Biomarkt sucht seinen Standort

Marktbeobachtungen von Hugo Gödde

Zwei Jahre herrschte Festtagsstimmung in der Biobranche. Umsatzzuwächse von im Schnitt 15% im LEH und 7% im Naturkosthandel ließen manche Träume reifen. Verstärkt durch politische Konzepte in Brüssel („farm to fork“) oder in Berlin (30% bis 2030) wähnte mancher sich im „Jahrzehnt des biologischen Anbaus“.

Seit Beginn des Jahres hat sich der Biomarkt ins Minus gedreht, verstärkt durch die Inflation, den Wegfall der Coronamaßnahmen und die Kostensprünge als Folge des Ukraine-Krieges. Besonders gebeutelt wurde der Naturkosthandel mit fast minus 20% in den ersten vier Monaten. Der Discounter wurde zum Krisengewinner. Überall spielt der Preis beim Einkauf eine stärkere Rolle. Marktexperten fragen sich, ob es ein langfristiger Trend ist oder eine vorübergehende Kaufzurückhaltung in unsicheren Zeiten. Während die Bio- Bäuerinnen und Bauern auf Kostenausgleich drängen, bremst der Handel die Preise. Alnatura-Chef Götz Rehn bringt es in einem Gespräch mit dem „Biohandel“ auf den Punkt: „Kunden sollen nicht abgeschreckt werden durch erhöhte Preise.“ Er propagiert die Quadratur des Kreises aus bester Qualität, zum günstigsten Preis und „selbstverständlich mit fairen Einkommen für die Erzeuger.“ Zugleich droht er vielen Händlern, die die Gunst der Stunde nutzen, um Preise zu erhöhen. „Das halte ich für vollständig falsch.“ Alnatura stehe für sehr moderate Preise, auch zum Teil für dauerreduzierte Produkte.

Marktkenner merken an, dass auch bei Bioprodukten die Auseinandersetzungen zwischen Erzeugern, Verarbeitern und Händlern härter werden. Im Normalmarkt stehen die Zeichen schon immer auf Konflikt.

Biomilchpreis in Wartestellung

Die Nachfrage nach Biotrinkmilch sinkt aktuell moderat. Die Erzeugerpreise steigen weiter leicht an. Wie der Bioland-Milchpreistrend errechnet hat, erlösten die Milchbäuerinnen und Milchbauern im Mai durchschnittlich 55 ct/kg und damit 0,8 Cent mehr als im April. Zur gleichen Zeit wuchs der Preis für „normale“ Milch auf 49,7 Cent, was ein Anstieg von 2,5 ct/kg gegenüber Vormonat bedeutete. Damit reduzierte sich der Abstand auf gut 5 Cent, nachdem er in 2021 knapp 14 Cent und im Januar noch über 10 Cent gelegen hatte. Auch die Differenz zwischen einzelnen Molkereien wird immer größer. Gerade Molkereien mit starker konventioneller Ausrichtung sind im Vorteil. So zahlten Arla im Mai 58 Cent (4,2 Fett, 3,4% Eiweiß) und FrieslandCampina 57 ct/kg aus. Der holländische Milchkonzern, der sich gerade aus dem deutschen Markt zurückzieht, hat für Juni bereits einen Garantiepreis von 59 Cent angekündigt (der durchschnittlich ausgezahlte liegt in der Regel leicht darunter). Außerdem liegen erstmals die norddeutschen Molkereien über den kleineren, aber marktaktiveren Molkereien im Süden. Biomolkereien mit einem hohen Absatz im Naturkostmarkt stehen besonders in der Sandwich-Position zwischen Erzeugern mit Wunsch nach Kostenausgleich und Abnehmern, die fehlenden Absatz beklagen. Der geringe Abstand zu konventionell lässt natürlich das Interesse an Umstellung auf Bio sinken. Alle Marktteilnehmer sind eher in Wartehaltung.

Milcherzeuger, gerade kleinere Betriebe im Süden, streben an, möglichst viel Milch aus dem Grundfutter zu erzielen. Der Grünlandaufwuchs und das Heu sind in vielen Regionen zufriedenstellend. Es bleibt die Frage, auf wieviel teures Kraftfutter kann man verzichten, ohne zu viel Milchleistung einzubüßen.

Bio-Rindermarkt spielt verrückt

Im März sprangen die konventionellen Rinderpreise auf unglaubliche Höhen. 6 €/kg für Bullen und Färsen machten die Runde und ließen die Erzeuger aus dem Staunen nicht mehr heraus. Die Biopreise mussten wohl oder übel mitziehen, denn Bio-Rindfleisch kann ja nicht billiger sein als das „normale“. Bio-Bauern drohten damit, ihre Tiere in den konventionellen Handel zu geben. Und Bioabnehmer zogen mit und entfernten sich von ihrer Strategie, den Bio- Rindermarkt vom konventionellen Markt abzukoppeln. Gerade darum hatte sich die Branche jahrelang im Interesse der Erzeuger bemüht. Nun wurde der Preis für Jungbullen (R3) im April/Mai auf 6,23 €/kg, Kühe (O3) auf 5,50 €/kg getrieben – 30 bis 40% über Vorjahr. Zeitverzögert kamen diese Rekorde auch an der Fleischtheke an. Im Mai lag der Ladenpreis laut AMI-Frischeindex 15% über Vorjahr. Zugleich wurden Importe begünstigt, da in anderen Ländern die Preise nicht so gestiegen waren. 12 bis 15 €/kg für Rinderhack führten auch bei den Biokunden zu sensiblen Reaktionen. Im Juni ist der Absatz für Bio-Rindfleisch „komplett zusammengebrochen und die ersten Lieferungen werden deutlich reduziert“, wie es eine süddeutsche Erzeugergemeinschaft mitteilte. Nun geht es in ähnlichem Tempo bergab, ließ ein Vermarkter im Osten verlauten. Die wiederholten Preisänderungen hätten nur Unruhe gebracht. Die Anpassungen im April hätten den Markt überfordert. Ein Aussitzen der konventionellen Preise wäre wohl besser gewesen. „Hinterher ist man immer schlauer“ lautet die Bilanz. In der Hoffnung, den Absatz zu stärken, wurde der Preis jetzt in vielen Regionen ca. 15-20% zurückgenommen. Damit liegt man bei den Schlachtkühen wieder beim konventionellen Preis, der ebenfalls drastisch gefallen ist, aber immer noch deutlich über Vorjahr. Da zugleich die Produktionskosten erheblich angezogen sind, liegen die Deckungsbeiträge wieder beim „Vorkriegsniveau“. Die Rekordfeier war wohl eine kurze Episode. Erzeuger und Vermarktungsgemeinschaften müssen die Reste zusammenkehren und versuchen, den Absatz auf erhöhtem Niveau zu stabilisieren.

Bio-Schweinemarkt (noch?) im Gleichgewicht

Ruhiger läuft es am Schweinemarkt. Der Preis stagniert um die 4,25 €/kg, Ferkel bei 160 Euro. Die Nachfrage bleibt fest bis leicht rückläufig. Im Unterschied zum Rindfleisch sind Schweinefleisch und Wurstwaren nur um 2 bzw. 5% beim Endkunden gestiegen. Der Markt verkraftet diese Delle leichter, weil die bisherige Nachfrage nur durch Einfuhren aus Holland und Dänemark ausreichend bedient werden konnte, die als erstes wegfallen. Die hohen Produktionskosten sind trotzdem für die Erzeuger schwer auszugleichen. Das Angebot steigt nicht, Umsteller stellen ihre Überlegungen erst einmal zurück. Manche Ställe stehen (vorübergehend?) leer. Der Markt ist bisher relativ im Gleichgewicht, aber Kostenweitergabe kaum durchzusetzen . Viele Bio-Schweinehalter hoffen auf die neue Ernte und sinkende Futterpreise. Erstmals könnte sich dabei eine leichte Entspannung aber auf hohem Niveau einfinden. Bisher wird für Endmastfutter noch 65 bis 70 €/dt verlangt. Betriebe mit eigener Futterversorgung sollten ihren Vorteil nutzen, auch wenn der lukrative Getreidepreis lockt.

Bio-Getreide: Unruhe vor der neuen Ernte

Der Preisboom des Getreidemarktes hat auch Bio erreicht. Obwohl der Biogetreidemarkt weniger vom Weltmarkt und vom Ukrainekrieg abhängig ist, sind auch die Großhandelspreise für Bio kräftig gestiegen. Futterweizen, Roggen, Gerste und Körnermais kosteten im Mai ca. 50 €/dt, etwa 15 bis 20 Euro über Vorjahr. In der Versorgung gibt es keine Engpässe und Biomehl ist auch hochpreisig vermarktbar. Der Abstand zum konventionellen Höhenrausch-Getreidepreis ist immer noch deutlich bei 10 bis 15 €/dt Aufpreis. Laut Kammerberechnung liegen trotz geringerer Erträge, aber höherer Preise die erzielten Marktleistungen bei Weizen auf etwa gleichem Niveau. Wer jetzt noch Restpartien aus der alten Ernte „findet“, macht einen guten Schnitt. Für die neue Ernte geht man von stabilen Preisen aus, aber mit großen Unsicherheiten, die vom konventionellen Markt kommen. In normalen Jahren hängen die Trends viel stärker von regionalen Märkten ab.

Aber zurzeit ist ja nichts normal. Viele Ackerbauer wollen sich nicht festlegen, wann sie welche Mengen verkaufen. Man will ja nach den Erfahrungen des letzten Jahres auch nicht zu früh verkaufen, weil der Preis im Winter/Frühling weiter anziehen könnte.

Bio- Kartoffeln: Knappe Ware geht niemals aus

Der Bio-Kartoffelmarkt hat ein anspruchsvolles Jahr hinter sich. Die Ernte 2021 war mengen- und qualitätsmäßig schwierig. Ein Verkauf bis zum Anschluss an die Ernte 2022 war nicht zu erwarten, eine Mengenplanung kompliziert. Ab Januar stellte sich heraus, dass sich die Qualitäten im Lager doch besser gehalten haben als erwartet. Aber gleichzeitig wurde der Absatz deutlich schwächer. Laut AMI sanken die Mengen im ersten Quartal um 17% zum Vorjahr. Besonders traf die Preissensibilität den Bio-Fachhandel, wo die Einkaufsmengen um 35% zurückgingen, während der Discount und der LEH nur 12% einbüßten. Auffallend ist dort der Umsatzverlust der Bio-Markenprodukte, während die Bio-Eigenmarken des Handels stabil blieben, wie Erzeugergemeinschaften mit hohem Anteil an Handelsmarken mitteilen. Laut einer Verbraucherumfrage haben gerade Aldi u.a. eine gutes Image bei den Bio-Eigenmarken.

Der Preis blieb bis zuletzt bei 55 €/dt ab Hof bzw. 60 franko Packbetrieb und damit weit über Vorjahr. Auch im Supermarkt lag 2022 der Verbraucherpreis um 25% über Vorjahr.
Im Mai stellte sich heraus, dass der auch im April schlechte Absatz, bessere Lagerqualitäten und größere Mengen nicht gebrauchten Pflanzgutes („nicht ein paar Tonnen, sondern ganze LKW-Ladungen“) den Verkauf verzögerten bis ins späte Frühjahr, was eigentlich nicht geplant war, so dass nicht jede Ware abgesetzt wurde. Schließlich hatten die Abnehmer bereits ausländische Frühkartoffeln geordert.

Der Händlerspruch traf wieder zu: Knappe Ernte geht niemals zu Ende. Anfang Juli kommen die ersten deutschen Bio-Frühkartoffeln auf den Markt. Das Spiel beginnt von Neuem.