Für die Getreideproduktion kommt es ganz dicke. Gleich von mehreren Seiten sind die Märkte für Weizen, Mais und Futtergetreide unter Druck gesetzt – und das bereits seit fast zwei Jahren. Der Krieg in der Ukraine setzt der schon vorher sehr sprunghaften („volatilen“, wie man heute sagt) Entwicklung die Krone auf. Die fehlende Exporte aus den Kornkammern Europas (Russland, Ukraine) treiben die Getreidepreise in nie gekannte Höhen. Sie treffen vor allem die auf Brotgetreide angewiesenen Länder Afrikas und des Nahen Ostens, lassen aber auch die hiesigen Märkte erbeben. Plötzlich wird wieder über Versorgungsfragen diskutiert, nachdem jahrelang der Export als Überschussabbau im Fokus stand. Dabei wird die europäische Ernährungssicherheit nirgends in Frage gestellt. Aber der Anstieg der Agrar- und Rohstoffpreise laut FAO (Ernährungsorganisation der UNO) um 30 Prozent innerhalb eines Jahres hinterlässt natürlich tiefe Spuren.
Klimawandel und China
Hier muss nicht der völkerrechtsverletzende Zerstörungskrieg Russlands diskutiert werden. Es geht um die Marktentwicklungen vor dem und die Auswirkungen durch den Krieg. Tatsache ist, dass schon im letzten (und vorletzten) Jahr die Erntemengen stark schwankten. Hintergrund waren Klimaphänomene, die besonders Südamerika und Australien, aber auch Teile der USA und Kanada trafen. Große Trockenheiten gemischt mit Währungsturbulenzen (Argentinien), logistischen Problemen (Corona weltweit) oder erhöhten Zöllen (Russland) ließen viele Spekulationen an den Börsen in Chicago und davon abgeleitet in Paris aufkommen. Verschärfender Auslöser waren die chinesischen Aufkäufer für Futtergetreide und Mais, die ihre nach der ASP wieder gewachsene Schweineproduktion versorgen mussten. „Der Chinese kauft alles“, hieß es an den Börsen. Und da die Börsen ja nur die Zukunftserwartungen und weniger die gegenwärtige Lage abbilden, wurde jede Berechnung bzw. Hochrechnung der Ernteprognosen in wichtigen Ländern (besonders durch das US-Landwirtschaftsministerium) wie eine Heilsbotschaft ersehnt, die sich sofort auf die Marktpreise auswirkte.
Energiepreise explodieren
Gleichzeitig erhöhten sich die Energiepreise für Öl, Gas und Kohle um das Zwei- bis Dreifache. Die Erholung der Weltwirtschaft nach Corona und fehlende Lieferketten werden dafür verantwortlich gemacht. Der Preisboom der Energieträger trieb die anderen Rohstoffe wie auch verarbeitete Produkte vor sich her. Einzelne gasabhängige Düngerpreise (Ammoniak) verdreifachten sich. Vielfach wurde befürchtet, dass gar kein Dünger lieferbar sei, da einige Großkonzerne wie Yara ihre Produktion drosselten, was natürlich die Preise weiter anheizte. Der Düngerkauf wurde für Landwirte und Händler zur (teuren) Wundertüte.
Im Ergebnis stiegen im Laufe des Jahres 2021 die Weizenpreise von 20 (Februar) über 22 (Juli) auf 27 Euro/dt (Dezember), Mais von 20 auf 26 bis 28 Euro. Rapssaat erreichte Höhen, die selbst Experten nicht für möglich gehalten hatten. Von schon guten 45 Euro/dt am Jahresanfang steigerte sich der Preis auf 70 Euro/dt zu Weihnachten.
Große Unruhe brach im Markt und unter Landwirten aus. Wer in der Ernte sein Getreide verkauft hatte, ärgerte sich über seine vorschnelle Entscheidung. Wer Futter zukaufen musste, hatte abzuwägen zwischen kaufen oder noch warten. Ähnliches galt für den Düngerzukauf. Sollte man im Herbst auf sinkende Preise im Frühjahr hoffen oder war dann vielleicht kaum etwas zu bekommen?
Unsichere Zeiten auf den Märkten sind immer Zeiten der Spieler und Spekulanten. Erzeuger und regionale Händler, die von normalen Preisen und Entwicklungen ausgehen, kommen leicht unter die Räder.
Krieg und Handelsturbulenzen
Aber niemand hatte damit gerechnet, dass diese Turbulenzen noch durch einen Krieg in den wichtigsten Exportländern für Getreide dramatisch verschärft würden. Volle Läger, aber keine Logistik (Häfen kriegsbedingt gesperrt, Landwege gefährlich bis ungeeignet) in der Ukraine und die Importsanktionen gegen Russland ließen den Weltgetreidepreis noch einmal sprunghaft ansteigen. Weizen oder Gerste zu 35 bis 38, Mais zu 34 und Raps zu 90 Euro/dt werden aufgerufen. Nach den bisherigen Vertragsabschlüssen wird in der neuen Ernte mit nur leicht gesunkenen Preisen zu rechnen sein, aber es wird keine Entspannung geben, wie der Agrarmarktexperte Klaus-Dieter Schumacher bei einer Online-Veranstaltung des AbL-Schweine-AK erläuterte. „Wir stehen vor einer globalen Ernährungskrise. Und die niedrigen Lagerbestände werden angesichts der hohen Energie- und Betriebsmittelpreise in dieser Situation kaum aufgefüllt und somit nicht zu Preisrückgängen führen.“ Getreide deutlich über 30 und Raps bei 70 bis 80 Euro/dt werden kalkuliert, auch ohne mögliche Wetterkapriolen. Der Hunger in der Welt werde zunehmen und die Agrarpreise werden nach der Energie zum zweiten Inflationstreiber, so der langjährige Manager von Töpfer, BayWa und Nordzucker. In der EU sei besonders die intensive Viehhaltung z. B. in Spanien gefährdet, die besonders abhängig vom ukrainischen Mais sei.
Zugleich waren die Energiepreise im März 83 Prozent höher als im Vorjahresmonat. Ähnliche Steigerungsraten gab es auch bei den Preisen für Düngemittel und Stickstoffverbindungen. Trotz steigender Betriebsmittelpreise dürfte sich aber für Ackerbauern die Erzeugung rentieren, wie auch der Berliner Agrarökonom Harald Grethe kalkuliert. Für die Tierhalter sieht er aber große Probleme, da selbst die aktuell (relativ) guten Milch-, Rinder- oder Schweinepreise die Kosten nicht ausgleichen. Besonders die kraftfutterintensiven Bereiche wie Schweine- und Bullenmast sowie die Geflügelproduktion bleiben stark unter Druck.
Fazit: viele Fragen
Die aktuellen Nahrungsmittelkrisen, verursacht durch Klimawandel, Energiekrise und Ukrainekrieg werfen viele grundsätzliche Fragen zum Überdenken der Agrarpolitik auf. Alle Analysten sind sich einig, dass die Getreidepreise noch länger hoch bleiben. Und diese sind die Basis aller Nahrungsmittelpreise. Ob die aktuell hohen Erzeugerpreise für Milch und Fleisch das ausgleichen, ist mehr als unsicher. Das Ausmaß der Tierhaltung bzw. des Fleischkonsums wird zurückgehen. Die zukünftige Ernährung muss stärker pflanzenbasiert sein. Aber sie darf nicht so energie-/erdöl-/erdgasabhängig sein wie heute. Der Biokraftstoffanteil ist zu überprüfen und die Lebensmittelverschwendung muss reduziert werden.
Eines lehrt uns diese Krise: Die Transformation der Landwirtschaft steht ganz oben auf der Tagesordnung. Aber sie dürfte umfassender und schwieriger sein, als man sie sich heute vorstellt.