Weidepflicht: Einige Biobetriebe werden aufgeben müssen

Die Europäische Kommission hat in einem Pilotverfahren gegen Deutschland klargestellt, dass Pflanzenfresser (Rinder, Schafe, Ziege) immer Zugang zu Weideland haben müssen, wenn der Betrieb als Ökobetrieb nach EU-Öko-Verordnung geführt werden soll. Mit dieser „Weidepflicht“ zum 1.1.2025 sieht der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter „viele Biomilcherzeuger vor unüberwindbaren Problemen“, fordert eine Überarbeitung der Regelung sowie auch „klare Kante“ von den Bioverbänden. „Eine Reihe von Betrieben vor quasi unlösbaren Herausforderungen“ sieht auch der Bayerische Bauernverband (BBV) und von „negativen Folgen“ spricht die bayerische Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber (CSU). Aber weder BBV noch Kaniber und auch die Landesvereinigung für den ökologischen Landbau (LVÖ) in Bayern erwägnen ein Vorgehen gegen die Weidepflicht. Es wird von einem Ausscheiden einiger Betriebe – darunter wohl auch einige Pioniere - aus dem Ökolandbau ausgegangen. Als bestehende Grundlage verweisen BBV, Kaniber und auch das Land Baden-Württemberg auf ein von der Länderarbeitsgemeinschaft Ökologischer Landbau (LÖK) im August 2024 beschlossenes „Weidepapier“.

Laut Weidepflicht darf der Weidezugang nur aus vorübergehenden Gründen eingeschränkt werden. Das kann der Zustand des Bodens, die Witterung, die jahreszeitlichen Bedingungen oder eine behördliche Anordnung zum Seuchenschutz sein. Das Pilotverfahren wurde im November 2024 von der Europäischen Kommission für beendet erklärt. Denn die Bundesregierung hat zum einen der Position der Kommission zugestimmt und zum anderen die konsequente Umsetzung dieser Regelungen zugesichert.

BDM: Regelung bedeutet das Aus für ein Viertel der Biomilcherzeuger

Mit der Entscheidung der EU-Kommission, im Rahmen eines EU-Pilotverfahrens die Umsetzung der in der EU-Öko-Verordnung 848/2018 festgelegten Weidepflicht für Pflanzenfresser auch in Deutschland einzufordern, stehen viele Biomilcherzeuger nach Ansicht des BDM vor unüberwindbaren Problemen.

„Für mindestens ein Viertel der Biomilcherzeuger in Süddeutschland bedeutet diese Weideverpflichtung das Aus ihrer Biomilcherzeugung", stellt BDM-Vorstand Manfred Gilch fest. „Infrastrukturelle Gründe wie das Fehlen von Weideflächen am Stall, stark befahrene Straßen, die bei Weideaustrieb gequert bzw. auf denen die Kühe zu Weideflächen getrieben werden müssten, machen einen Weidebetrieb für die betroffenen Betriebe in der geforderten vollumfänglichen Form schlicht unmöglich."

„Für die betroffenen Biomilchbetriebe stellt diese seit 1.1.2025 geltende Weideverpflichtung auch einen Vertrauensbruch dar", so Gilch, selbst Biomilcherzeuger aus Franken. „Zum einen werden sie während der laufenden KULAP-Vereinbarung 010 („Ökologischer Landbau im Gesamtbetrieb") gezwungen, aus der Bioproduktion auszusteigen, zum anderen haben Bioanbauverbände ihren Mitgliedern, die vor dem 1.12.2018 dem Bioanbauverband beigetreten sind, noch im vergangenen Jahr mitgeteilt, dass für sie eine bis zum 31.12.2030 geltende Ausnahmeregelung von der Weidepflicht bestünde. Damit erwischt die Weidepflicht zum 1.1.2025 jetzt viele Betriebe kalt."

„In einem Schreiben an die bayerische Agrarministerin Michaela Kaniber und einem Gespräch mit EU-Kommissar Christophe Hansen haben wir auf die weitreichenden negativen Auswirkungen einer ausnahmslosen Umsetzung der Weidepflicht für Biobetriebe hingewiesen", erklärt Manfred Gilch. „Wer die Biomilcherzeugung stärken und sogar ausbauen will, muss sich umgehend dafür einsetzen, dass diese jetzt geltende Regelung überarbeitet wird", fordert Gilch. „Das erwarten wir von der Politik!"

„Wir werden einen faktischen Rauswurf aus der laufenden KULAP-Vereinbarung 010 nicht einfach so hinnehmen, das ist ein Vertrauensbruch erster Güte", betont Manfred Gilch.

„Von den Bioverbänden erwarten wir ebenfalls klare Kante. Sie müssen alles dafür tun, dass die in ihren Mitteilungen benannte Frist für eine Ausnahmegenehmigung eingehalten wird", fordert Manfred Gilch mit Blick auf die Biobranche.

„Auch unter Umweltaspekten ist diese rigorose Umsetzung zu hinterfragen. Betroffen sind häufig auch Betriebe, die viele kleinräumig strukturierte, nicht zusammenhängende Flächen haben – was unter Biodiversitätsgesichtspunkten von wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Seite oft als Idealkulisse beschrieben wird, unter Weidegesichtspunkten aber ein nicht praktikables K.O.-Kriterium darstellen kann. Betriebe, die jahrzehntelang ihre Flächen ökologisch bewirtschaftet haben, aber das Pech einer ungünstigen Hoflage und Flächenverteilung haben, verlieren nicht nur den Bio-Milchpreisaufschlag, sie verlieren auch ihre Öko-Flächenprämie, weil sie das Kriterium der Weidehaltung nicht vollständig einhalten können. Damit werden sie gegenüber reinen Marktfruchtbaubetrieben eklatant benachteiligt. Mit solchen starren Regelungen erweist man Natur, Mensch und Tier wirklich einen Bärendienst", zeigt sich Gilch überzeugt.

Kaniber: Betriebe werden Ökoproduktion einstellen müssen

In den Augen von Bayerns Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber hat der verpflichtende Weidezugang auch negative Folgen. Viele Ökobetriebe müssen nun zusätzliche Anstrengungen unternehmen, um die bereits hohen Tierwohlstandards weiter anzupassen. Anders werden die Betriebe den europäischen Anforderungen an den Ökolandbau nicht gerecht. Denn eines sei klar, betonte die Ministerin: „Eine ökologische Rinder-, Schaf-, Ziegen- oder Pferdehaltung wird zukünftig ohne Weidezugang nicht mehr möglich sein. Das wird aber leider auch dazu führen, dass entgegen unserem politischen Ziel nach Ausweitung des Ökolandbaus nun einige Betriebe trotz großer Anstrengungen die ökologische Produktion werden einstellen müssen. Das gilt vor allem dann, wenn ein Zugang zur Weide wegen der örtlichen Gegebenheiten nicht möglich ist. Das kann etwa bei Innerortslagen, aber auch bei vielbefahrenen Verkehrswegen der Fall sein. All das kann den Zugang zur Weide unmöglich machen. Bayern unterstützt die Betriebe aber nach Kräften. Mit dem Aktionsprogramm ‚Weideland Bayern‘ stärken wir die Weidehaltung.“

Das Aktionsprogramm „Weideland Bayern“ hat laut Kaniber ein klares Ziel. Das bayerische Landwirtschaftsministerium möchte generell die Weidehaltung in Bayern stärken. Dazu unterstützt es interessierte und betroffene Betriebe. Die Landwirtschaftsverwaltung begleitet die Betriebe dabei, nachhaltige Strategien zur Weidehaltung zu erarbeiten. Ökobetriebe, die den Weidezugang für ihre Tiere verbessern wollen, können sich auch an die Öko-Erzeugerringberatung wenden. Die Beraterinnen und Berater unterstützen die Betriebe bei der Suche nach individuellen Lösungen.

„Ich rate allen betroffenen Betrieben dringend, im Jahr 2025 mit der Umsetzung der Weidevorgaben zu beginnen. Denn Bio steht für höhere Tierwohlstandards. Und dazu gehört auch der Zugang zu Weideland, wie jetzt die EU verpflichtend festgestellt hat. Das wird bei der jährlichen Öko-Kontrolle entsprechend überprüft. Unsere Ämter schreiben die betroffenen Betriebe im Zusammenhang mit der bevorstehenden Antragstellung im Kulturlandschaftsprogramm bereits an, um sie zu sensibilisieren und um Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen“, so die Ministerin abschließend.

Der BBV bedauert sehr, dass Öko-Pflanzenfresser nicht mehr ohne Weide gehalten werden können, weil dies eine Reihe von Betrieben vor quasi unlösbare Herausforderungen stellt. Dennoch hofft der BBV, dass möglichst viele Betriebe „Öko“ bleiben können, und empfiehlt diesen, bei Bedarf auf Beraterinnen oder Berater der Öko-Erzeugerringe zuzugehen, um mit deren Hilfe individuelle Umsetzungswege zu finden.

Grundsätze des Weidepapiers

Das einstimmig beschlossene Weidepapier der LÖK, einem ständigem Arbeitsgremium der Agrarministerkonferenz, nennt folgende Grundsätze, die auf die jeweilige betriebsindividuelle Situation hin zu präzisieren sind, als Basis für das betriebsindividuelle Weidekonzept:

a. Beweidbare Flächen und Pflanzenfresser im Betrieb sind in das Weidekonzept einzubeziehen.

b. Jeder Betrieb, der Pflanzenfresser hält, betreibt Weidegang.

c. Pflanzenfresser haben in der Weidezeit grundsätzlich Zugang zu Weideland.

Und weiter heißt es in dem Papier:

„Pflanzenfresser müssen Zugang zu Weideland haben, wann immer die Umstände dies gestatten, es sei denn, es gelten mit dem Unionsrecht im Einklang stehende Einschränkungen und Pflichten zum Schutz von Gesundheit von Mensch und Tier (z. B. im Seuchenfall). Die Weidevorgabe kann auch z. B. durch Abgabe von Tieren an andere Öko-Betriebe mit Weidehaltung oder durch die Nutzung von Gemeinschaftsflächen nach Anhang II Teil II Punkt 1.4.2.2 Öko-BasisVO erfüllt werden.

Bedingungen (Umstände), die für den Zugang zu Freigelände, vorzugsweise zu Weideland, gemäß Anhang II Teil II Punkt 1.7.3 der Öko-BasisVO zu berücksichtigen sind, sind:

o Witterungsbedingungen,

o jahreszeitliche Bedingungen und

o der Zustand des Bodens.

Diese sind temporär und umfassen beispielsweise:

o extreme Trockenheit und Wassermangel, wenn aufgrund von Futtermangel auf der Weide eine bedarfsgerechte Futteraufnahme nicht möglich ist,

o lang andauernde Regenperioden und dadurch sehr aufgeweichte Weideflächen, bei denen die Beweidung zu einer nachhaltigen Schädigung der Grasnarbe führen würde,

o über die Wintermonate hinausgehende Eis- oder Schneelage

o Sturm- und Unwetterereignisse.

Gründe wie zum Beispiel strukturelle Bedingungen wie die betrieblich unzureichende Verfügbarkeit oder Erreichbarkeit des Weidelands führen zu keiner Einschränkung der Weideverpflichtung."