Oktober 2022 in Deutschland: Milcherzeugungskosten gedeckt - Langfristige Kostendeckung als Grundvoraussetzung für stabile Produktion notwendig

Mit 47,51 Cent pro Kilogramm verharren die Milcherzeugungskosten weiterhin auf einem sehr hohen Stand. Das zeigt der vierteljährlich vom Büro für Agrarsoziologie und Landwirtschaft (BAL) errechnete und jetzt veröffentlichte Milch Marker Index (MMI = 115 Punkte; siehe Tabelle). Die aktuellen Milchauszahlungspreise führen jedoch dazu, dass die Herstellungskosten gedeckt sind. Die Deutsche Milcherzeugergemeinschaft (MEG Milch Board), die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) und das European Milk Board (EMB) fordern die Politik auf, jetzt die Rahmenbedingungen für ein gezieltes Mengenmanagement zu schaffen, um ein Zurückfallen auf die über Jahre andauernde Kostenunterdeckung zu verhindern.

Von Juli bis Oktober 2022 sind laut dem BAL die Herstellungskosten für Milch nur noch geringfügig weiter gestiegen. Die Einkaufspreise für landwirtschaftliche Betriebsmittel liegen schon seit Januar auf Höchstniveau, wobei die Preise für das Zukauffutter aber seitdem um 10 Prozent gefallen sind, während bei den Betriebsmitteln für den Ackerbau und Energie weitere Preisanstiege zu beobachten waren. Die Kosten für das Zukauffutter liegen bereits seit April 2022 über 12,5 Cent pro Kilogramm Milch. Von den Milcherzeugungsbetrieben konnten deshalb in den letzten drei Monaten keinerlei Kostensenkungen realisiert werden. Aber die zum Abzug kommenden Rindererlöse sind mit 6,04 Cent pro Kilogramm Milch auf Grund der hohen Erzeugerpreise sehr hoch.

Das Verhältnis zwischen den Milcherzeugungskosten und dem Auszahlungspreis verbesserte sich um fast 10 Prozent auf 1,25. Die Auszahlungspreise der Molkereien erreichten mit 59,33 Cent eine bisher noch nicht erreichte Höhe (ein Plus von 4,19 Cent bzw. 7,79 Prozent seit Juli 2022 und 23 Prozent gegenüber 2021). Dabei gab es große Unterschiede. In Niedersachsen und Schleswig-Holstein lagen die Milchauszahlungspreise mit 61,23 bzw. 60,62 Cent pro Kilogramm am höchsten. Die stärksten Zuwächse wurden dagegen in Bayern (+5,43 Cent auf 58,20 Cent pro Kilogramm) und in Baden-Württemberg (+4,81 Cent auf 58,07 Cent pro Kilogramm) verzeichnet. Auch in allen anderen Bundesländern lagen die Milchauszahlungspreise auf bisher nicht gekanntem Niveau zwischen 58 und 59 Cent je Kilogramm Milch.

(Zukünftig) Mehrwerte der Kuhmilch über Preiszuschläge vermarkten

Kontinuierliche Kostensteigerungen auf sehr hohem Niveau in Verbindung mit sehr niedrigen Milchauszahlungspreisen waren in den letzten sechs Jahren „normal“. Seit Juli 2022 ist die Situation neu. Milchbäuerinnen und -bauern decken die Kosten für die Herstellung von Milch. Neu ist auch, dass der Milchauszahlungspreis zu einer Verbesserung der Wirtschaftlichkeit bei den Bäuerinnen und Bauern beiträgt und nicht, wie bislang, zu einer selbstzerstörerischen Kosteneinsparung.

Nach Jahrzehnten der Kostenunterdeckung musste sich auf Grund der unfairen Marktregeln das Angebot durch das Höfesterben reduzieren. Gleichzeitig boomte der Weltmarkt. Ganz offensichtlich wird nun der Absatz auf dem für eine inländische Milcherzeugung notwendigen Mindestpreisniveau auf dem Weltmarkt schwierig. Das wiederum führt zu massiven Verwerfungen. Trotzdem ist für den Vorstandsvorsitzenden der MEG Milch Board Frank Lenz das Zurückfallen auf das Niveau der Kostendeckung keine Option.

Dass sich Milchmengensteigerungen ungebremst fortsetzen werden, bezweifelt Lenz. Ganz im Gegenteil: Die Indikatoren sprechen gegen ein strukturelles Milchmengenwachstum durch Stallneubauten oder -erweiterungen. Die Ausstiegszahlen aus der Milchproduktion sind, trotz guter Preise für Milch, nicht geringer. Es sind kaum mehr Genehmigungen zu erlangen, die Finanzierungskosten sind explodiert. Und nicht zuletzt fehlen die Fachkräfte und Hofnachfolger*innen. Solange die Bemühungen der Molkereien, durch Milchalternativen wie beispielsweise auf Basis kuhmilchfreier Fermentation, die Lücke zur vollen Auslastung ihrer Werke nicht schließen können, sind sie auf die Milch von uns Bäuerinnen und Bauern angewiesen. Die Ankündigungen einiger Molkereien, die Auszahlungspreise demnächst drastisch zu senken, tragen sicher nicht zu einer Ausweitung der Produktion bei. „Umso wichtiger ist es für diejenigen, die weiter natürliche Kuhmilch erzeugen wollen, sich zu überlegen, unter welchen Bedingungen das geschehen soll,“ fährt Lenz fort. „Wir müssen uns fragen: ‚Welche Mehrwerte bietet die Kuhmilch, und wie können wir diese Mehrwerte über Preiszuschläge vermarkten?‘ Die Auseinandersetzung mit diesen Fragen bietet die Chance, dass wir Bäuerinnen und Bauern uns nicht um jeden Preis in den Wettbewerb mit den günstigsten Milchalternativen um Marktanteile zwingen lassen müssen.“

Zusätzliche Sicherheit würde ein abgestimmtes Mengenmanagement schaffen. Lenz weiter: „Das können aber nicht die einzelnen Milcherzeuger*innen alleine regeln. Dafür müssen sie sich zu Erzeugergemeinschaften zusammenschließen und ihre Milch vertraglich geregelt verkaufen. Voraussetzung dafür ist die Einsetzung des Art. 148 GMO. Das wäre der erste Schritt, damit aus der aktuellen Situation das neue ‚Normal‘ wird.“

Für ein aktives Mengenmanagement setzt sich auch der Milch-Experte der AbL, Ottmar Ilchmann, ein, der mit Sorge beobachtet, dass aktuell die Preise im Großhandel und an den Börsen bereits stark fallen. So ist beispielsweise der vom Kieler Institut für Ernährungswirtschaft berechnete Rohstoffwert für Milch, der sich auf den Großhandel bezieht und im April 2022 noch bei 67,4 Cent lag, auf 47,9 Cent abgestürzt. „Wir hätten schon in der Hochpreisphase eher auf die Bremse treten müssen. Doch einigen hat es nicht gereicht, sie haben bei 60 Cent die Produktion gesteigert und damit begonnen, den Preis kaputt zu machen. Es gibt kein konzertiertes Handeln unter den Milchbauern“, erklärt Ilchmann und fordert, die Milchmenge an die Nachfrage anzupassen. Dabei sieht er auch die Bundesregierung in der Pflicht, indem diese die auch von Lenz geforderte Einsetzung des Art. 148 vornehmen müsse. „In Frankreich ist dieser Artikel in Kraft, um zu verhindern, dass die Schwächsten, also die Bauern, immer den Kürzeren ziehen“, so Ilchmann. Als weitere Möglichkeiten für eine entsprechende Rahmensetzung durch die Politik sieht er ein Verbot für Verkäufe unter den Herstellungskosten und mit Blick auf das Kartellrecht die von der EU eingeräumte Möglichkeit von Preisabsprachen, „wenn es darum geht, gesellschaftliche Leistungen in Wert zu setzen, also Tierwohl oder Klimaschutz“. Diese Vorgaben müsse die Bundesregierung einfach nur aufgreifen und in nationales Recht umsetzen.

Ähnlich formuliert es auch das EMB: „Langfristige Kostendeckung und die dafür notwendigen Reformen sind unabdingbar für eine nachhaltige und stabile Landwirtschaft. Die Politik wird insbesondere jetzt dazu aufgerufen, Rahmenbedingungen für einen krisenfreien und robusten Milchmarkt zu schaffen. Für die Milchviehhalter in ganz Europa sind langfristige Perspektiven die Grundvoraussetzung für eine stabile Produktion und für die Übernahme der Höfe und die Weiterführung der Erzeugung durch die jüngere Generation.“