Schweinemarkt: 2021 unterirdisch – 2022 vage bis „Ampel“
Das Jahresende ist die Zeit des Rückblicks auf das vergangene Jahr. Man wägt das Gute mit dem Schlechten ab, bilanziert beide Seiten und wagt einen Ausblick auf das neue Jahr.
Nehmen wir den Schweinemarkt: Vor einem Jahr sagten die Experten voraus, dass es am Ferkelmarkt nach dem katastrophalen Absturz Ende 2020 nur aufwärtsgehen könne. Nach den Rückgängen bei den Jungsauen müsste sich ab Sommer 2021 die Zahl der Ferkel reduzieren und der Preis steigen. Bei den Schweinen erwartete der Marktexperte der Kammer NRW, Frank Greshake, für den Herbst 2021 Preise von „1,50, 1,60 und mehr“. Bekanntlich kam es ganz anders.
Laut Berechnungen im Situationsbericht des DBV für das Wirtschaftsjahr Juli 2020/ Juni 2021 brachen nach einem guten Vorjahr die Unternehmensergebnisse um 69% ein auf 36.755 € je Unternehmen oder 27.550 € je Familienarbeitskraft. Wenn man bedenkt, dass im Durchschnitt etwa 25.550 € in Form von EU-Direktzahlungen aus Brüssel kommen, kann sich jeder ausrechnen, was erwirtschaftet wurde. Und im zweiten Halbjahr 2021 sind die Zahlen wegen geringerer Preise und steigender Kosten (Futter usw.) noch schlechter. „Ich muss Geld mitbringen, wenn ich in den Stall gehe!“ Dieser wütende Satz vor allem von Ferkelerzeugern ist leider traurige Realität.
Der DBV betont die Corona- Pandemie als Ursache. Das sei taktisch, heißt es in Verbandskreisen, weil man den Landwirten einen Anspruch auf Corona-Hilfen erhalten will, die man nur für nachweislich corona- bedingte geringere Erlöse bekommen kann und stark umstritten sind.
Tatsächlich sind besonders die Auswirkungen der Afrikanischen Schweinepest (ASP) am desolaten Zustand beteiligt. Jetzt rächt sich, dass in den letzten Jahren immer mehr der Export nach China und in andere Drittländer forciert wurde. Seitdem die Ausfuhr ins Reich der Mitte seuchenpolitisch zusammenbrach und auch der Export in andere (EU-)Länder in heftigem Preiskampf steht, merkt man die Überproduktion. Vom Schweinestau über den Schlachthofstau bis zum Preisdumping reichte das Repertoire des Verfalls. Ein Umdenken hat in der gesamten Branche eingesetzt. Selbst Hardliner der Marktideologie (auch die ISN, nicht bei der FDP) analysieren, dass eine Preisführerschaft auf dem Weltmarkt nicht zu erlangen ist. Die langjährige, oft belächelte Forderung von Neuland und der AbL „Klasse statt Masse“ wird sogar zum Leitmotiv des Koalitionsvertrags der Ampel-Regierung. Der Umbau der Tierhaltung und die Transformation der Fleischwirtschaft weg von der Hauptorientierung globaler Export stehen auf der Tagesordnung. Und zwar so schnell und so nachhaltig wie möglich, weil täglich Mäster und Sauenhalter aufhören.
Zunächst einmal ist festzuhalten, dass die zögerliche Politik und ihre mutlose Hinhaltetaktik den Umbauprozess behindert hat und viele Hofexistenzen kostet. Aber selbst wenn die Regierung 2022 entscheidende Beschlüsse zu Haltungs- und Herkunftskennzeichnung nicht nur verspricht, sondern tatsächlich umsetzt, wird das für die nächsten Monate keine Wirkung haben.
Nostradamus im Schweinemarkt?
Was bleibt an Aussichten? DBV-Präsident Rukwied sieht „zappenduster“ für den Schweinesektor. Das erinnert an die Prophezeiungen des französischen Astrologen Nostradamus aus dem 16. Jahrhundert, der bis heute eine feste Anhängerschaft um seine Prognosen schart und dessen Vorhersagen bis zum Jahre 3797 reichen sollen. Seine Weissagungen, die zu seiner Zeit viele Königinnen und Könige beeinflusst haben, sind in der Regel düster und vage in Metaphern versteckt. Für den Schweinemarkt 2022 würde er sicher auch schwarz sehen: „Alle spüren es. Riesige Umbrüche und grundlegende Veränderungen werden unsere Zeitepoche erschüttern,“ heißt es bei seinen Anhängern (Ob die Schüler des großen Propheten die Ereignisse für 2022 richtig hellsehen, werden wir erfahren. Immerhin erwarten sie das Ende der britischen Monarchie, den Tod des nordkoreanischen Diktators Kim Jong-un, einen Klimakrieg mit großen Flüchtlingsbewegungen und einen französischen Fußballmeister Marseille usw.).
In der Realität ist die Entwicklung tatsächlich schwer einschätzbar. Optimisten gehen von einer Erholung der Preise aufgrund des Bestandsabbaus ab dem Frühjahr aus. Pessimisten sehen eher die größere Schweineproduktion weltweit (auch in China) und in Europa, die den Preisdruck hochhalten wird.
Hochrechnungen für 2022
Die Agrarmarketing-Informationsgesellschaft (AMI) hat mal ihre vielfältigen Zahlen zusammengestellt und für Prognosen 2022 hochgerechnet. Demnach wird die Inlandserzeugung um 7% zurückgehen. Der Verbrauch an Schweinefleisch wird unter 30 kg pro Kopf rutschen (minus 4%). Der Export reduziert sich um 11% und die Einfuhren um 5%. Auch die AMI erwartet steigende Preise ab dem Frühjahr, nennt aber keine konkreten Zahlen. In einem Preistal einen Anstieg anzukündigen ist aber kein Zeichen von tiefer Erkenntnis.
Für die Schweinehalter deutet sich eher eine längere Durststrecke an. Und wenn es aufwärts geht, dann nur auf Kosten der Berufskollegen, die aufgehört haben. Das ist dann die „Marktlösung“.
Eine in der Landwirtschaft breit diskutierte Alternative ist die Abwrack- oder Umstrukturierungsprämie des Staates wie in den Niederlanden. Der Staat kauft also „Produktionskapazitäten“ ab. Aber durch die Dauer der Beschlussfassung und Umsetzung würde es für mindestens 2022 (noch) nichts bringen. Dagegen stehen die Vorschläge der Borchert-Kommission, die einen Bestandsabbau einrechnen, ein klares Tierwohl-, Qualitäts- und Preissignal an den Markt und die Verbraucherschaft senden und den Fokus auf den Binnenmarkt lenken. Wenn die Ampelregierung endlich die Finanzierungsfrage des Umbaus klärt, könnte in 2022 noch kein Licht leuchten, aber eine Perspektive gezeigt werden. Und den Nostradamusanhängern des Untergangs der deutschen Landwirtschaft der populistische Brandsatz genommen werden.
Hugo Gödde