Meldungen vom Biomarkt

Marktbeobachtungen von Hugo Gödde

Die erstmals im Sommer ausgetragene Biofach (vom 26. – 29. Juli), die sich selbst die größte Biofachmesse der Welt nennt, ist ein guter Grund, einen Zwischenstand der Entwicklung des Biomarktes zu bilanzieren. Nach zwei Boomjahren der Coronazeit ist in diesem Jahr Ernüchterung eingetreten. Der Markt schwächelt, aber von einem hohen Vorjahresniveau aus. Während die einen noch diskutieren, ob es sich um eine Wachstumsdelle oder um eine Krise der hochpreisigen Premiumprodukte handelt, sehen andere die Bio-Entwicklung stabil. Auf dem Markt werden erste Verschiebungen und Umstrukturierungen sichtbar.

Riesenplus oder Einbußen – auf den Vergleich kommt es an

Die Stimmung der Marktteilnehmer schwankt zwischen „es geht doch noch gut“ und „wir sind erst am Anfang einer Krise“. Dabei spielt eine wichtige Rolle, womit man die aktuelle Situation vergleicht.

Nach den bisherigen Berechnungen der AMI sind die Bio-Umsätze im ersten Quartal 2022 um 4,4% gesunken. Aber die Rückgänge sind nicht gleichmäßig verteilt. Während der Naturkosthandel um 18% verlor und auch Direktvermarkter und Handwerk zwischen 2% bis 12% ins Minus rutschten, konnte der Discount sogar noch deutlich zulegen. Vor allem die Bio-Handelsmarken und der Preiseinstieg gewannen Anteile bei frischen Lebensmitteln hinzu. Damit reagieren die Konsumenten auf die Inflation und die diversen Preiserhöhungen. Dennoch trifft es den Biobereich nicht so heftig wie den Gesamtmarkt, der um 6,5% nachgab.Diese Entwicklung hat sich nach Aussagen von Marktteilnehmern auch im zweiten Quartal fortgesetzt.

Vergleicht man aber die Umsätze von Januar bis Mai 2022 mit den Zahlen vor der Pandemie 2019, ergibt sich ein völlig anderes Bild. Dann haben die Ausgaben der privaten Haushalte für Bio-Lebensmittel um 35% zugelegt – der Gesamtmarkt „nur“ um 14%. Frischfleisch (Rind, Schwein, Geflügel) verdoppelte sich. Mehl, Speiseöl, Eier, Gemüse, Käse, Wurst legten um ca. 50-60% zu. Profitieren von diesem Boom konnten alle Vermarktungswege, vom Discounter bis zu den Hofläden. 

Teuerung bei Bio geringer

Laut AMI-Verbraucherpreisspiegel stiegen frische Bio-Lebensmittel im ersten Halbjahr um 5,2% zum Vorjahr. Konventionelle Frischeprodukte wurden 8% höher gehandelt. Besonders zu Buche schlugen Bio-Rindfleisch, Geflügel und witterungsbedingt Kartoffeln mit 15% und mehr. Dagegen stiegen Schweinefleisch, Wurst, Milchprodukte, Käse, Gemüse, Eier lediglich um 3%-5% an. Obst stagnierte sogar. Dadurch reduzierte sich der Preisabstand zu konventionellen Produkten teilweise erstaunlich. Milch, Butter, Käse unterschieden sich kaum von „normalen“ Markenprodukten. Erst Anfang Juli riss der Milchpreissprung von Aldi und Co. wieder eine große Lücke auf. Die Differenz bei Rindfleisch (Hackfleisch) ging spektakulär zurück, wenn der LEH nicht mit Aktions-Kampfpreisen gegenhielt. Überall dort, wo durch die Multikrisen (Energie bis Krieg) konventionelle Lebensmittel überproportional die Teuerungsrate antrieben, konnte der Biobereich punkten.

Abstand bei Milcherzeugerpreisen sinkt weiter  

Der Erzeugerpreis für Biomilch ist laut Bioland auch im Juni weiter gestiegen. Mit 56,3 ct/kg wurde erneut ein Allzeithoch erreicht. Im Norden überstieg der Preis gar die 57 Cent-Marke. Schleswig-Holstein, früher oft Träger der roten Laterne, konnte fast die 60 Cent vorweisen. Dafür liegt jetzt NRW auf dem Abstiegsplatz. Zugleich wuchs der vorläufige konventionelle Preis auf geradezu unglaubliche 51,7 ct/kg im Juni – im Vorjahr lag er bei 35,5 Cent! Im Vergleich zum Januar stieg er um 10 Cent. Der Biopreis erhöhte sich „nur“ um 4 Cent.

Unter Bio-Milcherzeugern ist darüber eine heftige Diskussion entbrannt. Manche beklagen den geringen Preisabstand von 4-5 Cent – so niedrig lag er seit über 10 Jahren nicht. Dadurch könne man auch keinen Erzeuger zur Umstellung bewegen. Andere (vor allem süddeutsche Molkereien) warnen vor einer Überhitzung des Marktpreises und vor Kaufzurückhaltung und weisen auf die gute Rendite hin, zumal der Anstieg der Bio-Betriebskosten nicht so durchschlagen würde (weniger teure Dünger- und Pflanzenschutzmittel). Die geringe Preisdifferenz biete Chancen, den Markt auch in der Krise zu entwickeln. So teilte die bayerische Landesanstalt mit, dass in Bayern bis Mai 6,1% mehr Biomilch angeliefert wurde, während die konventionelle Menge um 2,3% rückläufig war. Bayern, die wichtigste Biomilchregion, wies demnach einen Bio-Anteil von 8,6% auf.

Zugleich meldeten Discount und LEH ein Preissteigerung von 40% im Juli für Bio-Frischmilchprodukte – von 1,15 auf 1,69 €/kg. Natürlich kam zurecht Unruhe auf, wieviel von dieser Erhöhung auf den Höfen ankommen würde.  

Vorsichtshalber veröffentlichte Bioland eigene Berechnungen über die Vollkosten der Biomilcherzeugung. Der Verband kam auf eine Spanne von 68 bis 73 ct/kg, die eigentlich erzielt werden müsste. Branchenkenner zeigten sich erstaunt ob dieser Auswertung offizieller Daten. Denn gerade hatte der Milch Marker Index (MMI, s. Bauernstimme Nachrichten v. 20.7.) der MEG Milk Board für konventionelle Milch Vollkosten von 48 Cent für April errechnet. Und dass Biomilch 20 bis 25 ct/kg teurer ermolken werden muss, hinterlässt doch Fragen.

Ist der BioBoom am Ende?

Trotz der Umsatzrückgänge ist es bisher nicht zu einem dramatischen Einbruch gekommen – außer im Fachhandel. „Es lässt sich durchaus behaupten, dass Bio weiter relativ im Trend ist", betonen Marktforscher. Aber auch Bioland sieht mit Sorge, dass eine generelle Verschiebung vom Naturkostfachhandel hin zum Einkauf bei Discountern festzustellen sei. Aldi Süd bestätigt: "Wir verzeichnen eine gestiegene Nachfrage unserer Kunden nach Bio-Produkten.“ An ihrer Strategie hat sich nichts Wesentliches geändert. Trotz Wachstum gerade im Eigenmarkenbereich ist Aldi Süd gerade eine Partnerschaft mit Naturland eingegangen. Bioland hat einen umfassenden Kooperationsvertrag mit Kaufland geschlossen. Für die Verbände offenbar kein Problem trotz der „Sorge um den Fachhandel“. Zugleich kündigt Edeka den Ausbau der Eigenmarke Naturkind an.   

„Wir machen gerade zwei Schritte vor, einen zurück", schätzt Konsumforscherin Petra Süptitz (GfK) die Tendenz ein. Die Bedeutung von Nachhaltigkeit werde durch die Inflation aber nicht beendet. Das gelte besonders für Menschen, die weniger finanzielle Sorgen haben.

Alnatura Chef Rehn sieht die Biomarktstruktur gefährdet. "Ich hoffe nur, dass die Kunden, die jetzt weggeblieben sind, zeitnah wieder zurückkommen, weil wir sonst in Deutschland eine starke Strukturveränderung haben werden." In England und den USA gebe es keine vergleichbaren Bio-Fachmärkte wie in Deutschland. Hier deckten sie immerhin ein Drittel des Bio-Marktes ab. Blieben die Kunden dauerhaft aus, könnte der Fachhandel als Alternative zu den großen Konzernen in existentielle Nöte kommen, was letztlich auch die Absatzwegabhängigkeit der Bäuerinnen und Bauern erhöhen werde.

Bio im LEH : Rendite statt Preiskrieg?

Der Wettbewerb mit dem LEH wird sich als Folge des aktuellen Käufertrends für den Fachhandel verschärfen. Nach Ansicht des Göttinger Ökonomieprofessors Spiller wird der LEH seinen Marktanteil von derzeit 62% ausdehnen wollen. Der Wissenschaftler geht davon aus, dass Bio für den LEH
eine lukratives Wachstumssegment ist, das ordentliche Handelsspannen verspricht. Statt Preiskrieg über permanente Kampfaktionen stehe in diesem Segment die Rendite im Vordergrund. „Bio lohnt sich.“ Das Bio-Sortiment werde auch zur Kundenbindung von zahlungskräftigen Kernzielgruppen genutzt, fördere das Image der Nachhaltigkeit und sende ein Vertrauenssignal an Kunden und Gesellschaft. Bio habe zudem den Einstieg in Premium-Handelsmarken befördert. Mit Bio-Verbandsmarken gelinge es sogar, etwas Besonderes anzubieten. Zudem gebe es bei Bio die meisten innovativen Neuprodukte (z.B. vegetarisch/vegane Alternativen).

Dagegen kann der Fachhandel mit „starker Nachhaltigkeit“ punkten und seinen Glaubwürdigkeitsvorteil ausspielen. Fachmarktexperten z.B. des Siegels „FairBio“ sehen das Profilierungspotenzial regionaler Wertschöpfungsketten bei weitem nicht ausgereizt. Bisher werde Regionalität als verlängerte Direktvermarktung einzelner Höfe und lokaler Projekte gesichtet. Aber angesichts eines LEH, der international aufgestellt sei und einkaufen müsse, könne der Ausbau regionaler Erzeugergemeinschaften und handwerklicher Manufakturen zu einer Regio-Strategie eine Alternative zu globalen, intransparenten und instabilen Lieferketten sein. Regionalität und Fachhandel gehörten zusammen.

Süddeutsche Betriebe dominieren den Bio-Anbau

Wenn man sich nicht von den Werbeblättern mancher Handelsblätter oder den Zielbildern mancher Politiker blenden lassen will, aber sich auch nicht von den Zerrbildern oder der Schadenfreude mancher Agrarfunktionäre beeindrucken lassen will, macht es Sinn, sich die Strukturdaten und die Trends der Bio-Erzeugung anzusehen.

Im letzten Jahr ist die Bioanbaufläche um 6% auf 1,8 Mio. ha angewachsen. Damit umfasst sie einen Anteil von 10,9% der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche in Deutschland. Spitzenreiter mit großem Vorsprung ist Bayern mit 409.000 ha vor Baden-Württemberg, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern mit je etwa 200.000 ha. Diese haben auch die größten Zuwächse in 2021. Prozentual an der Gesamtfläche liegen die vier Bundesländer mit 14% bis 16% gleichauf mit Hessen und Saarland auf den vorderen Plätzen. Die intensiven Agrarregionen Niedersachsen und NRW liegen mit um die 6% deutlich abgeschlagen.

Jeder 7. landwirtschaftliche Betrieb ist inzwischen ein Biobetrieb. Ihre Zahl hat laut Veröffentlichung der BLE um 2.200 auf 36.307 zugenommen. Die Hälfte des Zuwachses kam aus Bayern. Überhaupt ist betriebsmäßig gesehen der biologische Anbau vor allem eine süddeutsche Spezialität. 60% der Biohöfe liegen in Bayern und Baden-Württemberg. Das wird auch dadurch unterstrichen, dass bei den Landwirtschaftsbetrieben die Bio-Anteile größer sind als bei der Fläche – die Biohöfe sind also im Schnitt kleiner als im konventionellen Landbau.

Das Wachstum in 2021 bewegt sich mit 6% ziemlich genau im Durchschnitt der letzten 10 Jahre – organisch könnte man sagen. Verglichen mit den vollmundigen Aussagen der EU (25%) und der Bundesregierung (30% bis 2030) werden deren Ziele jedoch deutlich verfehlt. Dazu wäre ein jährliches Wachstum von 9% für das EU-Ziel bzw. 11% für die Ampelambitionen notwendig. Davon ist man weit entfernt und die bisherigen EU-Beschlüsse der GAP-Periode bis 2027 geben nicht gerade Hoffnung auf die Erreichung der Bio-Wünsche.