Rund ein Jahr ist es her, da war ich zusammen mit meinem Sohn Peer zuletzt in Schweden. Im Oktober des letzten Jahres hatte er begonnen, bei uns auf dem Hof zu arbeiten, und ich hatte gedacht, es wäre cool, zum Einstand zusammen ein paar Tage nach Schweden zu fahren, nur wir, Vadder und Sohn. Peer hatte direkt nach seiner landwirtschaftlichen Lehre 2016/17 ein Jahr in Schweden als Landwirt gearbeitet, auf zwei Demeter-Betrieben in Nyköping und in Järna. Wir machten vier Tage lang eine kleine Rundreise durch Schweden und luden uns ganz frech bei den beiden Bauernfamilien zum Kaffee ein.
In und um Järna herum gibt es ein anthroposophisches Zentrum von einst erheblicher Anziehungskraft. Als ich 1999 erstmals dort war, stand der Ort in voller Blüte. Mir kam alles da auf eine durchaus sympathische Weise seltsam weltentrückt vor. Besonders gefiel mir die wirklich besondere Architektur, die den Schwedenstil der Holzhäuser mit den schiefen Winkeln und krummen Geraden der Anthro-Baumeister verband. Es gab landwirtschaftliche Betriebe, eine Gärtnerei, eine Mühle, eine Meierei, Waldorfkindergärten und -schulen, Betreuungseinrichtungen und eine große anthroposophische Klinik. Und obwohl dieser Ort rund sechzig Kilometer südlich von Stockholm auch irgendwie eine Welt für sich war, wirkten die Leute dort auf mich erstaunlich wenig verbohrt oder verbissen. Gerade die Bäuerinnen und Bauern, die ich kennenlernen durfte, kamen mir erstaunlich handfest vor. Gar nicht die vergeistigten Zauselbärte, die ich mir vorher vorgestellt hatte.
Dass die Anthro-Szene in Schweden derzeit in einer tiefen Krise steckt, ist nicht übertrieben. Eine Zeitlang war die anthroposophisch orientierte Medizin in Schweden verboten und die Klinik in Järna musste schließen. Auch die Demeter-Meierei im Ort geriet in finanzielle Schwierigkeiten und machte schließlich dicht. Für beide Höfe, auf denen Peer gearbeitet hatte, bedeutete dies, dass ihnen die ökologische Milchvermarktung wegbrach. Sie konnten zwar fortan zur Arla wechseln, aber nur als konventionelle Lieferanten, da es in Schweden zu jenem Zeitpunkt schon zu viel ökologisch erzeugte Milch auf dem Markt gab. Das war die Situation für Job und Cecile in Nyköping und Lukas und Amber in Järna, als Peer und ich sie besuchten. Sie hatten wunderbare Milchviehställe mit Platz und Einstreu ohne Ende, mit Heutrocknung und -lager, sie hatten tolle Demeter-Milchviehherden und sie mussten ihre Milch konventionell verkaufen.
Noch während wir bei Job und Cecile in der Bauernküche saßen, spiegelte ich diese Konstellation auf mich und auf meinen Betrieb. Als ich 1998 den Hof übernahm, war mir schon klar, dass ich ihn auf ökologische Landwirtschaft umstellen wollte. Aber öko erzeugen und konventionell vermarkten, das war für mich niemals eine Option. Also wartete ich drei Jahre mit der Umstellung, bis ich in eine bestehende Ökomilchvermarktung einsteigen konnte, die mir damals zumindest zwei Cent Ökozuschlag einbrachte. Im Angesicht von Jobs und Ceciles Situation kam ich mir plötzlich wie ein prinzipienloser Warmduscher vor.
Die Alternative zum konventionellen Verkauf der Milch wäre das Aufhören gewesen, sagte Lukas in Järna. Aber aufhören? Ich habe diesen Stall, ich habe diese Herde, das kann ich doch nicht alles wegwerfen! Und es werden wieder andere Zeiten kommen, da bin ich sicher! Wenn jetzt einer kommt und will Demeter-Milch, dann kann ich sie liefern! Sofort!
Dieser Optimismus imponierte mir total. Wir standen bei Lukas im Stall und Peer erkannte noch einige Kühe von früher, während mir wieder einfiel, dass Lukas jeden Sonntagmorgen den Stall alleine macht und dann zu lauter klassischer Musik nach dem Melken mit dem Gülleschieber durch die Stallgasse tanzt. Dabei hatte Peer ihn einmal beobachtet und seitdem bleibt das in meinem Kopf ein Bild purer bäuerlicher Freude.
Bis also einer kommt und von Job und Cecile und von Lukas und Amber Demeter-Milch kaufen will, machen sie weiter und melken. Damit nicht alles konventionell weggehen muss, haben Job und Cecile angefangen, Teile ihrer Milch zu verkäsen und direkt zu vermarkten, während Lukas und Amber in eine kleine Vorzugsmilchvermarktung eingestiegen sind. Bäuerliche Selbsthilfe. Wir standen draußen; es war ein dunkler, trüber schwedischer Herbsttag; der Wind trieb Regen übers Land. Die dunkelsten Tage standen noch bevor, aber es war gewiss, dass das Licht zurückkommen würde. Und wenn in Schweden das Licht zurückkommt, dann richtig, so viel ist mal klar.
Bis dahin bin ich gespannt, wie es weitergeht mit Job und Cecile und Lukas und Amber und ihren so schönen Höfen. Ich freu mich jetzt schon auf das nächste Treffen.