Erzeugerpreise 2022: von super bis bedrohlich

Marktbeobachtungen von Hugo Gödde

2022 war landwirtschaftlich gesehen ein sehr ungewöhnliches Jahr. Auf dem Hintergrund der Energiekrise, die bereits 2021 begann und drastisch verschärft durch den Ukraine-Krieg änderten sich die Märkte weltweit und eben auch in Deutschland. Aber Marktverwerfungen treffen die Beteiligten unterschiedlich. Eingespielte Wege sind plötzlich verstellt und die Gewinner von gestern können die Verlierer von heute sein – und umgekehrt. Nachdem jahrelang die Marktpreise, auch die Erzeugerpreise, bei allen konjunkturellen Bewegungen immer um Werte oszillierten, die für den Durchschnitt der Bäuerinnen und Bauern nicht auskömmlich waren, bei dem nur – wie es in Behördensprache heißt – das oberste Viertel der Betriebe eine Perspektive für sich sehen konnte, war das Jahr 2022 irgendwie anders.

Erzeugerpreise überdurchschnittlich gestiegen

An eine Inflationsrate von 10% kann sich kaum noch jemand erinnern. Aber es war eigentlich immer so, dass Lebensmittel eine Inflationsbremse waren. Das war wie ein ökonomisches Gesetz. Sonst müssen die Arbeitnehmer höhere Löhne fordern und die Spirale dreht sich weiter. In diesem Jahr, besonders in den letzten Wochen, läuft ein anderer Film ab. Die Erzeugerpreise landwirtschaftlicher Produkte sind im Oktober um 37,9% zum Vorjahr gestiegen, berichtet das statistische Bundesamt. Die pflanzlichen Produkte sind um 26%, die tierischen gar um 46% gewachsen. An der Spitze liegt die Milch mit 56%. Getreide liegt um 33%, Gemüse um 35%, Kartoffeln sogar um 86% höher. Die Preissteigerung bei Rindern betrug 16,5 %. Die Preise für Geflügel waren im Oktober 2022 um 34,4 % höher als im Oktober 2021. In den Geschäften lagen die Nahrungsmittelpreise mit 20% doppelt so hoch wie die Inflationsrate.
Und das Ifo-Institut der deutschen Wirtschaft setzt noch einen drauf. Nach ihrer Meinung zieht die Landwirtschaft übermäßige Gewinne aus der gegenwärtigen Krise. Nach Einschätzung von Prof. Ragnitz erklären die gestiegenen Preise für Energie und Vorleistungen allein nicht das ganze Ausmaß der Inflation in Deutschland.
„Vielmehr scheinen Unternehmen in einigen Wirtschaftszweigen die Preissteigerungen dazu genutzt zu haben, ihre Gewinne auszuweiten. Das gilt vor allem für den Handel, die Landwirtschaft und den Bau“, in denen deutlich mehr als die höheren Vorleistungskosten weitergegeben würden.

Krisengewinner Landwirtschaft?

Der Aufschrei aus Teilen der Landwirtschaft war entsprechend laut. Keine Ahnung, Neiddebatte, vom Grünen Tisch aus, Theoretiker, die mal selbst auf dem Hof arbeiten sollten, waren noch die harmloseren Kommentare.
Selbst der Bauernverband kam in seinem Situationsbericht nicht daran vorbei, das Wirtschaftsjahr Juli 2021/ Juni 2022 weitgehend positiv zu bewerten. Und die Statistiken (s.o.) zeigen, dass es seit Sommer eher noch nach oben ging.

Um 14% wuchsen die Erträge, so die Buchführungsergebnisse, während die Aufwendungen sich um 8% erhöhten. Die Kostensteigerungen bei Energie sowie Dünge- und Futtermittel wirkten sich also nicht so bedrohlich aus wie vielfach angenommen. Im einzelnen – und das überrascht am meisten – lagen die Milchviehbetriebe (Futterbau) mit gut 95.000 € an der Spitze der Unternehmensergebnisse. Es folgten Ackerbau- und Öko-Betriebe mit etwa 92.000 € vor den Schweinemast- und Sauenbetrieben, die sich ein zweites Jahr am Ende wiederfanden.

Nimmt man die letzten drei Jahre zusammen, so liegen – wiederum nach den unternehmensbezogenen Zahlen des Bauernverbandes – die Ökobetriebe mit im Schnitt knapp 82.000 € vorn vor den Veredlungsbetrieben mit 76.000 €, den Ackerbaubetrieben mit 72.000 und den Milchviehbetrieben mit 70.000 €.

Interessanter für bäuerliche Familienbetriebe sind die Resultate je Familienarbeitskraft. Im Schnitt haben die Landwirte ein „Bruttomonatseinkommen“ von 4.700 € erwirtschaftet, wovon noch für die Sozialversicherung 700 € pro AK abzuziehen sind. Zu finanzieren sind daraus auch „existenzsichernde Neuinvestitionen“ und Steuern. Wie gesagt: im Schnitt. Aber was sagt der Schnitt schon aus, wenn es um den eigenen Hof geht?

Bei den Bundesländern ist das „ackerbaulastige“ Schleswig-Holstein aktuell an der Tabellenführung mit 91.000 € je FamilienAK vor Niedersachsen, denen die schlechten Schweineerlöse die sonst übliche Spitze „versaut“ haben. Hinten liegen - wie immer - Bayern, Baden-Württemberg und Hessen mit ihren kleineren Betrieben und etwa der Hälfte der Gewinne aus dem Norden.

Produktionsrichtungen differieren stark

Nun ist das mit den Statistiken immer so eine Sache. Sie verschleiern häufig mehr als sie aussagen. Zu differenzieren wäre nach Betriebsgrößen, nach Bodengüte, nach Klima oder nach Höhenangaben usw. Auch das Management, der familien- und arbeitsmäßige Einsatz darf nicht unterschätzt werden.
Aber nimmt man einzelne Märkte heraus, ergibt sich für das letzte Wirtschaftsjahr und die Monate seit dem Sommer überschläglich ein klareres Bild.

Milch: Disziplin stützt Preis

Die Milchviehhalter hatten ein sehr gutes 2022 mit nie gekannten Milchpreisen, die in diesem Jahr, besonders seit dem Frühling auch endlich auf den Höfen angekommen sind. Mit etwa 54 ct/kg Milch im Schnitt fahren sie ein Rekordergebnis ein. Nach 10 schwierigen Jahren erwischen die Milcherzeuger endlich einmal ein gutes Jahr. Reduzierte Anlieferungen und gute Weltmarktpreise waren die Helfer. Aber eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Es reicht noch nicht, um den Höfeexodus zu stoppen. Dazu braucht es mindestens noch ein weiteres „2022“. Aber die Aussichten trüben sich ein. Die Weltmarktpreise bröckeln, die Signale der Milchbörsen sind alles andere als erfreulich. Der Preishöhepunkt scheint überschritten. Wenn jetzt noch deutlich mehr produziert werden sollte, könnte nach und nach der Rückwärtsgang angesagt sein. Deshalb ist Produktionsdisziplin die erste Milchbauernpflicht.

Getreide: globale Abhängigkeiten 

Der Getreidebau konnte trotz höherer Kosten (Dünger, Energie) von den globalen Umständen profitieren. Weizen, Gerste, auch Raps konnten schon in 2021/ 2022 um 50% im Erlös zulegen, diese Ernte wird sogar noch übertreffen. Die Buchführungsergebnisse sprechen von einem kräftigem Gewinnplus. Das nützt natürlich besonders den großen Ackerbauunternehmen im Osten. Aber vorsichtig: mit dem Klimawandel, Trockenheit, Dürre kann sich der Wind schnell drehen. Aber die wachsenden Börsenspekulationen am Weltmarkt werden die „Volatilität“ hoch halten.

Schweinehaltung mitten im Umbruch

Die Schweinehalter haben seit zwei Jahren die schlechtesten Bedingungen. Der Schweinemarkt steht mitten im Umbruch – ob mit der Politik oder ohne. Das seit Jahren rückläufige Konsumverhalten, die fehlenden Exportmöglichkeiten, die mangelnden Perspektiven für Betriebsinhaber und Nachfolger, die Unklarheiten über die Akzeptanz der Verbraucher, die gesellschaftlichen Diskussionen um Billigfleisch und Massentierhaltung lassen immer mehr Bäuerinnen und Bauern an ihrer Zukunft zweifeln. Innerhalb eines Jahres haben fast 10% der Schweinehalter die Produktion eingestellt, in den Intensivregionen des Nordwestens um 8%, in Baden-Württemberg um 12%. Bei den Sauenhaltern ist der Einbruch noch stärker. Inzwischen fehlen Ferkel für die Mast, aber auch die Ferkelerzeuger, die sich die arbeitsintensive, schlecht bezahlte Produktion noch antun wollen. Die Gefahr der Abhängigkeit aus Dänemark und Niederlande wird größer, aber auch dort wird kräftig abgestockt. Selbst die EU-Kommission erwartet europaweit einen Produktions- und Verzehrsrückgang. Das nächste Jahr wird erneut eine große Herausforderung. Ob der Markt oder die Politik mit einer Haltungskennzeichnung eine Hilfe bietet, ist schwer abschätzbar.

Lage besser als die Stimmung

Abgesehen vom Schweinemarkt war 2022 alles in allem kein schlechtes Landwirtschaftsjahr. Es bietet - mit genannten Ausnahmen – nicht so viel Grund zum Klagen. Auch die Betriebe mit erneuerbaren Energien waren auf der Sonnen- oder Windseite. Trotzdem ist die Stimmung auf den Höfen alles andere als gut. Ist die Lage besser als die Stimmung und wenn ja, warum?

Der Marktbeobachter fragt in Festtagsstimmung: Warum freut man sich nicht einfach mal über die guten Ergebnisse, über den Erfolg? Kann man sich nicht auch mal von Jammermodus für eine Zeit verabschieden? Die letzten Jahre waren für viele Betriebe weiß Gott nicht zum Frohlocken. Die nächsten Jahre werden voraussichtlich nicht so gute Resultate bringen. Wichtig wäre, die richtigen Lehren aus diesem Jahr zu ziehen, wenn mal etwas Geld auf die Höfe gekommen ist. Dazu gehört - schwer genug - Perspektiven zu überlegen, die Ausrichtung des Hofes zu prüfen, Abhängigkeiten zu senken, auf die Klimakrise sich vorzubereiten. Und nicht sofort die Mörtelmaschine anzuwerfen für den nächsten Wachstumsschritt.
Und mal zur Ruhe kommen. Das haben sie sich verdient.

20.12.2022
Von: Hugo Gödde

1 ohne Umsatzsteuer; Quelle: Statistisches Bundesamt (Destatis)