Von Händlern und Heuchlern

Eine Marktmeinung von Hugo Gödde

Es soll ein „Leuchtfeuer für die Welt“ sein, hatte UNO-Generalsekretär Guterres nach den erfolgreichen Verhandlungen um Getreideexporte aus der Ukraine angekündigt. Besonders Hungernde in afrikanischen Ländern würden davon profitieren. Etwa 20 Mio. Tonnen lägen in Lägern in den Hafenstädten um Odessa. Mit diesen Exporten könnte man nicht nur den ukrainischen Erzeugern helfen, ihre Silos zu räumen, um die neue Ernte einzulagern, sondern vor allem könnte man eine Hungertragödie in Afrika und dem Nahen Osten eindämmen.

Die ganze Welt schaute auf die Verhandlungen in der Türkei und war erleichtert, als tatsächlich die ersten Schiffe auf dem Weg in die Hungerregionen waren. Sofort reagierten auch die globalen Getreidemärkte. Der Weizen- und Maispreis fiel (vorübergehend?) auf „Vorkriegsniveau“, immer noch 20-30% über dem Wert vom Sommer 2021, aber auch um ein Viertel unter dem Höchstpreis von Mitte Mai. Einem großen Teil der Spekulationsblase des internationalen Getreidehandels war die Luft entzogen. Aber Getreide als Grundnahrungsmittel Nr. 1 ist für kaufkraftschwache Länder und die arme Bevölkerung dort immer noch eine Überlebensfrage.

Strohfeuer statt Leuchtfeuer...

Wer nun aber der Meinung war, die dringend benötigten Nahrungslieferungen würde tatsächlich bei den Bedürftigen ankommen, wurde eines Anderen (Schlechteren) belehrt. Aus dem Leuchtfeuer wurde ein Strohfeuer. Das erste Schiff aus der Ukraine, die „Rasoni“, nahm zwar Kurs auf Libanon, wurde aber kurz von dem Zielhafen angehalten. Der Schiffs- bzw. Ladungseigner bot noch unterwegs die Ware auf dem freien Markt an. Aus Mais für den menschlichen Verzehr wurde „plötzlich“ Hühnerfutter, das meistbietend offeriert wurde. Aus einer Getreidelieferung gegen den Hunger wurde ein Objekt der Profitmaximierung. Und die Weltgemeinschaft konnte (wollte?) nichts machen, weil die Ladung ja Privateigentum war. Schließlich sind die Getreideexporteure keinen Bauern aus der Ukraine, sondern Oligarchen und globale, zumeist westliche Handelskonzerne wie Cargill und andere. Und denen ist auch in dieser dramatischen Lage die Geldbörse näher als der Hunger der Armen.  

Direkt nach Afrika ging bisher keine einzige Lieferung. Als Abnehmerländer werden genannt Italien, Südkorea, China, Iran, Irland, England usw.. Das Hauptziel sei gerade Europa, sagt ein Beamter des Koordinierungszentrums in Istanbul. „Die Versorgung europäischer Länder hat einfach Priorität.“ Überhaupt könne man in Istanbul nicht beurteilen, wohin die Lieferungen letztlich gehen. Die Behörde könne nur entscheiden, ob die von den ukrainischen Häfen gemeldeten Daten korrekt seien. Die Wahl der Zielländer sei Sache der Wirtschaft. „Käufer und Verkäufer regeln das unter sich.“ Ausfahrtanfragen für Schiffe mit dem Ziel Afrika habe es in den ersten zwei Wochen nicht gegeben, berichtet „Zeit online“. Bisher ist aus einer intensiv verhandelten oder auch gedacht großmütigen Geste, an der die ganze Weltgemeinschaft Anteil nahm, ein schnödes Geschäft von und für Konzerne(n) geworden, die den Welthandel beherrschen. Der Meistbietende entscheidet, nicht der Hungernde.
„Der Markt kennt keine Moral,“ sagte schon Adam Smith vor 250 Jahren. Man hätte es eigentlich wissen können. Der Weltmarkt ist ein Markt und keine große Tafel für Bedürftige.

Der Marktbeobachter fragt sich nachdenklich, ob das zu den hohen moralischen Werten gehört, die der Westen für sich reklamiert und die in der Ukraine verteidigt werden.

... die Heuchler im eigenen Lande

Die Diskussion um die Ernährungssicherheit hier, Hungerbekämpfung in aller Welt und den Beitrag der Agrarpolitik dazu wird auch in Deutschland mit großer Verbissenheit und hoher moralischer Attitüde geführt. In einer solchen Krisenzeit, so z.B. der Bauernverband, müsse alles andere wie Artenschutz, Ökologie oder Maßnahmen gegen den Klimawandel, die schon gemeinsam beschlossen sind, zurückgenommen werden. Jeder Hektar muss für die Nahrungsmittelerzeugung genutzt werden, damit, so besonders geifernde LsV- Spitzenakteure, die Kinder in Ägypten und Äthiopien nicht verhungern. Deshalb müsse die beschlossene 4% Flächenstilllegung sofort zurückgenommen werden und – wenn es nach den Rollback-Politikern geht – dauerhaft.

Nun kann man heftig streiten, welch nützlicher Beitrag zum Artenschutz bzw. Naturschutz die Stilllegung ist. Umweltverbände, auch die AbL, halten seit Jahrzehnten eine Extensivierung für sinnvoller und ökologischer als eine Stilllegung, bei der die weniger produktiven Äcker aus der Produktion genommen werden und deren Ökobilanz mindestens umstritten ist. Daher erstaunt es, dass sich der Minister über Monate an dieser Frage verkämpft hat und ein Getriebener wurde. Ein Jahr Aussetzung von 4% Nichtbewirtschaftung wird den Artenschutz nicht entscheidend zurückwerfen. Es scheint eher ein politischer Stellungskampf. 

Andererseits wird der Beitrag Deutschlands (und der EU) zur Hungerbekämpfung durch die Aussetzung der Stilllegung nicht merkbar sein. Auch den Preis wird es nicht beeinflussen. Im günstigen Fall erwarten Ackerbauexperten etwa 1 Mio. Tonnen Getreide zusätzlich in 2023. Deutschland erzeugt in diesem Jahr etwa 42 Mio. Tonnen, weltweit sind es 3 Milliarden Tonnen. Man kann sich die Bedeutung der „Zusatzernte“ selbst errechnen.

Zugleich kann man aktuell vom globalen Getreidemarkt wieder mal lernen, dass die Vorstellung naiv ist, dass die Erzeugung hier mit der Hungerbekämpfung in armen Ländern ursächlich ist. Denn der bäuerliche Getreideerzeuger liefert ja nicht nach Ägypten oder Libanon. Dazwischen sind viele Akteure geschaltet mit sehr eigenen Interessen, vom Aufkäufer, dem Lagerhalter, dem Transporteur, dem Schiffseigner, dem globalen Handelskonzern, dem Broker an der Börse, der Finanzindustrie, die jede Exportladung 3 bis 5mal handelt, bis zum nationalen und regionalen Verteiler in den Drittstaaten. Wenn man bedenkt, dass 5 große Getreidehändler 80% den Weltgetreidemarkts bestimmen (ADM, Bunge, Cargill, Dreyfuss und neuerdings die chinesische Cofco), kann man sich die globalen Machtverhältnisse leicht vorstellen.  Alle haben ihre (Profit-)Interessen und nicht zuletzt entscheiden auch die Kaufkraft der Konsumenten bzw. die Subventionierung durch die Staaten des Südens. Viele Revolutionen und Aufstände in den letzten Jahrzehnten haben im hohen Brotpreis ihren Auslöser.    

Der Marktbeobachter hält die Aufgeregtheit von Politikern oder Verbänden für pure Heuchelei, dass plötzlich die Versorgungssicherheit infrage gestellt wird – oder, wenn das Argument nicht zieht, dass auf den Stilllegungsflächen Brot für die Welt produziert werden muss.

Tatsächlich wirft dieser Sommer neben der Exportfrage viele andere dringende Probleme auf, z.B. wie der Klimawandel angesichts der Hitze- und Trockenzeiten bekämpft werden kann, wie die Wasserversorgung gewährleistet werden kann, wie man die Ackerbaustrategie anpassen muss oder ob die Definition von Brotgetreide korrigiert werden muss, wodurch viel A- oder B-Weizen zu Futtergetreide abgestuft wird usw. Auch Teller, Trog oder Tank sind sehr berechtigte Zielkonflikte.

Die Probleme sind allzu offensichtlich (geworden). Voraussichtlich wird uns der Klimawandel in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zu stark herausfordern, als dass wir uns solche Heucheleien erlauben können.