Lob und Kritik zur Haltung des LEH

Die Ankündigungen des Lebensmitteleinzelhandels zur Haltungskennzeichnung und der mit ihr verbundenen Festlegung höherer Tierwohlstandards verursachen Lob und Kritik bei Tierschutzverbänden, überspannen den Bogen nach Ansicht des Bauernverbandes und sind für den niedersächsischen Umweltminister ein wichtiges Etappenziel auf dem Niedersächsischen Weg. Der Deutsche Tierschutzbund begrüßt, dass sich der Handel zu höheren Tierschutzstandards bei der Milch bekennt, sieht weiterhin auch die Politik in der Pflicht und fordert eine Verbesserung des Ordnungsrechts. „Nach dem Frischfleisch klettert der Handel nun bei der Milch auf der Haltungsformstufe nach oben. Dass sich etwas bewegt, ist gut und wichtig. Der Handel treibt die Politik vor sich her und zeigt, wohin die Reise gehen muss“, kommentiert Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes. Allerdings bleibe die aus Tierschutzsicht unzureichende Haltungsformstufe 2, die eine saisonale Anbindehaltung der Kühe zulässt, bei Aldi noch weitere acht Jahre erhalten. Netto und Edeka, bei denen die Umstellung lediglich die Eigenmarken betrifft, kommunizierten bisher kein Ausstiegsdatum für die Stufe 2. Auch Lidl nennt keinen Zeitplan. „Wir loben die ersten Schritte, jedoch sollten Produkte aus tierschutzwidriger Anbindehaltung - egal, ob ganzjährig oder saisonal – raus aus den Sortimenten. Hier könnte der Handel noch stärker, noch konsequenter vorangehen“, so Schröder. Denn auch bei der saisonalen Anbindehaltung stehen die Tiere die überwiegende Zeit des Jahres angebunden im Stall. Damit die angekündigten Umstellungen schnell greifen, sei der Handel in der Pflicht, die höheren Standards mit langfristigen Lieferverträgen und angemessenen Preisen für die Erzeuger zu flankieren, so der Tierschutzbund. Tierschutz gäbe es nicht zum Nulltarif. Mit seinem zweistufigen Tierschutzlabel „Für Mehr Tierschutz“ mache der Verband selbst ein Angebot für mehr Tierschutz in der Milchkuhhaltung. Die Milch aus den beiden Stufen wird im Handel mit der Haltungsformstufe 3 bzw. 4 gelistet. Politik muss Lücken im Ordnungsrecht schließen
Mit der Einführung der „Haltungsform“-Kennzeichnung und dem wachsenden Bekenntnis zu höheren Tierschutzstandards ist der Handel nach Ansicht des Tierschutzbundes vorgeprescht. „Die Initiativen der Handelsunternehmen entbinden die Politik jedoch keineswegs von ihren Pflichten“, stellt Schröder klar. „Der Gesetzgeber muss endlich Lücken im Ordnungsrecht schließen, um den Tierschutz in den Ställen sicherzustellen und um den notwendigen gesetzlichen Rahmen zu schaffen.“ Der Deutsche Tierschutzbund kritisiert seit Langem, dass es bis heute keine konkreten gesetzlichen Vorgaben für die Haltung von Milchkühen gibt. Ebenso fordert er ein Verbot jedweder Anbindehaltung. PROVIEH: Zu niedrige Anforderungen
Die Tierschutzorganisation PROVIEH begrüßt den Schritt des LEH grundsätzlich, zeigt sich aber enttäuscht über die niedrigen Anforderungen der einzelnen Stufen. „Die Stufen 2 und 3 fallen deutlich hinter dem zurück, was heute schon in der Milchviehhaltung Standard ist. Die Messlatte könnte niedriger nicht hängen“, kommentiert Anne Hamester, Fachreferentin für Nutztiere bei PROVIEH. „Weder kann die Anbindehaltung in der höherwertigen Stufe 2 noch die Laufstallhaltung ohne Weide in Stufe 3 akzeptiert werden“. PROVIEH fordert, dass der Laufstall in Stufe 2 und die Verpflichtung zur Weidehaltung in Stufe 3 Mindestvoraussetzungen sind. Die Anbindehaltung darf sich allenfalls in der Stufe 1 wiederfinden, ist ein Verbot dieser Haltungsform doch in Aussicht gestellt. Stattdessen findet sich die Anbindehaltung in der angeblich höherwertigen Stufe 2 wieder. Hinter Stufe 3 verbirgt sich ein Laufstall – nicht viel mehr als der Standard in der deutschen Milchviehhaltung. Bereits 90 Prozent aller Kühe in Deutschland werden heute in Laufställen gehalten, 30 Prozent der Tiere kommen auf die Weide. „Die Supermärkte listen die niedrigen Haltungsstufen 1 und 2 aus, um einen Beitrag zum Umbau hin zu tiergerechteren Haltungsformen zu leisten. Die Anspruchslosigkeit dieser Stufen macht die Auslistung im Gegensatz zum Frischfleisch jedoch deutlich weniger wirksam: in der besonders hochwertig dargestellten Stufe 3 findet sich die heute ohnehin übliche Form der Laufstallhaltung wieder. Ein wichtiger Beitrag für die Transparenz gegenüber Verbraucher:innen und für das Tierwohl wird hiermit verfehlt“, zeigt sich Anne Hamester enttäuscht. Bauernverband: Kleine Betriebe mit Anbindehaltung an den Rand gedrängt
Angesichts der LEH-Ankündigungen wird der Bauernverband zum Fürsprecher der kleinen Betriebe. Nach Ansicht des Präsidenten des Bayerischen Bauernverbandes (BBV) Walter Heidl gelinge es „den Riesen der Handelsketten“ einfach nicht, „nach vorne zu schreiten, ohne dabei den Bogen zu überspannen“. Die Verhandlungen der Tierwohlprogramme für Milch (QM+) und Rindfleisch (Initiative Tierwohl – Rind), geeignet für Haltungsstufe 2 des LEH, stehen laut Heidl kurz vor der Finalisierung. „Doch nun das: Edeka kündigte nicht nur die Teilnahme am Programm, sondern im gleichen Atemzug auch einen ‚konsequenten Verzicht der niedrigsten Haltungsform 1‘ bei den Eigenmarken der Trinkmilch an. Heißt übersetzt: Ein weiterer Riese lässt besonders die kleinen Betriebe im Regen stehen. Es sind die Betriebe, die bereits heute an freiwilligen Qualitätssicherungsprogrammen teilnehmen, aber die Anforderungen für die genannten Tierwohlprogramme meist aus fehlender Wirtschaftlichkeit und Planungssicherheit nicht erfüllen können. Es sind vor allem auch die kleineren Betriebe mit ganzjähriger Anbindehaltung, die schlagartig an den äußersten Rand gedrängt werden. Gerade diese Betriebe, die in der öffentlichen Diskussion immer wieder für so erhaltenswert bezeichnet werden. Diese lassen die Handelsketten einfach fallen“, heißt es beim BBV. Der BBV habe sich bei der gemeinsamen Erarbeitung der Tierwohlprogramme QM+ bzw. Initiative Tierwohl - Rind massiv für die kleineren Strukturen in Deutschland stark gemacht. „Der LEH hatte daran leider überhaupt kein Interesse“, sagt Heidl. „Frustrierend kommt die fehlende Zahlungsbereitschaft des LEH für Tierwohl hinzu. Denn eines steht fest: Die Landwirtschaft war und ist bereit, sich den Herausforderungen zu stellen – die einen schneller, die anderen langsamer.“ Dennoch machte der LEH unmissverständlich klar, dass der Preis für den ursprünglich gemeinsam zusammengestellten Tierwohlkatalog am Markt nicht zu erlösen sei und massiv reduziert werden müsse. Heidl: „Den Preis für einen ‚konsequenten Verzicht der niedrigsten Haltungsform 1‘ zahlen die Landwirte – das ist mehr Schein als Sein. Der LEH betont immer wieder das Wort ‚Gemeinsamkeit‘. Wenn es drauf ankommt, lebt er es jedoch nicht. Eine ehrliche Gemeinsamkeit fordert der Bayerische Bauernverband heute und jetzt ein! Wir fordern ein Voranschreiten in einem Takt, den auch die kleineren Betriebe mitgehen können“, so Heidl. Der Präsident des Hessischen Bauernverbandes und Vizepräsident des Deutschen Bauernverbandes, Karsten Schmal, begrüßt zwar das Vorhaben von Aldi, bis 2024 Trinkmilch nur noch aus heimischer Landwirtschaft anzubieten, übt jedoch ebenfalls deutliche Kritik am Verzicht des LEH auf die Anbindehaltung. „Damit werden vor allem kleinere Familienbetriebe, in denen die Anbindehaltung von Milchkühen, wie zum Beispiel in Süddeutschland, noch stark verbreitet ist, aus dem Markt gedrängt. Denn es ist unmöglich, innerhalb weniger Monate auf andere Haltungsformen umzustellen“, so Schmal. Im Übrigen hätten die Milchviehbetriebe durch den Bau von modernen Boxenlaufställen die Haltungsbedingungen von Milchkühen entscheidend verbessert. „Grundsätzlich sind unsere Milchviehhalter bereit, neue Erwartungen an Tierwohl zu erfüllen. Mit den damit verbundenen höheren Kosten dürfen die Betriebe jedoch nicht allein gelassen werden. Hier ist zunächst der Lebensmitteleinzelhandel gefordert. Des Weiteren sind ausreichende Vorlaufzeiten unabdingbar“, betont Schmal. Lies: Wichtiges Etappenziel
Der niedersächsische Umweltminister Olaf Lies sieht in den „Tierwohlversprchen auf Trinkmilch“ des LEH ein wichtiges Etappenziel auf dem Niedersächsischen Weg. „Es ist gut, dass der Handel sich auf den Weg macht und für die Stärkung des Tierwohls nun Zeitpläne festlegt, um im eigenen Sortiment eine Umstellung zu erreichen“, sagt Umweltminister Olaf Lies. „Das erweiterte Tierwohlversprechen auf Trinkmilch ist auch ein wichtiges Etappenziel auf dem gemeinsamen Niedersächsischen Weg und ein richtiger Schritt des Lebensmittelhandels“. Gemeinsames Ziel des Niedersächsischen Weges sei die enge Verzahnung zwischen Umweltschutz, Landwirtschaft, dem Lebensmitteleinzelhandel und weiteren Akteuren entlang der Wertschöpfungsketten und den Verbrauchern zu erreichen. „Mit der Fokussierung auf die Haltungsformstufen 3 und 4 werden seitens der Unternehmensgruppe Aldi gute Rahmenbedingungen geschaffen, um auch unsere Niedersächsischen Milch- und Fleischprodukte aus Weidehaltung, Konsumenten und Konsumentinnen anbieten zu können“, sagt Olaf Lies. Weidehaltung wirkt sich nachweislich positiv auf Arten- und Klimaschutz aus. Das Land Niedersachsen hat mit der Zielsetzung, die Prozesse der Milcherzeugung stärker auf Tierwohl, Klima- und Artenschutz auszurichten, das Gütesiegel „Pro Weideland“ auf den Weg gebracht, das demnächst in die Haltungsformstufe 3 der Initiative Tierwohl eingruppiert werde.