„So werden Strukturen zerschlagen“

Karin Artzt-Steinbrink, Geschäftsführerin der Milcherzeugergemeinschaft der Upländer Bauernmolkerei und Sven Lorenz, ihr Vorstand und Bio-Milchbauer, sprechen im Auto auf der Rückfahrt von der Biofach mit der Unabhängigen Bauernstimme über den turbulenten Bio-Milchmarkt:

Unabhängige Bauernstimme: Viele Biomilchviehhalter ächzen unter hohen Kosten und zu niedrigen Erzeugerpreisen, gleichzeitig veröffentlichen die Verbände Bioland und Naturland einen bei knapp 70 Cent liegenden Orientierungspreis, und auf der Biofach wird ein „Rekordwachstum“ des Marktes auch für Milchprodukte verkündet, wie passt das alles zusammen?

Sven Lorenz: Dieser Zwiespalt ist eine große Schwierigkeit. Erstmal: Wir sind froh über den Orientierungspreis, dass so öffentlich gemacht wird, von welchen Kosten die Preise herkommen müssten. Klar variieren die Kosten, regional aber nicht so stark, als dass das nicht ein Zeichen setzen würde. Wir haben ja auch seit längerem den Milchmarkerindex MMI, das sind alles Eckdaten, die kann man dem Handel mitgeben. Die bäuerlichen Betriebe haben hohe Kosten, und die Milchpreise kommen nicht hinterher, momentan wird das Bauernsterben nicht gestoppt. Aber wir haben inzwischen eine sehr unterschiedliche Molkereistruktur. Unsere Molkerei, die Upländer, ist ein mittelständisches Unternehmen, das zu 100 % Bio macht. Es gibt deutlich größere Akteure, da ist Bio nur die Schiene einer konventionellen Molkerei. Die können ganz andere Preise zahlen. Denn die Milch ist im Moment nicht nur knapp sondern extrem knapp. Das bedeutet, wir sind gerade mitten in einem Rohstoffkrieg, in dem es total davon abhängt, wie groß die Kriegskasse des Einzelnen ist.

Karin Artzt-Steinbrink: Den 100% Bio-Molkereien geht es im Moment allen ähnlich, während die großen Molkereien ganz andere Kompensationsmöglichkeiten haben. Sie können ihre Anlagen auch mit konventioneller Milch auslasten und durch eine günstigere Logistik u. ä. ausgleichen, wenn sie den Rohstoff teurer einkaufen. Wir, als die Pioniere, geraten da ins Hintertreffen.

Lorenz: Hinzu kommt: die Handelsmarken erleben einen Aufwind, und die Marken in den alten Strukturen haben viel verloren. Das heißt, konventionelle Molkereien mit Bioschiene, die sowieso schon nur in konventionelle Strukturen geliefert haben und liefern, können die Schwierigkeiten gerade doppelt abpuffern. Wir werden von links und rechts überholt von den Strukturen, die wir in den 90er Jahren überwinden wollten. Jeder schielt auf Milchpreisvergleiche und uns wird abgesprochen, dass wir versuchen, die Produkte zu einem fairen Milchpreis am Markt unterzubringen. So werden Strukturen zerschlagen. Gleichzeitig verändern sich Akteure, Edeka kauft eine eigene Molkerei, Denns auch mit dem großen Milchviehbetrieb in Thüringen, wir als bäuerliche Molkereien partizipieren nicht mehr zwangsläufig am Biomarkt. Es gibt eine Tendenz zur horizontalen und vertikalen Integration.

Bauernstimme: Das klingt alles ganz schön negativ, wo führt uns das hin?

Artzt-Steinbrink: Die Versorgungslage im Ausland ist genauso und konventionell ja auch. Es hören einfach viele Betriebe auf. Kein Wunder, wenn die Betriebsleiter sich nicht mal mehr Mindestlohn auszahlen können. Aber die Chancen sind schon auch groß, dass im Inland hinzubekommen. Unser Ziel ist und war immer, unseren Bauern und Bäuerinnen faire Milchpreise auszuzahlen!

Lorenz: Ich bin überzeugt davon, wir kriegen das über die Zeit schon hin. Wir versuchen jetzt, neben Produkten auch unsere Werte auch im Discountbereich zu platzieren, das geht auch, weil der Markt gerade so knapp ist. Und es gibt ein großes Interesse dort an Nachhaltigkeitsthemen. Die Chance, im konventionellen Handel die Preise anzupassen, war nie so groß wie jetzt in der Unterversorgung.

Bauernstimme: Was ist denn nötig für eine stabile langfristige Perspektive?

Lorenz: Wir brauchen Klarheit, als Molkerei Bezahlkontrakte über ein halbes Jahr hinaus, für die Höfe den Ansatz des MMI und des Orientierungspreises. Mit festen Preisen tue ich mich schwer, wir wissen nicht, wie sich das Preisgefüge entwickelt. Über uns als Molkerei hängt das Damokles-Schwert, alle halbe Jahre beim Handel rauszufliegen, wir müssen in ein stabiles Preissystem rein, ohne Vertrauen zu überfordern.

Artzt-Steinbrink: Uns schadet massiv, dass der Handel immer noch an Prozentaufschlägen festhält. 20 oder 30 % auf unsere sowieso schon teureren Produkte aufzuschlagen ist nicht mehr zeitgemäß. Sie hätten andere Möglichkeiten, aber es ist eine heilige Kuh.

Vielen Dank für das Gespräch!