Eine Frage der Haltung - zu Preisen, Tierwohlkriterien und Kartellrechtsregelungen

In Bayern haben Bauern und Bäuerinnen des Bayerischen Bauernverbands (BBV) vor mehreren Aldi-Filialen gegen die aktuelle Werbekampagne des Discounters „#haltungswechsel“ protestiert. Aldi widerspricht der Darstellung des BBV und die AbL kritisiert sowohl die Argumentation von Aldi als auch die Haltung des BBV. In einem offenen Brief an Aldi schreibt BBV-Präsident Walter Heidl: „Die bayerischen Bauernfamilien sind wütend und enttäuscht. Aldi inszeniert sich aktuell mit einseitigen Anzeigen in vielen Tageszeitungen und Slogans wie ‚Tierwohl ist eine Frage der Haltung‘, ‚Heute für Morgen‘ und ‚Unsere Maßnahmen für ein tiergerechteres Morgen‘ gegenüber Öffentlichkeit und Verbrauchern als Hüter und Unterstützer von Tierwohl in der Landwirtschaft. Tatsächlich erleben wir Bauernfamilien Aldi aber anders: Aggressive Niedrigpreisstrategien, auch für Tierwohl-Fleisch. Und in den rund zweijährigen Verhandlungen über ein branchenweites Tierwohlprogramm für Rindfleisch und Milch für die Haltungsformstufe 2, die aktuell gerade vor dem Abschluss stehen, mussten die Vertreter der Landwirtschaft um jeden Zehntelcent an Kostenausgleich für die Umsetzung von mehr Tierwohl auf den Betrieben erbittert kämpfen.“ Die Vertreter des LEH verhinderten laut Heidl einen umfangreicheren Katalog an Tierwohlkriterien für das Programm, da sie den Kostenausgleich für die Landwirte nicht bezahlen konnten oder wollten. Wenn gleichzeitig offenbar große Budgets für Medienkampagnen vorhanden seien, dann passe das einfach nicht zusammen. Hinzu komme, dass der LEH nicht bereit gewesen sei, kleineren Betrieben einen gesonderten Zuschlag zu gewähren, um sie auf dem Weg zu mehr Tierwohl angemessen zu unterstützen. „Der für das Tierwohlprogramm als Maßstab angesetzte 85-Kuh-Betrieb mit über 700.000 kg Milcherzeugung pro Jahr ist mehr als doppelt so groß wie der durchschnittliche Milchkuhbetrieb in Bayern“, so Heidl. Das sei ein Schlag ins Gesicht der kleineren Betriebsstrukturen und werde es den kleineren Betrieben deutlich erschweren, an dem Programm teilzunehmen. Denn der Ausgleich für ihre höheren Kosten für mehr Tierwohl werde durch den Zuschlag von 1,2 Cent/kg Rohmilchäquivalent nicht gedeckt werden. Dem Bayerischen Rundfunk (BR) teilte Aldi Süd auf Anfrage laut BR in einer Stellungnahme mit: In der Regel habe man keine direkten Vertragsbeziehungen zu Landwirten, sondern zu verarbeitenden Unternehmen wie Schlachtereien und Molkereien. Auch der Weltmarkt beeinflusse die Preise. Die Erlöse für die Bauern hingen deshalb von vielen Faktoren ab. "Wie hoch der Auszahlungspreis an die Landwirte letztlich ist, können wir – durch das Kartellrecht festgelegt – nicht unmittelbar beeinflussen", heißt es laut BR in der Aldi-Stellungnahme. Den Verweis auf das Kartellamt kann Ottmar Ilchmann, Milchbauer und AbL-Vorsitzender in Niedersachsen, nicht akzeptieren und er kritisiert auch die Haltung des BBV. "Die Stellungnahme von Aldi ist irreführend. Es ist keineswegs so, dass angemessene Aufschläge für Tierwohlleistungen kartellrechtlich verboten wären. Ganz im Gegenteil hat das Kartellamt gerade in seiner Stellungnahme zum Konzept der Milch-AG des Agrardialogs ausdrücklich betont, dass Gemeinwohlziele wie Nachhaltigkeit oder eben Tierwohl durchaus Ausnahmen beim Kartellrecht rechtfertigen können. Andererseits muss sich auch der Bauernverband fragen lassen, warum er als Mitinitiator der Initiative Tierwohl und von QS und QM solchen unzulänglichen Aufschlägen zustimmt. Allen Beteiligten täte etwas mehr Aufrichtigkeit gut. Denn Leidtragende des Schwarzer-Peter-Spiels sind wieder die Bauernfamilien."
08.02.2022
Von: FebL

Eine Protest-Aktion von mehreren, hier des BBV-Kreisverbandes Freyung-Grafenau vor einer örtlichen ALDI-Filiale. Bildquelle: BBV