Weiterhin große Unsicherheiten am Biomarkt

Marktbeobachtungen im Vorfeld der Biofach von Hugo Gödde

Die vom 14. bis 17 Februar stattfindende Biofach, die nach eigenem Bekunden weltgrößte Leitmesse für Bioprodukte, wirft ihre Schatten voraus. Gespannt warten alle auf die neuesten Zahlen des Arbeitskreises Biomarkt, wie sich der Markt im schwierigen Jahr 2022 entwickelt hat, wie heftig sich die „Delle“ niederschlägt und wen es besonders traf. Die Optimisten hoffen auf ein Minus von nur fünf Prozent, das würde einen Gesamtumsatz von 15 Mrd. Euro bedeuten nach 15,87 Mrd. im Vorjahr. Der Anteil am gesamten Lebensmittelmarkt reduziert sich auf 6% - ein Rückschlag für Vertreter des 30%-Ziels bis 2030.

Naturkosthandel der große Verlierer

Problematischer könnte sich die Verteilung auf die Vermarktungswege auswirken. Während der Discount seine Umsätze ausdehnen konnte und der Einzelhandel wohl eher stagnierte, sind die „sonstigen Einkaufsstätten“, zu denen unter anderem Bäckereien, Abokisten, Reformhäuser und der Naturkostfachhandel inklusive Hofläden gehören, schwer unter die Räder gekommen. Von einem zweistelligen Rückgang ist die Rede. Zwar hält der Bundesverband Naturkost Naturwaren (BNN) diesen Absatzweg für „das Fundament der Entwicklung“. Schließlich habe der Bio-Fachhandel einen großen Anteil daran, dass Bio heute in der Mitte der Gesellschaft angekommen sei, wie BNN-Geschäftsführerin Kathrin Jäckel betont. Tatsächlich sind die Bioläden der Verlierer der Entwicklung. Der Facheinzelhandel büßte je nach Region, Standort und Berechnung zwischen 10% und 20% des Umsatzes ein und fiel hinter die Coronazeit auf die Höhe von 2019 mit etwas mehr als 3 Mrd.€ zurück, was etwa 20% des Gesamtmarktes abbildet. Der LEH steigerte seinen Anteil auf deutlich über 60%. Wenn man dann noch berücksichtigt, dass die Mehrzahl der Fach-Neueröffnungen in den letzten Jahren von den großen Bio-Filialisten getätigt wurde, allen voran Alnatura und Dennree, kann die Konzentration schon beängstigen. Die (Pionier-)Basis des Biomarktes erodiert, analysieren Marktkenner. Die „Ökos“ verurteilen die Konzentration des Lebensmittelmarktes bei der „ Viererbande“ (Edeka, Rewe, Lidl, Aldi), haben aber der „Konventionalisierung“ des Alternativmarktes wenig entgegenzusetzen, heißt es. Die Bio-Szene sei ratlos, wo die Konzepte zur Stärkung der Fachmärkte, zur Erweiterung in den Kleinstädten und in den ländlichen Gebieten blieben. Immer mehr Bioläden aus der Pionierzeit fehlt der Betriebsnachfolger. Übernahme durch größere Filialisten ist nicht selten die Lösung – neben der Betriebsaufgabe. Aber auch die zweite Reihe der Bio-Einzelhändler wie Bio-Company, Basic, Superbiomarkt, ebl steht stark unter Druck. Als Auswege „in der Not“ bieten sich dann die Übernahme durch einen konventionellen Konzern (Edeka, Rewe?), durch einen Bio-Konzern (alnatura, denn’s) oder der Einstieg eines fremden Investors wie aktuell bei der Reformhausgröße Bacher an.

Die Bio-Verbände, die sich jahrelang als der natürliche Partner der Biomärkte dargestellt haben, während EU-Bio etwas für die großen LEH-Konzerne sei, haben sich mit den Macht- und Marktverhältnissen längst arrangiert und verteidigen ihr Engagement.

Allein den Vollsortimentern, Drogeriemärkten und dem Discount werden auch 2022 Zuwächse prognostiziert, berichtet das Bioland-Fachmagazin. Mit mehr als 30.000 Verkaufsstellen in Deutschland ist der LEH zu einem wichtigen Multiplikator ökologisch erzeugter Lebensmittel geworden. Die Kooperationen mit den Bio-Verbänden haben daran einen entscheidenden Anteil, heißt es. „Die Wirkung der Marke Bioland auf den Umsatz im LEH ist messbar positiv“, berichtet Sabine Plaßmann, Geschäftsleiterin Markt und Marketing bei Bioland. In der Marktmacht, die sich die großen Lebensmittelhändler im Bio-Sektor erarbeitet haben, lägen auch Chancen für ökologische Transformationsprozesse.

Der Marktbeobachter fragt sich, ob der Bio-Fachhändler das auch so sieht. Denn die Wirkung der Bioverbandsware im LEH ist bei ihm negativ messbar. Ihre Hilferufe an Politik, Bio-Verbände oder auch NGO’s finden wenig Gehör. Hoffentlich beklagen wir in einigen Jahren nicht den Verlust der kleinen, kundennahen Bioläden.

Schweiz: Übergewinne bei Bioprodukten

Gerade hat ein Bericht des staatlichen Preisüberwachers in der Schweiz herausgefunden, dass der Einzelhandel (Migros, Coop mit 70% Marktanteil) unverhältnismäßig hohe Aufschläge bei Bioprodukten für sich nutzt. Anhand mehrerer Produkte belegt der Preisüberwacher Stefan Meierhans übergroße Gewinne. Den Marktbeherrschern Migros und Coop attestiert er «Duldung statt Preiskampf»: Sie seien sich ihrer gegenseitigen Abhängigkeit und insbesondere der Nutzlosigkeit aggressiver Unternehmensstrategien bewusst. Im wettbewerbsrechtlichen Sinne existiere wohl keine Absprache, die aber auch gar nicht nötig ist. Migros und Coop wissen mittlerweile, wie der jeweils andere agiert. Beide können von hohen Margen auf Bio-Lebensmitteln profitieren, ohne Kundschaft zu verlieren, solange keiner die Preise senkt.
Rechtlich bewegen sich Coop und Migros im Graubereich, sollten die Vermutungen im Bericht des Preisüberwachers zutreffen. Die Verlierer sind die Konsumenten, die überteuerte Preise bezahlen und die Bio- bzw. Label-Bauern, deren Produkte im Laden für viele Verbraucher zu teuer sind. Migros und Coop weisen die Vorwürfe (natürlich) heftig zurück.

Turbulenzen am Bio- Schweinemarkt gehen weiter

Nischenmärkte sind anfällig für Turbulenzen. Das ist keine neue Erkenntnis, wird aber momentan am Markt für Bio-Schweine bestätigt. Der Rückgang von Bioprodukten im gesamten Biomarkt hat nun auch im Schweinemarkt Spuren hinterlassen. Nach den Schutzschirm-Insolvenzverfahren von Basic und Superbiomarkt im Naturkostbereich sind nun Fleischverarbeiter betroffen. Zuerst musste Chiemgauer Naturfleisch wegen explodierender Kosten und sinkender Nachfrage Insolvenz anmelden, nachdem das Unternehmen in 2020 noch Gewinner der Corona-Krise mit einem Umsatzplus von 15% auf 22 Mio.€ war. Nun folgte, weitaus gravierender, der Konkurs der Förster GmbH in Nordbayern, einem Kooperationspartner des Bio-Verbandes „Biokreis“. Damit droht das Fass überzulaufen. Bisher konnte, so die Auskunft der Agrarmarkt- Informationsgesellschaft (AMI), die geringere Nachfrage nach Bio- Schweinefleisch durch die Reduzierung der Importe ausgeglichen werden. Mit dem Wegfall dieses marktrelevanten Unternehmens müssen nun zusätzliche Mengen untergebracht werden, die auch die heimischen Erzeuger trifft. Zudem berichten Brancheninsider, dass noch fast 700 Tonnen gefrorenes Bio-Schweinefleisch eingelagert seien, was Fleisch von etwa 10.000 Schweinen entspricht. 700 Tonnen entsprechen etwa der deutschen Bioschweinefleisch-Erzeugung von einer Woche!

Diese Ereignisse treffen den Biomarkt in einer verwundbaren Zeit. Bis November wurde in 2022 gegenüber dem Vorjahr 13% weniger Fleisch verkauft, bei Rindfleisch 18% und bei Schweinefleisch 8% Verlust, meldet die AMI, womit das 2021er Wachstum aufgezehrt sei. Gegenüber Vor-Corona ist der Zuwachs immer noch sehr erfreulich, der aber vorwiegend aus Importen bestand. Woher sollte sonst das Wachstum so schnell kommen?

Relativer Gewinner sind die Discounter, bedrohlich verloren haben der Naturkosthandel und der Direktabsatz, der bei Biofleisch nicht unbedeutend ist. Erstaunlicherweise sind die Wurstverkäufe im letzten Jahr stabil geblieben, aber ausgehend von einem geringeren Ausgangswert.

Mit diesen Entwicklungen werden die Unwuchtungen des Marktes deutlich. Während ein Großteil der Erzeuger mit längerfristigen Verträgen oder dauerhaften, vertrauensvollen Geschäftsbeziehungen (Erzeugergemeinschaften) weiterhin seinen stabilen Preis von 4,20 bis 4,30 €/kg erhält, hat sich seit Herbst ein Spotmarkt für überschüssige Bio-Ferkel und Schweine entwickelt. Dort bewegt sich der Preis weit unter „normal“.

Marktkenner bewerten die Lage als Durststrecke, nicht als Zusammenbruch. Da im Sommer wegen der hohen Futterkosten weniger Ferkel aufgestallt wurden, könnte sich – so sagen die Optimisten - demnächst der Markt drehen. Umsteller werden aber aktuell nicht aufgenommen.

Aber wie so oft bietet sich in der Krise auch eine Chance. Einzelhändler können stärker auf heimische Ware drängen, auch teilweise auf Verbandsware. Es scheint genug vorhanden zu sein. Auch die 5xD Kennzeichnung für deutsches Fleisch von der Geburt bis zur Theke kann immer öfter geliefert werden. Das war in den letzten Jahren illusorisch, weil etwa 25% der verkauften Produkte importiert waren. Während des Coronabooms war der Anteil noch höher.

Wer aber glaubt, mit einer Bio-Stufe für Schweinefleisch im staatlichen Haltungskennzeichen ein Zeichen für die Verbraucherinnen und Verbraucher setzen zu können und aus der Nische zu kommen, sollte einen anderen Traum träumen.

 

07.02.2023
Von: Hugo Gödde

Nicht für jeden Biobetrieb ist Bioverbandsware im LEH die Zukunft, wie hier bei einer Zeitungsanzeige zur Kooperation von Bioland mit Lidl. Bildquelle: FebL