Neue Gentechnik: Özdemir schlägt beim EU-Agrarrat einen „Kompromiss“ vor

Keine Beschlüsse sondern einen „Gedankenaustausch“ zu den Vorschlägen der EU-Kommission zur Regulierung der neuen genomischen Techniken (NGT; Stichwort CRISPR/Cas) gab ist beim EU-Agrarrat in Brüssel. Von einer Einigung ist der Rat demnach noch deutlich entfernt, wenngleich sich Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir nach dem Treffen zuversichtlich zeigte und erklärte, mit einem von ihm eingebrachten „Kompromiss“ einen „ganz guten Vorschlag“ gemacht zu haben. Vor dem Treffen hatten sowohl die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) wie auch der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) den Minister noch einmal aufgefordert, den Vorschlag der EU-Kommission zurückzuweisen.

Zu den offenen oder auch strittigen Themen aus den Reihen der Mitgliedstaaten gehören unter anderem Fragen zur Patentierung und zur Kategorisierung der Pflanzen. „Alles, was mit den neuen Technologien und den neuen Genomtechniken zusammenhängt“ will der spanische Agrarminister vorantreiben, während eine deutliche Ablehnung des Kommissionsvorschlags aus Österreich kommt.

Nach dem Treffen der Agrarminister:innen twitterte Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir, dass er versucht habe, einen Vorschlag zu machen, von dem er glaube, dass er ein ausgewogener Kompromiss zwischen denjenigen sei, die sagen gar keine neue Gentechnik, gar kein CRISPR/Cas, und den anderen, die sagen, CRISPR/Cas macht die Menschheit glücklich und löst jedes Problem dieser Welt, am besten rückwirkend. Und da habe er „so glaube ich, einen ganz klugen Vorschlag gemacht.“ Der besagt: „Wir müssen auf der einen Seite sichern, die Koexistenz. Das gilt beispielsweise für den Ökolandbau, aber natürlich auch für andere Bereiche der Landwirtschaft, die damit ja auch die Erwartung ihrer Kundinnen und Kunden erfüllen, dass gentechnikfrei weiterhin Produkte angeboten werden. Und andere können es eben anders machen. Also deshalb Koexistenz, die abgesichert wird. Und auf der anderen Seite die Frage der Patente.,“ so Özdemir.

AbL: Mit uns nicht!

Vor dem Treffen des Agrarrates hatte die AbL noch einmal angemahnt, die gentechnikfreie Lebensmittelerzeugung zu sichern statt einen Blankoscheck für Konzerne auszustellen. Dazu erklärt die AbL-Gentechnikexpertin Annemarie Volling: „Wir Bäuer:innen beharren mit der Zivilgesellschaft zusammen darauf, dass wir auch in Zukunft selbstbestimmt entscheiden wollen, was wir säen, ernten, verarbeiten und essen. Warum sollen wir unseren Wettbewerbsvorteil - gentechnikfrei erzeugen zu können - zu Gunsten der Abhängigkeit von Gentechnikkonzernen aufgeben? Wir haben uns den gentechnikfreien Markt aufgebaut, weil die Verbraucher:innen Wahlfreiheit haben möchten. Der Gesetzesvorschlag der EU-Kommission zu den neuen Gentechnik-Pflanzen dient allein den Konzerninteressen. Sie bekämen einen Blankoscheck und müssten keine Verantwortung mehr übernehmen für eventuelle Folgeschäden ihrer Gentechnik-Pflanzen. Sie könnten ihre Marktmacht mit noch mehr Patenten auf Saatgut ausbauen. Mit uns nicht!“
Die Aufgabe der EU-Agrarminister:innen sei es, die gentechnikfreie Lebensmittelerzeugung vom Saatgut bis zum Teller sicherzustellen. Der Gesetzesvorschlag mache dies unmöglich, deshalb sei er klar zurückzuweisen. „Denn würde der Gesetzesentwurf durchkommen, würde dieser das Ende der Wahlfreiheit und das Aus der gentechnikfreien konventionellen und ökologischen Saatgut- und Lebensmittelerzeugung bedeuten. Der Vorschlag sieht vor, dass einen Großteil der möglicherweise zu erwartenden neuen Gentechnik-Pflanzen (die sog. Kategorie 1) gar nicht mehr nach bestehendem EU-Gentechnikrecht reguliert werden sollen. Risikoprüfung und Zulassungsverfahren sollen abgeschafft werden, obwohl auch diese Pflanzen nachweislich Risiken bergen können. Für Züchter:innen, Bäuer:innen und Verarbeitungsunternehmen und den Handel gäbe es keinerlei Möglichkeiten mehr, die gentechnikfreie Erzeugung sicherzustellen. Eine Koexistenz zwischen Gentechnikanbau und gentechnikfreiem Anbau ist unmöglich. Wir erwarten, dass Bundesminister Özdemir den Plänen der EU-Kommission energisch entgegentritt, wie dies z.B. schon die österreichische Bundesregierung angekündigt hat“, so Volling.

BÖLW: Vorsorgeprinzip wird auf den Kopf gestellt

Auch nach Ansicht des BÖLW muss der Minister in Brüssel die Gentechnikvorschläge zurückweisen, da sie Verbrauchern, Wirtschaft und Ernährungssicherung schade. Die Wahlfreiheit müsse gesichert, das Vorsorgeprinzip erhalten und keine Patente auf Saatgut erteilt werden, erklärte der BÖLW vor dem Treffen.

Die BÖLW-Vorstandsvorsitzende Tina Andres kommentiert: „Ein Großteil der Gentechnik-Pflanzen soll nach dem Willen der EU-Kommission künftig weder auf Risiken für Mensch oder Umwelt geprüft werden, noch sollen Verbraucherinnen und Verbraucher erkennen können, ob sie Gentechnik auf dem Teller haben oder nicht. Damit wird das Prinzip der Wahlfreiheit geschliffen und das Vorsorgeprinzip wird auf den Kopf gestellt. Global agierende Saatgutunternehmen wollen mit der Gentechnik vor allem erreichen, dass sich Pflanzen patentieren lassen. Damit wollen sie eine Lizenz zum Gelddrucken – zulasten der Bäuerinnen und Bauern und der gesamten Lebensmittelproduktion und Verbraucherinnen und Verbraucher. Die erfolgreiche, breit aufgestellte und dem Opensource-Prinzip basierende Züchtung in Europa wird damit ausgehöhlt.“
Bundesminister Özdemir müsse in Brüssel dafür sorgen, dass europäische Werte wie das Vorsorge- und Verursacherprinzip, die Wahlfreiheit der Verbraucher und eine gentechnik- und patentfreie Lebensmittelproduktion gestärkt werden. „All das geht mit der vorgelegten Regelung der EU-Kommission nicht, die blind den Heilsversprechungen derjenigen folgt, die seit Jahrzehnten Lösungen versprechen, aber nicht liefern, obwohl viele Milliarden an staatlichen Mitteln hineingeflossen sind. Gentechnik ist ein Beschleuniger für Monokulturen und Pestizideinsatz und hat bislang zu keiner Lösung der großen Herausforderungen der Landwirtschaft bei Klimawandel und Verlust der Artenvielfalt beigetragen", so die BÖLW-Vorstandsvorsitzende.

26.07.2023
Von: FebL/PM

Minister Özdemir nach dem Treffen des Agrarrates in Brüssel. Bildquelle: BMEL/Twitter