Die Milch macht’s – aber wie und für wen?

Ein kommentierender Blick auf die Lage in der Milchbranche von Marktbeobachter Hugo Gödde

Wieder einmal bringt der Handel eine ganze Branche in Aufruhr und Verwirrung. Verschiedene große Lebensmittelhändler haben angekündigt, nach Schweinefleisch auch die vierstufige Haltungsformkennzeichnung für Milch und Milchprodukte umzusetzen. Beginnen soll es mit der Handelsmarken- Trinkmilch. Ab April werden Produkte mit der Stufe 2 im Regal stehen. Die gesetzliche Standardmilch der Stufe 1 (ganzjährige Anbindehaltung) dürfte bald ausgelistet werden. Perspektivisch soll es nur noch Stufe 3 (Offenstall oder Laufhof) und 4 (Laufhof und Weidehaltung) geben. Damit hat der Handel mal wieder den Konsum-Trend für sich erkannt und die zögerliche Politik und die blockierende Milchbranche unter Druck gesetzt. Plötzlich ist ein Ausstieg aus der Anbindehaltung angesagt, den Tierschützer seit Jahren fordern, auch Gerichte schon mal angemahnt haben, über den die Politik (auch die Borchert-Kommission) aber keinen Konsens erzielen konnte. Jetzt übernimmt der Handel die Führung und wird seine höheren Standards nach und nach auf das ganze Produktprogramm ausrollen. Das ist ihm ja auch bei der GVO-freien Milch gelungen, die erst (fast) keine Molkerei wollte und heute Standard geworden ist. Die Molkereien zaudern und blockieren Die Molkereibranche, allen voran die Genossenschaften, scheinen von der Wucht des Handels überrascht zu sein. Bis heute gingen sie wohl davon aus, dass man die Kritik an der „modernen“ Tierhaltung auf Schweine und Geflügel begrenzt halten könnte. Die Milchkühe stehen überwiegend in Boxenlaufställen und sind damit qua System auf der guten Seite der Tierhaltung, war ihr Credo. Dass die Weidehaltung als die natürlichste Form der Rinderhaltung immer mehr in den Hintergrund gedrängt wurde, übersah man geflissentlich. Alles in Ordnung, hieß es in der Milchbranche. Nur der Absatz müsse besser angekurbelt werden. Deshalb einigte sich man sich auf eine Sektorstrategie 2030, die eigentlich nichts Anderes als ein Kommunikationsinstrument ist, mit dem man Milch als (generisches) Standardprodukt bewerben will. „Die Milch macht’s“ oder so ähnlich – in alter (verbotener) CMA-Manier soll der Absatz befeuert werden. „Ein Ladenhüter“ befand der BDM und stieg aus dem Sektoransatz aus. Unverständnis und Aber bei der DMK Nun hat der Handel die Tagesordnung neu sortiert. Die großen Molkereien schütteln sich. „Wir werden uns natürlich daran beteiligen,“ urteilt der DMK-Chef Müller in einem Interview mit dem westfälischen Wochenblatt widerwillig. Aber das Unverständnis herrscht vor. „Dabei sollte das Thema Tierwohl nicht zu einem Wettbewerbsthema werden. Tierwohl ist Tierwohl und die gesamte Branche hat sich dazu verpflichtet.“ Dabei müsse man sich auf „eine Sache fokussieren“, damit kein „großer Tannenbaum an unterschiedlichen Systemen auftaucht, die der Verbraucher nicht versteht.“ Eine differenzierte Kennzeichnung sei für die Erzeuger und für die gesamte Kette nur mit höheren Kosten verbunden, die keiner (bezahlen) wolle. Deshalb sei die erste Forderung der Molkereien „ein einheitliches System“. Das müsse auch der Handel einsehen. Aber der will ja gerade den Ausstieg aus der Standardmilch. Für den größten Teil der Molkereibranche ist immer noch weitgehend Milch gleich Milch. Daneben gibt es einige Nischenmärkte wie Biomilch, Heumilch oder Weidemilch, die aber den Gesamtmarkt nicht bewegen. Eine verpflichtende Haltungskennzeichnung durch die Ampel-Regierung bringt nach Meinung des DMK-Chefs nichts, was „mehr Wertschöpfung auf irgendeinen Betrieb bringt.“ Herkunftskennzeichnung passt nicht ins Weltbild der Exporteure Und eine Kennzeichnung für deutsche Herkunft von der Geburt bis zu Trinkmilch, Butter und Joghurt passe nicht zu einem europäischen Binnenmarkt. „Eine Milch aus Holland oder Dänemark ist ja nicht besser oder schlechter. Das muss man nicht den Verbrauchern weismachen.“ Eine Renationalisierung von Märkten sei ein falsches Signal. Das störe nur den notwendigen weltweiten Absatz. Das gelte nicht nur für Deutschland, sondern für alle Länder, „die mehr produzieren als sie selbst verbrauchen. Der Überschuss geht in den Export.“ Andere Marktexperten drehen die Argumentation um. Der Export brauche Überschüsse, um am Weltmarkt flexibel tätig zu sein. Und der Export sei zunehmend ein Standbein, weil der Konsum in Europa ausgereizt und eher rückgängig sei. Wachstumsstrategien der Milchwirtschaft ließen sich nur global umsetzen und seien immer mit großen Risiken und Sprunghaftigkeit verbunden. „Volatilität“ heißt das neudeutsch und erhöht vor allem bei den Erzeugern die Unsicherheit. Neue Milch in alten Schläuchen Der hiesige, nationale und europäische Markt setzt auf Differenzierung und Qualitätserzeugung. Das machen die Handelskonzerne von Aldi bis Rewe deutlich. Wenn es nicht mehr über die Menge geht, wird die Qualität die Richtung angeben. Damit ist noch gar nichts über die Anteile an der Wertschöpfung gesagt. Der Streit über Mengen, Margen und Lieferabschlüssen wird auch bei Stufenprodukten weitergehen. Und je nachdem ob die Molkerei auf ein erfolgreiches oder weniger erfolgreiches Marktsegment setzt, wird sich ihre Leistungsfähigkeit erweisen. Das zeigt auch ein Blick in die Gegenwart. Die Milchpreisschere geht weit auseinander. Plötzlich zahlen Nordmolkereien mehr aus als süddeutsche, die durch ihre Markenführung normalerweise eher bessere Preise für die Bäuerinnen und Bauern ausweisen. Exporteure haben aktuell gewisse Vorteile gegenüber heimischen LEH-Lieferanten und die Margen großer Milchpulver- und Butterhändler überflügeln Markenproduktler mit breitem Sortiment. Und wieder haben sich laut Marktkennern große Molkereien im Bieterwettbewerb um Aufträge des LEH und Discounts ohne Not gegenseitig unterboten. Man spricht gar von einer Nullrunde in den Preisverhandlungen bei gleichzeitig stark steigenden Kosten. Und das in einer Hochkonjunktur! Es liegt nicht immer an dem „bösen Preisdrücker Discount“. Der Mehrpreis bleibt ein Geheimnis Im Dunkeln lässt der Handel aber, was er für die erhöhten Tierwohlauflagen bezahlen will. „Wir sind in Verhandlungen,“ heißt es aus allen Ecken. Für die Stufe 2 (QM+, keine ganzjährige Anbindehaltung, 1:1 Tier-Liegeplatzverhältnis, diverse Dokumentationen) sind 1,2 ct/ kg Milch im Gespräch, entschieden ist es noch nicht. Die Molkereien werden ihre Kosten zunächst geltend machen. Das verweist darauf, dass sich Erzeuger und ihre Liefergemeinschaften viel mehr in die Wertschöpfungsketten einbringen müssen. Schon jetzt konnten laut Agrarmarkt Informations-Gesellschaft (AMI) in 2020 interessante Aufschläge erzielt werden. Für Milch ohne Gentechnik wurden 2,1 Cent/kg mehr gezahlt. Weidemilch ohne Gentechnik erwirtschaftete 2,9 Cent und Tierwohlmilch Premium ohne Gentechnik brachte sogar 4,8 Cent. Ob damit die Kosten ausgeglichen werden oder gar ein fairer Preis erreicht wurde, ist kein Marktgeheimnis, sondern eine Frage der Verhandlungen. Kartellamt stützt Nachhaltigkeitskonzepte Unterstützung haben Nachhaltigkeitskonzepte in der letzten Woche durch das Kartellamt erhalten. Zwar wurde das Modell des Agrardialogs auf Zahlung der branchenweit ermittelten durchschnittlichen Kosten abgelehnt, aber zugleich verwies Kartellamtspräsident Mundt auf den kürzlich von der EU erweiterten Rechtsrahmen, dass Preisabsprachen für Nachhaltigkeitsprogramme, worunter auch konkrete Tierwohlkriterien zu rechnen sind, durchaus im Sinne des Amtes seien. Alleinige Preisabsprachen zu einem höheren Einkommen könnten kein Gemeinwohlinteresse definieren und damit keine kartellrechtliche Ausnahme bewirken - Nachhaltigkeit aber wohl. Der Marktbeobachter stellt fest, dass die Diskussion um die Tierhaltung auch den Milchsektor erreicht hat. Aber die Molkereibranche sträubt sich gegen eine Veränderung der herrschenden Exportstrategien, der ungleichen Lieferbeziehungen und der gesellschaftlichen und Konsumanforderungen. Nur widerwillig und ohne Einsicht lassen sich die Marktakteure darauf ein. Die Molkereien geben sich gern als die großen Strategen und Innovationstreiber, sogar bei Milchersatzprodukten. Man mag es kaum glauben, dass der Handel neue Zukunftsmärkte für die Kuhmilch aufzeigen muss.
01.02.2022
Von: Hugo Gödde

Der Handel wirbt bereits tatkräftig für die Umstellung seiner Milchprodukte auf tiergerechtere Haltungsformen, wie hier Aldi in seinem aktuellen Werbe-Prospekt.