Frankreichs Biomilch-Markt vor dem Zusammenbruch?

Marktbeobachtungen von Hugo Gödde

Frankreich war in den letzten Jahren ein Aufsteiger am Biomarkt. Nach einem eher langsamen Einstieg in den 2000er Jahren hatte er sich zuletzt als Erfolgsstory präsentiert. Mit etwa 12% der Fläche und 10% der Landwirte wurden deutsche Bio-Verhältnisse eingeholt. Wachstumszahlen von 10% und mehr über mehrere Jahre lösten einen Boom aus, der nun abrupt zu einem Ende zu kommen scheint. Der Absatz bricht auch im Land des „guten Essens“ ein. Die Bio-Bauern schlagen Alarm. Aber die Regierung will nur Almosen verteilen.

Die Französin und der Franzose essen gern und gut. Qualität ist ihnen wichtig, gern auch bio und möglichst aus der Region. Der Preis ist zweitrangig. So geht die Erzählung – das Narrativ, wie es heute heißt –, wenn wir über unser Nachbarland reden. Nun stellt sich heraus, dass auch der französische Verbraucher beim Essen spart, weil die Inflation bei Lebensmitteln so stark gestiegen ist. Damit erlebt auch der Bio-Boom einen deutlichen Einbruch. In 2021 ist der Markt nach Zahlen der Bio-Agentur (Agence Bio) leicht, in 2022 deutlich zurückgegangen. Offizielle Zahlen existieren noch nicht, aber in der Branche geht man durchaus von minus 10% auf 11-12 Mrd. € aus (Deutschland 15,3 Mrd. €). Dagegen wuchsen die Zahlen der Bio-Fläche und der Betriebe rasant. Von 2016 bis 2021 hat sich die Bio-Fläche verdoppelt auf 2,2 Mio. ha. Dazu kommen noch 584.000 ha in Umstellung. Und mit 6.000 Höfen werden in 2021 13% neue Betriebe biozertifiziert oder umstellungs-anerkannt auf 57.000 (Deutschland 35.000). Dieses gewaltige Wachstum trifft nun auf einen wenig aufnahmefähigen Markt.

Bio- Milchmarkt besonders erschüttert

Von dieser Krise ist vor allem der Bio-Milchmarkt betroffen. Wie in anderen europäischen Ländern (Deutschland, Österreich usw.) verläuft die Umstellung auf Biolandbau besonders in Grünlandregionen (Süd- und Zentralfrankreich) und im Milchviehbereich. Von 2015 bis 2021 verdoppelte sich die Milchproduktion auf 1,2 Mrd. kg und erhöhte sich in 2022 noch einmal um 10%. Wenn man bedenkt, dass sich neben den ca. 185.000 Bio-Kühen noch etwa 100.000 Kühe in „conversion“ befinden, kann man das Ausmaß der Vermarktungsnot erahnen. Die Bio-Milchwelle ist schon da und zugleich noch vor den Toren. Angesichts der wachsenden Produktion brach der Markt zusammen.

Die größten Bio-Molkereikonzerne wie Lactalis, Sodiaal, Agrial und Biolait mussten 2022 bis zu 40% ihrer Biomilch konventionell verkaufen – mit entsprechender schlechterer Verwertung und radikal abgesenkten Preisen, wie französische Medien berichten. Schon Ende 2021 war der Markt gekippt. Damals hatte Lactalis rund 30% der Biomilch herabgestuft. Auch Sodiaal hatte 10% der gelieferten Milch gekürzt oder nur zum Preis für GVO-freie Milch bezahlt. Wegen der „schwierigen wirtschaftlichen Bilanz für unsere Bio-Branche“, so die Begründung, hatte man statt etwa 48 Cent nur 38 ct/kg für die „Übermilch“ berechnet.

Da der Absatz sich im letzten Jahr weiter abschwächte, während sich die Anlieferung erhöhte, wurde der Überschussanteil immer größer. Große Molkereien haben das ganze Jahr über bio und konventionell milchtankwagenweise gemeinsam eingesammelt, weil die Milch zusammen unter „normal“ vermarktet wurde. Nun lag 2022 der konventionelle Milchpreis glücklicherweise außergewöhnlich hoch (aber in Frankreich deutlich unter dem Preisniveau in Deutschland), so dass der Bio-Milchpreis nicht völlig in den Keller rauschte und die Verluste begrenzt wurden. Trotzdem fahren die Molkereien entsprechende Verluste ein – für das vergangene Jahr 2022 bei einem Rückgang in der Nachfrage von 18 % werden diese auf insgesamt 40 Mio. Euro geschätzt.

Allein für die abgestufte Milch wird der Verlust für die Biomilcherzeuger auf 20 Mio. Euro beziffert. 3 % der Biomilcherzeuger haben ihre Produktion bereits eingestellt. Die Zeit der Boni und Subventionen, die z.B. Lactalis bis 2020 für die Umstellung auf Bio gewährt hatte, ist längst vorbei. Bei Rückumstellung braucht nicht einmal die Förderung zurückgezahlt zu werden.

Überschüsse und Preisdruck in 2023

Im laufenden Kalenderjahr 2023 werden in Frankreich voraussichtlich 43 % der im Land erzeugten Biomilch zu konventionellen Milchprodukten verarbeitet werden müssen. Das erwartet der Branchenverband der Milch. Er beziffert die Überschussmenge auf 530 Mio. Liter. Mit einem verstärkten Export – auch nach Deutschland – sollen die Verluste reduziert werden. Dabei ist der deutsche Bio-Milchmarkt selbst voll und eigentlich nicht aufnahmefähig – aber das ist dann sicher eine Preisfrage.

Parallel zu den wieder merklich gesunkenen konventionellen Milchpreisen werden die Verluste für die Erzeuger sowie die Verarbeiter von Biomilch in diesem Jahr deutlich höher ausfallen. Jetzt wird die Regierung um finanzielle Unterstützung in Höhe von 71 Mio. Euro für den in der Krise befindlichen französischen Biomilchsektor gebeten.

Staatliche Nothilfe ein Witz – Biobauern stinksauer

Der Dachverband der Biolandwirtschaft (FNAB) fordert von der Regierung seit Wochen ein umfassendes Hilfsprogramm für den gesamten Biosektor. Premierministerin Borne persönlich versprach Unterstützung und hat auch tatsächlich einen Hilfsfonds eingerichtet. Als Sofortmaßnahmen werden für Ökobetriebe „in ernsten wirtschaftlichen Schwierigkeiten“ Gelder in Höhe von 10 Mio. € bereitgestellt. Außerdem wird eine Arbeitsgruppe eingerichtet mit dem Ziel, den Bio-Anteil in der Gemeinschaftsverpflegung auf 20% zu erhöhen. Der „Zukunftsfonds Bio“ wird von 2 auf 15 Mio. € aufgestockt und eine Imagekampagne für Bio mit 750.000 € zusätzlich gefördert. Der nationale Strategieplan für die EU will den Bio-Flächenanteil bis 2027 auf 18% steigern – wenn die EU entsprechend subventioniert.

Die Bio-Bauernbewegung ist empört. Die Nothilfe entspricht nur 166 € pro Betrieb, berechnet der Dachverband der Biolandwirtschaft FNAB (Fédération Nationale d'Agriculture Biologique). Gefordert werden stattdessen für den Schweine-, Milch-, Obst- und Gemüsebereich 150 Mio. €. Um ihrem Ansinnen öffentliches Gewicht zu verleihen, haben sie auf der Landwirtschaftsmesse Ende Februar am Messestand der Agentur agence bio, an der auch die Regierung, die Agrargenossenschaften und Bioverbände beteiligt sind, die Bio-Landwirtschaft symbolisch „beerdigt“.

Auch in Deutschland wächst die Unruhe im Bio-Milchmarkt. 5% mehr Milch in 2022 und weiter steigende Anlieferung in diesem Jahr treffen auf sinkende Absatzzahlen von 7 bis 10% - und aus dem Ausland (Österreich, Dänemark, Frankreich) nimmt der Druck zu. Der Erzeugerpreis kann seinen Rekordwert von 62 ct/kg von der Jahreswende noch weitgehend verteidigen. Der Abstand zu konventioneller Milch steigt bereits auf 9 Cent. Aber die Nervosität unter den Bio-Milchviehhaltern nimmt zu.

Am Beispiel Frankreich kann man die Folgen sehen, meint der Marktbeobachter, wenn man den Markt überschätzt und von permanentem Wachstum ausgeht. Eine organische Entwicklung ist eigentlich Teil der DNA des Biolandbaus, nicht politische Illusionen über Wachstumswahn oder 30%- Ziele, die Großstrukturen voraussetzen und gewachsene Strukturen und Wertschöpfungsketten behindern. Trotz staatlicher Förderung der Rahmenbedingungen entscheidet auch bei Bio der Markt bzw. die Verbraucherschaft. Die Fehleinschätzungen sind immer teuer zu bezahlen – in der Regel hauptsächlich von den Bäuerinnen und Bauern.

 

 

29.03.2023
Von: Hugo Gödde

Mit einem überdimensionalen Sarg hat die Biobranche der Politik vorgeworfen, ihre Interessen zu "verachten" und die Biolandwirtschaft so zu "beerdigen". Bildquelle: FNAB