Kommen die mageren Bio-Jahre?

Marktbeobachtungen von Hugo Gödde

2022 wird wohl als Jahr der Ernüchterung, der Rückschläge und der Durchhalteparolen in die Annalen des Biomarktes eingehen. „Biomarkt in der Krise – die fetten Jahre sind vorbei“ überschreibt genüsslich die konservative Fachzeitschrift „agrarheute“ ihre Analyse. „Stockender Absatz, schlechte Preise, hohe Kosten,“ mit einer gewissen Schadenfreude heißt es, dass „die Probleme, die in der Vergangenheit die konventionellen Landwirte plagten, nun auch der Biobranche massiv zu(setzen).“ Kommen wie in der Bibel nach sieben fetten nun sieben magere Jahre?

Sprunghafte und nervöse Märkte

In den letzten Jahren waren die einzelnen Biomärkte durch eine hohe Konstanz und mehr oder weniger starkes Wachstum gekennzeichnet. In vielen Teilen hatten sich die Bio-Erzeuger- und Verbraucherpreise von dem konventionellen Preis abgekoppelt. Der Markt führte quasi ein Eigenleben, wie es die Pioniere der Ökobewegung sich gewünscht hatten. Was haben wir, so argumentierten sie, mit Überproduktion, Exportrisiken, Energieabhängigkeiten usw. zu tun? Wir machen unseren Markt selbst, vom Hof- bis zum Bioladen, ja bis zum Supermarkt. Zugleich wollte man in die Mitte der Gesellschaft, in den Mainstream. Nun scheint es so, dass die Mitte wirtschaftlich doch nicht so gemütlich ist und das „System zurückschlägt“. Die aktuellen Multikrisen, besonders die Inflation erwischt auch die „Bios“ nach zwei außerordentlich erfolgreichen Corona-Jahren. Auch wenn insgesamt die Rückgänge im Vergleich zu „normalen“ Lebensmitteln nicht so hoch sind, macht sich auf allen Teilmärkten Nervosität breit. Während die Discounter ihre Bio-Umsätze halten oder teilweise ausbauen können, sind vor allem die Naturkostbranche, aber auch das Handwerk und die Direktvermarkter gebeutelt. Die Bioladner trifft es zurzeit mit im Schnitt 15-20% Rückgang im ersten Halbjahr erschreckend.

Im Discount und teils auch bei den Supermarktketten heißt es immer noch „Bio lohnt sich“. Aber schon zeigen sich erste Billigaktionen als Reaktion auf Absatzrückgänge, im Milchbereich selbst bei Demeter.

Neoliberale Marktexperten sprechen schon von Marktbereinigung. Andere befürchten, dass - sollte die Krise länger dauern - Naturkost als Alternative zu den Lebensmittelkonzernen großen Schaden nimmt. Auch das sollten die VerbraucherInnen beim Einkauf beachten. 

Fleisch: Schwein stabil – Rind schwach

Die Verkäufe von Biofleisch sind im ersten Halbjahr laut AMI weitgehend konstant geblieben, wobei aber die Preise stiegen und die Mengen sich reduzierten. Aldi, Lidl und Netto konnten von unterschiedlichen Ausgangslagen ihre Mengen sogar halten. Erstmals seit zwei Jahren zeigt sich auch wieder ein tiefes Sommerloch. Sieht man sich die einzelnen Teilmärkte genauer an, fallen große Unterschiede auf.

Bioschweinefleisch ist zwar auch rückläufig, liegt aber weit über Vor-Corona, als lange Zeit gar ein knappes Angebot herrschte. Erstmals tritt im Sommer eine leichte Überversorgung auf, die aber im Herbst abgebaut sein dürfte. Deshalb bleiben die Preise (auch für Ferkel) stabil auf Rekordniveau. Nur ein größerer Abnehmer hat die Preise gesenkt. Zwar sind die Futtermittelpreise seit Januar um 20% angezogen (in der Ernte nun um 5% gefallen), aber insgesamt herrscht unter Erzeugern noch keine Unzufriedenheit – im Vergleich zu konventionellen Produzenten. In Sorge um fehlenden Absatz hält man lieber „die Füße still“.

Anders sieht es bei Biorindfleisch aus. Der Markt steht stark unter Druck. Nach den Höhenflügen im Frühjahr setzte der Sinkflug ein. Im Juli lagen die Erzeugerpreise für Jungbullen und Kühe etwa 80 ct/kg unter April – fast 20%, aber immer noch 5-15% über Vorjahr. Der Absatz tendiert 20% rückläufig. Der kurze Preis-Frühling ist vorbei. Manche Vermarkter merken selbstkritisch an, dass man die Kunden mit der Preisrallye vielleicht überfordert habe. Immerhin verkauft sich das Spitzenprodukt Hackfleisch noch recht gut.

Die Probleme der Futterversorgung rücken wieder in den Vordergrund. Neben den hohen Kraftfutterkosten fehlt aufgrund der Trockenheit Grundfutter, so dass viel zu früh das Winterfutter angebrochen werden muss bzw. Tiere früher zum Schlachten gegeben werden. Daher ist ein reichliches Angebot vorhanden und die Preise fallen weiter, was die Rentabilität infrage stellt. Im Laufe des Winters kann sich aber die Lage wieder drehen.

Biomilchpreis kaum noch über konventionell

Eine wieder andere Situation erlebt aktuell der Biomilchmarkt. Der Erzeugerpreis ist laut Bioland im Juli auf den Rekordwert von 57,8 ct/kg gestiegen, im Verhältnis zu früheren Jahren ein sensationelles Niveau. Zugleich ist aber der Auszahlungspreis für konventionelle Milch auf 55 ct/kg explodiert, so dass kaum noch ein Preisabstand besteht. Einige Molkereien, besonders im Norden, zahlen mehr als Bioverarbeiter. Statt 14 Cent Differenz wie in den letzten Jahren stehen im Schnitt nur noch 2,6 Cent zu Buche. Im ersten Halbjahr 2022 ist die Menge leicht gestiegen, aber aktuell geht es rückwärts und Umsteller gibt es fast nicht mehr.

Dazu kommen die Futterprobleme in vielen Regionen als Folge der Dürre. Gerade kleinere Betriebe im Süden haben durch geringeren Kraftfuttereinsatz Kosten gesenkt. Nun fehlt ausreichend gutes Grünfutter. Als größeres Problem könnte sich noch erweisen, dass es zwischen den Biomolkereien große Preisspannen bis zu 10 Cent gibt. Manche Biopioniere unter den Molkereien geraten in Erklärungsnot. Die Verlässlichkeit und Treue mancher Erzeuger werden auf eine harte Probe gestellt. Die nächsten Monate werden eine große Herausforderung für die Biobäuerinnen und Bauern, aber auch die klassischen Biomolkereien, die nicht quersubventionieren können.

Dazu kommt noch der Ärger mit der Preispolitik des LEH, der seit Juli die Biofrischmilch um ca. 40% auf 1,69 €/kg verteuert hat, aber an die Erzeuger nur wenig weitergibt. Wer sackt sich die Marge ein, fragen sich die Erzeuger. Der Absatz fährt geradewegs nach unten.

Gute Getreideernte, aber hohe Futterkosten

Trotz der schwierigen Witterungsverhältnisse haben die Bioackerbaubetriebe eine überraschend gute Ernte eingefahren. Weizen, Roggen und Gerste liefen gut, wie es in der Fachsprache heißt, auch wenn es wie immer regionale Unterschiede gab. Die Qualitäten waren überwiegend zufriedenstellend und eine kostenträchtige Trocknung war unnötig. Roggen und Futterweizen werden mit 40 bis 45 €/dt deutlich über Vorjahr gehandelt. Brotweizen ist knapp und stärker im Preis. Dinkel ist reichlich am Markt und muss seinen Preis noch finden.

Bio-Mischfutter hat laut AMI seinen Zenit überschritten, aber bei Zukauf von teuren Eiweißkomponenten bleibt der Preis hoch. Der Eiweißmangel, auch von Leguminosen, wird die Saison beeinflussen. Zugleich ist die Nachfrage nach Geflügel- und Milchleistungsfutter gesunken, bei Hähnchen und Legehennen als Folge eines Bestandsabbaus wegen des zu geringen Preises für Geflügelfleisch und Eier. Wie Angebot und Nachfrage von Getreide (der Mutter der Agrarpreise) und Futtermittel sich einpendeln werden, ist angesichts der Sprunghaftigkeit der Märkte etwas für die Profis unter den Kaffeesatzlesern.

Der Marktbeobachter resümiert, dass die Lage im Biomarkt deutlich unübersichtlicher geworden ist. Die Abhängigkeiten vom „normalen“ Markt sind wieder gewachsen, was keine gute Nachricht ist. Manche Träume von großen Marktanteilen zerplatzen vorerst. Aber zum Schlechtreden oder Panikschieben gibt es für den Bioanbau insgesamt (noch) keinen Grund. Nur sollte die Krise nicht zu lange dauern. Darauf sind viele „Bios“ nicht vorbereitet. Fehlendes Eigenkapital war schon immer ein Manko der Branche. Permanentes Wachstum hat oft zur Vernachlässigung „des Eigenen“ beigetragen. Diese Zeit erinnert daran, dass organisches Wachstum die Basis des Biolandbaus ist und nicht Wachstumshype. Mutmacher werden jetzt gebraucht, manchmal auch in Erinnerung an die Zielwerte des Ursprungs. Die Krise ist auch eine Chance, sagt der Ökonom. Oder war es der Klugschwätzer?

30.08.2022
Von: Hugo Gödde

Im LEH, wie hier im aktuellen Kaufland-Prospekt, wird auch bei Bioprodukten mit Rabatt- und Angebotspreisen gelockt.