BÖLW und Özdemir einig: Bio als eine Antwort auf planetare Grenzen

Auf der Biofach in Nürnberg hat Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir „Bio als unser Leitbild für nachhaltige Landwirtschaft“ bei der nachhaltigen Transformation des Landwirtschafts- und Ernährungssystems erklärt. Es brauche jetzt mehr Bio, nicht weniger. Die Vorsitzende des Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), Tina Andres, forderte den Minister respektive die Politik auf, beim 30% Öko-Landbau Ziel von der Bremse zu gehen.

Özdemir hob in seiner Eröffnungsrede zur Biofach hervor: „Gerade jetzt müssen wir für ein besonders widerstandsfähiges, ressourcenschonendes und umweltverträgliches Ernährungssystem kämpfen. Mit aller Kraft! Die Folgen des schrecklichen Angriffskrieges in der Ukraine, die Klimakrise und das Artensterben zeigen deutlich, dass ein Umbau drängt – auch, um dadurch unabhängiger und krisenresistenter zu sein. Bio mit seiner gesamten Wertschöpfungskette ist eine Antwort auf unsere planetaren Krisen. Aus genau diesen Gründen haben wir das 30-Prozent-Ziel in den Koalitionsvertrag geschrieben. Wir sind uns in der Bundesregierung einig. Wir wollen unser Landwirtschafts- und Ernährungssystem nachhaltig transformieren mit Bio als unser Leitbild für nachhaltige Landwirtschaft. Es braucht jetzt mehr Bio, nicht weniger.“

Der Bundesminister betonte in Nürnberg, dass er die Herausforderungen der Ökologischen Land- und Lebensmittelwirtschaft in diesen Krisenzeiten deutlich wahrnehme. Özdemir: "Ich verstehe die Ungeduld der Branche, wenn es darum geht, bei den 30 Prozent schneller voranzukommen. Aber ein guter Plan ist wichtig, damit man auch sein Ziel erreicht. Die Zukunftsstrategie Ökolandbau wird unser Plan und unsere tragende Säule für Transformation sein. Als ein Projekt der gesamten Bundesregierung – und mit Unterstützung des Sektors. Was die EU-Agrarpolitik angeht, hätte ich mir diese deutlich ambitionierter gewünscht. Ich schaue da jetzt nach vorn. Mit dem Ziel, die Direktzahlungen in der GAP nach 2027 durch ein System zur Honorierung von Klima- und Umweltleistungen zu ersetzen.“

Letztendlich sei ihm auch noch wichtig, die gesamte Wertschöpfungskette in den Blick zu nehmen und zu stärken. Damit Bio-Milch, -Brot oder -Gemüse von unseren Bauern auch Kunden finde, gelte es jetzt auch den Markt auszubauen. „Wir arbeiten daran, das große Potential der Außerhausverpflegung für die Bio-Nachfrage zu heben, mit rechtlichen Grundlagen und einem Ausbau der Beratung. Gleichzeitig ist es mir ein Anliegen, Innovation stärker zu fördern. Deswegen werden wir die ökologische Praxisforschung ausbauen", so Özdemir.

Zum Handeln aufgefordert wurde der Minister von der BÖLW-Vorsitzenden Tina Andres. „Trotz Inflation, wirtschaftlicher Einbußen durch den Ukraine-Krieg und der noch immer anhaltendenden Pandemie und gerade wegen der zunehmend spürbaren Konsequenzen der Klimakrise sowie des Artensterbens: Die Verbrauchertreue bei Bio ist ungebrochen. Auch die Bauern, Herstellerinnen und der Lebensmittelhandel halten an Öko als wegweisende Landwirtschaft der Zukunft fest. Minister Özdemir muss den notwendigen Umbau von Landwirtschaft und Ernährung jetzt angehen“, bilanziert Tina Andres, Vorstandsvorsitzende des Bio-Spitzenverbandes BÖLW.

Kundinnen und Kunden in Deutschland gaben in den ersten fünf Monaten 2022 rund 35 % mehr für Bio-Frischeprodukte aus als im gleichen Zeitraum 2019 - und damit vor der Coronapandemie. Im ersten Halbjahr 2022 sind die Umsätze des Lebensmittelhandels insgesamt rückläufig. Doch der Bio-Markt zeigt sich nach Ansicht des BÖLW robust und ist davon weniger stark betroffen. Das Niveau der Verbraucherpreise lag für Bio-Frischeprodukte im ersten Halbjahr 2022 5,2 % höher als im Vorjahreszeitraum. Damit liege die Preissteigerung bei Bio deutlich unter der Entwicklung bei konventionellen Lebensmitteln, für die 8,0 % ermittelt wurden. Folglich verringere sich der Preisabstand zwischen Bio und konventionell deutlich. “Der Bio-Markt zeigt sich zuverlässig in unruhigen Zeiten. Kürzere Wege bei Lieferketten und keine Abhängigkeit von teurem und schwer verfügbarem Stickstoff-Mineraldünger beim Bio-Anbau sorgen für die Stabilität des Bio-Marktes”, so Peter Röhrig, geschäftsführender Vorstand des BÖLW.

Die nach Ansicht des BÖLW grundsätzlich hohe Umstellungsbereitschaft auf Öko-Landwirtschaft kann aufgrund auch der unklaren Rahmenbedingungen aktuell nicht ausreichend wirksam werden. „Agrarminister Cem Özdemir muss dafür sorgen, dass bei der neuen EU-Agrarpolitik (GAP) die erforderlichen Mittel eingeplant werden, um 30 % Öko-Landbau erreichen zu können“, sagt Andres. Aktuell liegt die Bio-Fläche in Deutschland bei knapp 11 %. Wenn der Minister lediglich Finanzmittel vorsieht, die 3 % zusätzliche Bio-Fläche bis 2027 ermöglichen, rückt das 30 % Ziel in weite Ferne und die vielen veränderungsbereiten, konventionellen Betriebe erhalten keine Bio-Perspektive. Dass die finanziellen Anreize zur Umstellung auf Bio erhöht werden, ist wichtig, um die Leistungen von Bio für Klima, Biodiversität und saubere Gewässer angemessen zu honorieren“, pflichtet Peter Röhrig bei.

Um Bio in Deutschland voranzubringen, müsse es mehr Bio in der Außer-Haus-Verpflegung geben. Hier hätten die Gäste heute zumeist keine Wahlmöglichkeit, um zu Bio greifen zu können. Aktuell liege der Anteil bei unter 2 %. Der Bund müsse für alle Küchen schnell die notwendigen rechtlichen Voraussetzungen schaffen, um sie bei der Umstellung zu unterstützen. Die Bundesregierung sei gefordert, mindestens 50 % Bio in ihren Einrichtungen umzusetzen.

Um das 30 % Ziel zu erreichen, müsse ebenso die Forschung auf dieses Ziel ausgerichtet werden. Aktuell liegt der Anteil der Forschungsmittel für Bio an der Agrarforschung bei unter 2 %.

“Wichtig ist, dass die EU-Kommission gerade in dieser Zeit der multiplen Krisen an der Umsetzung der „Farm to Fork“- Strategie und den Zielen für die Pestizidreduktion im Speziellen festhält. Mehr denn je zeigen die Klimakatastrophe, das rapide Artensterben wie auch die Folgen des Ukraine-Krieges, dass wir eine resiliente, umweltverträgliche und von chemisch-synthetischen Betriebsmitteln unabhängige Landwirtschaft brauchen. Mehr Bio sorgt dafür, die Schäden der Landwirtschaft in Deutschland von 90 Mrd. € im Jahr an Gemeingütern zu mindern. Die Schäden entstehen durch Überdüngung, zu viele Tiere auf der Fläche und viel zu viele Pestizide“, bekräftigt der geschäftsführende Vorstand des BÖLW, Peter Röhrig.

„Die starken Impulse aus Öko-Wirtschaft und Gesellschaft muss die Politik jetzt aufgreifen, um die Herausforderungen zu lösen, die immer dringlicher werden: Der Schutz von Klima, Gewässern, Tieren und Biodiversität. Das System Bio liefert unmittelbar die Lösungen für eine nachhaltige Transformation der Land- und Ernährungswirtschaft, die wir jetzt brauchen. Deshalb müssen die Weichen für den Bio-Umbau jetzt gestellt werden. Dazu zählt mehr Ernährungssouveränität und weniger Abhängigkeit von Inputs auf Basis fossiler Energie“, so Röhrig weiter.

„Genau wie uns erneuerbare Energien von globalen Abhängigkeiten und katastrophalen Umweltschäden schützen, macht Bio unabhängig von problematischen Inputs wie u.a. externe chemisch-synthetische Betriebsmittel. Wichtig ist jetzt, dass die Verantwortlichen in EU, Bund und Ländern Bio ebenso pushen wie Solar, Wind oder Wasser im Energiebereich”, fügt die Vorstandsvorsitzende des BÖLW, Tina Andres, hinzu.

Fazit und Ausblick aus der Sicht des BÖLW
Der Blick auf 2022 und die vergangenen Jahre zeigt: Das 30 % Bio-Ziel, das sich die Regierung bis 2030 mit der Farm to Fork-Strategie gesetzt hat, ist erreichbar. Damit in Zukunft genügend Unternehmen die Bio-Chance nutzen können, müsse die Politik die Signale entschieden auf Nachhaltigkeit stellen: Wertschöpfung, vom Acker über Herstellung bis in den Handel – es ist am Bundesminister, jetzt die Weichen in Richtung Bio zu stellen. Die Kundinnen und Kunden legen mit ihrem Konsumverhalten vor. Und ihre Wahl ist eindeutig! Die Politik muss mitziehen.

 

01.08.2022
Von: FebL/PM

Cem Özdemir bei seiner Eröffnungsrede zur Biofach in Nürnberg. Foto: BMEL/Photothek