Marktbeobachtungen von Hugo Gödde +++ Der deutsche Lebensmitteleinzelhandel ist hochkonzentriert. Die „Big Four“ Schwarz (Lidl, Kaufland) Aldi, Edeka, Rewe bewegen etwa 80% des Umsatzes mit Lebensmitteln (LM) und können die Bedingungen des „Food“-Marktes bestimmen. Aber wo stehen die deutschen Konzerne in Europa und gar in der Welt? Was gilt „made in germany“ im internationalen Lebensmittelsektor? Sind die Konzentration und das deutsche Geschäftsmodell ein Vorbild für Europa und die Welt? Die Antwort der Experten: eindeutig JA.
Europas Spitze: 4x Deutschland
In Europa dominieren die deutschen Lebensmittelkonzerne eindeutig. Vier der ersten fünf Plätze gehen nach Deutschland. Spitzenreiter mit riesigem Vorsprung ist die Schwarz-Gruppe (Lidl und Kaufland) mit 186 Mrd. € Umsatz. Es folgen die Rewe-Group mit 97 und Aldi mit 89 Mrd. €. Hinter der französische Carrefour liegt Edeka mit etwa gleichen 73 Mrd. €. Erst danach rangiert mit Tesco der erste Brite vor Leclerc (Frankreich) und Ahold Delhaize (Niederlande/Belgien, bekannt mit Albert Heijn).
Der Abstand zur Konkurrenz wird immer größer. In 2024 erzielt die Schwarz-Gruppe europaweit erstmals genauso viel Umsatz wie die beiden Verfolger Rewe-Group und Aldi (Nord und Süd) zusammen. Das war in den Vorjahren noch nicht so. Die deutschen Händler sind somit für die internationalen Lieferanten eine unübersehbare Hausnummer in Europa, da sie europaweit eine breite Distribution bieten. Schwarz hat 14.000 Verkaufsstellen, Rewe 12.000. Die früheren europäischen Top-Player Tesco, Carrefour und Ahold spielen noch mit, aber hauptsächlich in der heimatnahen zweiten Liga.
Die deutsche Dominanz wird unübersehbar. Die „Big Four“ erlösen 445 Mrd. Euro in Europa. Die sechs großen Franzosen (Carrefour, E.Leclerc, ITM, Auchan, Coopérative U, Casino) nur 248 Mrd. Und die vier großen Food-Briten (Tesco, Sainsbury‘s, Asda, Morrisons) landen zusammengerechnet bei nur noch 159 Mrd. Euro. Sie sind fast nur noch national tätig und haben Auslandseinsätze zusammengestrichen.
Vor allem die Discounter Aldi und Lidl verfolgen einen scharfen Expansionskurs mit Schwerpunkten u.a. in England, Frankreich und Spanien. In England z.B. fordern sie den Platzhirschen Tesco mit Dumpingpreisen heraus, auf die die klassischen Einzelhändler noch eine Antwort suchen. Der Discount (zuerst von Aldi = Albrecht + discount in den 1960/1970er Jahren aus den USA importiert) scheint eine deutsche Strategie geworden zu sein, die nun anderen Ländern das Fürchten lehrt.
Edeka, per Genossenschaftsbeschluss auf den heimischen Markt begrenzt, was manche Marktkenner für provinziell erachten, wehrt sich dagegen mit der Führung in europäischen Einkaufsgemeinschaften mit anderen EU-Händlern wie „Everest“, um mindestens die Umsatzstärke beim Einkauf preisdrückend zu nutzen. Nach anfänglichen Rückschlägen, weil sich Edeka zu sehr als Dominator aufführte, scheint der neuerliche Versuch bessere Ergebnisse zu zeitigen, was aber regelmäßig zu heftigen Konflikten mit globalen Herstellerkonzernen wie Coca Cola, Nestlé, Ferrero usw. führt.
Weltspitze 1-10: 7x USA plus 2x Deutschland plus 1x China
Deutschland ist wahrlich kein Riese auf dem Konsummarkt für Lebensmittel. Aber „unsere“ LM-Konzerne spielen ganz vorn mit in der globalen Champions-League. Angeführt vom dem mit riesigem Abstand herrschenden „Walmart“ mit 648 Mrd. US$ folgen Amazon (252 Mrd. US$) und Costco (242 US$). Zwischen der Schwarz-Gruppe auf Platz 4 und Aldi (Platz 7) rangieren zwei weitere US-Konzerne, auf Nr. 8 liegt mit JD.com der größte chinesische Händler. Beim Gruppenumsatz ist nach den Berechnungen der führenden Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte Rewe die Nr. 14 und Edeka die Nr. 19. Die EU-stärksten Discounter Lidl und Aldi erzielten in den letzten fünf Jahren ein globales Wachstum von fast 10% - im Jahr! Und weit über dem Branchendurchschnitt von 3,6%. Sie sind inzwischen auch jenseits des großen Teichs tätig und wollen das Feld von hinten aufrollen, bisher mit gewissem Erfolg im dem heftig umkämpften Markt USA. Der Expansionsdrang ist groß, Aldi wurde gerade zum fünften Mal in Folge zur Supermarktkette des Jahres in Australien gewählt. Aber nicht alles ist erfolgreich. Lidl zog sich vor einigen Jahren mit gehörigen Verlusten aus Australien zurück.
Übrigens: nach den LM-Riesen kommen unter den deutschen LEH-Konzernen mit gebührendem Abstand die Drogeriemärkte Rossmann auf Platz 81 und dm auf 105. Sie haben sich in den letzten Jahren unbemerkt an anderen Händlern vorbei nach vorn geschoben. Auch sie drängen über Ländergrenzen.
Konzentrationsrisiken: „too big to fail“ und “einmal hin, alles drin“ am Beispiel „Metro“
Marktexperten schließen daraus, dass die deutschen Lebensmittelkonzerne auf Weltniveau wirtschaften. „Made in Germany“ gilt etwas im Food-Sektor. Beteiligte in Nachbarländern schauen nicht selten mit Respekt oder Neid über die Grenzen. Aber die hohe Konzentration hat auch ihre Schattenseiten. Davon können viele Hersteller und natürlich auch die Erzeuger unendliche Geschichten aus ihrer Erfahrung berichten. Und was passiert, wenn einer der LM-Riesen ins Trudeln gerät – wie das Beispiel der Warenhauskette Metro mit ihren Real-Märkten zeigte. Metro, noch anno 2000 mit 300 Märkten der Inbegriff für den Großeinkauf auf der grünen Wiese, kaufte noch 2006 die Deutschlandhäuser vom US-Koloss Walmart, geriet immer mehr in finanzielle Schieflage und verkaufte 2018 seine verbliebenen Real-Märkte, galt aber noch als „zu groß zum Sterben“. Nach mehrjährigem Hin und Her mit dem Kartellamt und der Insolvenz 2023 übernahm zuletzt Kaufland mit 128 die meisten Filialen, 67 gingen an Edeka, einige an Rewe und Globus, manche wurden inzwischen weitergegeben oder abgestoßen. Mindestens 50 wurden geschlossen, ca. 4.000 Arbeitsplätze gingen verloren, nachdem der Staat mit Insolvenz- und sonstigen Geldern eingegriffen hatte, wie die Gewerkschaft Verdi kritisierte. Seit März 2024 ist endgültig Schluss. Der alte Real-Slogan „einmal hin, alles drin“ wurde zum Spott-Werbegag.
Nebenbei: der Marktbeobachter sieht mit Sorge die gegenwärtige Konzentrationswelle in der Nahrungsmittelindustrie und fragt sich angesichts der oligopolistischen Trends im Handel, wie unsere Marktwirtschaft und beispielhaft das Kartellamt damit umzugehen gedenkt. Mit der Übernahme von Vion wird Tönnies der mit Abstand größte Fleischverarbeiter für Rind- und Schweinefleisch. Und mit der Übernahme der DMK, dem deutschen Milchkonzern Nr.1, durch den dänisch-schwedischen Genossenschaftskonzern Arla entsteht das mit weitem Abstand größte Milchunternehmen. Vielen gilt Größe als Zeichen von Wettbewerbsstärke, aber die wirtschaftlichen Verluste der Lieferanten und (regionalen) Marktstrukturen und die Risiken der Lieferketten und der Versorgungssicherheit werden dabei schnell unterschätzt. Im Interesse der Marktstrukturen und des Wettbewerbs müsste das Kartellamt seine Arbeit tun.
