der gesetzlichen THKG und dem wachsenden Druck des Handels auf Fleisch der Stufen 3 und höher wird das klassische ITW-Modell zur Übergangsstufe, wie Aldi-Süd Managerin Julia Adou formuliert.

... oder folgt der Karawane

Gerade noch mal konnte die ITW für das bisherige Modell seine Daseinsberechtigung in nächster Zukunft sichern – aber nur weil es sich ab 2025 an die Stufe 2 des THKG anpasst. Die ITW übernimmt deren Anforderungen an den Platzbedarf und Strukturelemente, zudem die Bio-Stufe 5, die bisher nicht vorhanden war. Außerdem wird man die Handelsform 3 (Frischluft) und 4 (Auslauf) des Handels mit den staatlichen Vorgaben in Übereinstimmung bringen (müssen).

Die ITW dürfte zukünftig als Kontroll- oder Mittlerinstanz einzustufen sein und als Orientierung für die Preisgestaltung der Stufe 2, die nicht staatlich gefördert wird und ihren Mehraufwand allein am Markt realisieren muss.

Durch die Anpassung an die staatliche Stufe 2 empfiehlt die ITW ab April 2025 einen Zuschlag von 7,50 €/Schwein (statt bisher 5,28 €), den der Abnehmer dem Schweinemäster zahlen soll. Der Schlachter soll ihn an den Handel weitergeben. Diesen Zuschlag bekommt der Mäster nur, wenn er zuvor ITW-Ferkel eingestallt hat. Sonst bekommt er nur 6,50 €, ab 2026 sogar nur 6 €. Sauenhalter bekommen aus einem Fonds des Handels 4,50 € pro Ferkel, wenn sie an einen ITW-Mäster liefern. Tatsache ist auch, dass die ITW-Mäster zurzeit nur zu einem Viertel mit ITW-Ferkeln beliefert werden. Dieses System ist sicherlich keine schlanke Bürokratie, stützt aber die Nämlichkeit, d.h. die einheitliche durchgängige Transparenz von Geburt bis zur Theke. Damit ist man dem Gesetz deutlich voraus, das bisher die Ferkelerzeugung nicht integriert.

Der Druck des Handels auf höhere Stufen und der Rückgang des Fleischverzehrs (auch 2024 bisher um 5%) schmälert die „Erfolgsgeschichte“ deutlich. Etwa 15% der heutigen ITW-Schweine werden am Markt nicht gebraucht. Bei Verträgen wird die Schlachtindustrie nun vorsichtiger agieren. Die Branche fragt sich, wie die Bauern auf das neue Angebot reagieren – weitermachen oder vorwärts Richtung Stufe 3 und höher oder rückwärts zum Mindeststandard von Stufe 1.

Der Marktbeobachter ist sicher, dass sich die ITW der Dynamik des Handels zu mehr Tierwohl nicht entziehen kann. Das bisherige „Erfolgsmodell“ wird dringend erweitert werden müssen auf höhere Stufen, sonst wird die ITW-Stufe zur Tierwohl-Resterampe. Ob die ITW aber für diese höheren Stufen benötigt wird, hängt von der Umsetzung des THKG durch die Bundesländer ab.

Unstrittig ist die Karawane Richtung mehr Tierwohl unterwegs – entweder man reist mit oder wird in Zukunft am Rand stehen. Unbestritten ist aber auch die Wichtigkeit der ITW für andere Bereiche wie Rindfleisch oder Milch, solange der Gesetzgeber „nicht in die Pötte kommt“. Im Berliner Umfeld hört man immerhin, es solle in den nächsten zwei Monaten einen Entwurf für Rindfleisch (und Milch?) geben. Es wird auch höchste Zeit, sonst kann der Handel gleich das Gesetz schreiben.