Spekulation statt Ernährungssicherung

Viel Aufmerksamkeit kommt gerade der Verfügbarkeit von Lebensmitteln und der Rohstoffversorgung zu. Der Angriffskrieg in der Ukraine hat ganz plötzlich gezeigt, wie wichtig landwirtschaftliche Produktion für die Ernährung der Menschen und das Funktionieren von Gesellschaften ist. Dabei sind es allem voran die Lieferwege, die durch diesen Krieg blockiert sind. Der Boden als Ort des Wachstums ist größtenteils unbeeinträchtigt und wird sogar weiter bestellt. Ein ganz anderes Bild zeigt sich, wenn man die globalen Entwicklungen der landwirtschaftlichen Böden betrachtet. Denn durch Wind- und Wassererosion, Versalzung und Abholzung werden Böden weltweit so weit zerstört, dass eine landwirtschaftliche Nutzung auch auf niedrigem Niveau nicht mehr möglich ist. Die UN warnt im „Global Land Outlook 2“ vor chronischer Landverschlechterung: „Bis zu 40 Prozent der Landflächen des Planeten sind degradiert, die Hälfte der Menschheit ist direkt betroffen.“ Der Bericht geht davon aus, dass die Degradierung um eine Fläche von fast der Größe Südamerikas zunehmen wird, wenn bis 2050 so weitergemacht wird wie bisher. Ibrahim Thiaw, Exekutivsekretär der UNCCD, erklärt: „Die moderne Landwirtschaft hat das Gesicht unseres Planeten stärker verändert als jede andere menschliche Tätigkeit. Wir müssen dringend unsere globalen Ernährungssysteme überdenken, die für 80 Prozent der Entwaldung und 70 Prozent des Süßwasserverbrauchs verantwortlich sind und die größte Ursache für den Verlust der biologischen Vielfalt an Land darstellen.

Mehr Menschen

Neben dem Verlust von Böden steigen gleichzeitig die Anforderungen an die verbleibenden Flächen. Vor allem der bis 2050 prognostizierte weltweite Bevölkerungszuwachs um 30 bis 50 Prozent führt dazu, dass die rechnerisch pro Person verfügbare landwirtschaftliche Nutzfläche gegenüber 2020 fast halbiert wird. Standen 1970 jedem noch 3.800 m² zur Verfügung, waren es 2020 nur mehr 2.400m². 2050 werden es voraussichtlich nur noch 1.500m² sein. Beschleunigt wird dieser Prozess auch dadurch, dass durch Abholzung vermeintlich neu entstandene landwirtschaftliche Flächen bisher mit eingerechnet wurden. Schon in der Vergangenheit war aber die Abholzung von Regenwald mit seiner zentralen Bedeutung für das Weltklima unverantwortlich. Zukünftig muss diese kurzsichtige Neuschaffung von Produktionsflächen als Ausgleich für andernorts zerstörte Böden in jedem Fall unterbleiben, wenn Klimaziele und damit die Lebensgrundlagen der Menschen erhalten bleiben sollen.

Dass der begrenzte Boden und die auf ihm angebauten Lebensmittel vor der Perspektive stark steigender Bevölkerungszahlen zu einem idealen, wenn auch langfristigen, Investitionsfeld werden, haben die großen Banken schon vor vielen Jahren erkannt. Und da, wo Ibrahim Thiaw noch zu Investitionen in die großflächige Wiederherstellung von Böden aufruft, um sich der Wüstenbildung, der Bodenerosion und dem Verlust landwirtschaftlicher Produktion entgegenzustellen, drängen immer mehr Investoren auf den Bodenmarkt. Allerdings weniger, um diesen zu schützen, als vielmehr, um diesen als Anlageobjekt zu nutzen und mit industriellen Produktionsbedingungen, besonders in Phasen hoher Rohstoffpreise, möglichst hohe Gewinne zu erzielen.

Seien es die Palmölplantagen in Indonesien, China, dass sich auf vielfältige Weise den Zugang zu Land in Afrika gesichert hat, oder aber die Unternehmensstiftungen und Holdings in Deutschland, die durch ihr Agieren zu einer immer weiter voranschreitenden Landkonzentration beitragen – auf ihrer Veranstaltung „Der Kampf um den Boden – Lebensgrundlage statt Kapitalanlage“ hat die AbL Mitteldeutschland Mitte Mai die verschiedenen Faktoren aufgezeigt, die zu einer fortschreitenden Verknappung von landwirtschaftlichen Flächen in Deutschland und zu einer zunehmenden Konzentration führen. Vor allem für Neueinsteiger in der Landwirtschaft, aber auch für bäuerliche Betriebe wird es auch wegen ständig steigender Flächenpreise, die nicht selten über den auf der Fläche zu erwirtschaftenden Renditen liegen, zunehmend schwierig, Land und damit die Grundlage ihres Wirtschaftens zu erwerben. Um auf die Entwicklungen am Bodenmarkt eingehen zu können, wären Agrarstrukturgesetze auf Länder- und/oder Bundesebene ein wichtiges Instrument. Leider sind die verschiedenen Vorstöße der vergangenen Jahre immer wieder gescheitert, weil die Ware Boden als Wirtschaftsgut höher bewertet wurde als dessen Wert als Grundlage von Ernährungssouveränität und von stabilen ländlichen Räumen mit einer intakten Sozialstruktur von vielfältigen Höfen.