Bauern-, Verbraucher- und Umweltverbände fordern: Deregulierung der Gentechnik stoppen, Herr Özdemir!

Bauern-, Saatgut-, Verbraucherschutz-- und Umweltverbände haben mit einer Aktion vor dem Bundeslandwirtschaftsministerium auf die Gefahren einer intransparenten und unkontrollierbaren Agrar-Gentechnik hin. Nach den jüngst vorgestellten Gentechnik-Deregulierungsvorschlägen der EU-Kommission fordern sie Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir dazu auf, die gentechnikfreie Landwirtschaft – vom Saatgut bis zum Essen – zu retten, und sich klar gegen die Pläne zu stellen. Und auch in Bayern hat vor dem Europäischem Patentamt in München ein breites Bündnis für eine gentechnikfreie Natur- und Landwirtschaft gegen die Pläne der EU-Kommission protestiert. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir betont in einer ersten Reaktion auf die Vorschläge insbesondere die Themen Patentierung und Koexistenz.

Die Verbände weisen auf die schwerwiegenden Folgen hin, die eine Abschwächung der Gentechnikregeln für die Verbraucher*innen, Umwelt und die gentechnikfreie Saatgut- und Lebensmittelerzeugung hätte. Denn der in Brüssel vorgelegte Gesetzesvorschlag sieht vor, mit neuen Gentechniken erzeugte Pflanzen nahezu komplett aus der bestehenden Regulierung zu nehmen. Das ist eine Bedrohung für die gentechnikfreie Lebensmittelerzeugung und damit für die Wahlfreiheit von uns allen! Aber auch für die Wahlfreiheit und vorsorgende Sicherung unserer Ökosysteme. Denn ohne Regulierung würden Risikoprüfung und Zulassungsverfahren genauso wie Kennzeichnung, Rückverfolgbarkeit und Haftung wegfallen.

In den kommenden Monaten wird der Vorschlag im Europäischem Parlament und im Minister*innenrat diskutiert. Wie Deutschland sich im Rat positioniert, hat großen Einfluss darauf, ob das bewährte Gentechnikgesetz in der EU weiterhin bestehen bleibt und auch für die neuen Gentechniken gültig ist.

Daniela Wannemacher vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland erklärt: „Neue Gentechniken wie CRISPR/Cas bergen auch neue, zusätzliche Risiken für die Umwelt. Außerdem wissen wir über deren Folgen noch viel zu wenig. Statt Risiken für Umwelt und Biodiversität in Kauf zu nehmen und den Wunsch der Verbraucher*innen nach Wahlfreiheit zu ignorieren, sollte die EU-Kommission die bewährten Gentechnikregeln beibehalten. Wir fordern ein klares Nein zu diesem Gesetzesentwurf von Seiten der Bundesregierung. Die bewährten Gentechnikregeln dürfen nicht abgeschwächt werden, denn die Zukunft der Landwirtschaft ist gentechnikfrei.“

Auch Christiane Huxdorff von Greenpeace sieht Özdemir in der Pflicht: „Cem Özdemir muss sich auf EU-Ebene für eine konsequente Regulierung neuer Gentechnik einsetzen, denn er hat keine Möglichkeit dann im Nachhinein in Deutschland nationale Verbote für einzelne Pflanzen zu erlassen. Gentechnik-Pflanzen mit Herbizidtoleranz könnten dann in Deutschland eingesetzt werden. Das würde den Pestizideinsatz und die Umweltbelastung steigern.“

Jutta Sundermann, Aktion Agrar, kritisiert den Vorrang der Agrarkonzerne: "Die EU-Kommission hat schon bei den Konsultationen zur Folgenabschätzung den Agrarkonzernen den Vorrang gegeben. Jetzt erfüllt sie ihre Wünsche: Bayer, Corteva und Co sichern sich Patente, machen gentechnikfreie Landwirtschaft unmöglich und müssen keine Verantwortung übernehmen."

Eine Patentflut bei Saatgut sieht Stefanie Hundsdorfer von der Interessengemeinschaft für gentechnikfreie Saatgutarbeit (IG Saatgut): „Der Vorschlag der EU-Kommission muss gestoppt werden, denn er würde zu einer Flut von patentiertem Saatgut auf dem europäischen Markt führen. Dies würde den Zugang zu genetischem Material für kleinere und mittelständische Pflanzenzüchter:innen massiv behindern, obwohl gerade deren Innovationspotential zur Weiterentwicklung der Kulturpflanzenvielfalt dringend gefragt ist. Die vorgeschlagene Deregulierung gefährdet die genetische und biologische Vielfalt und genau jene Ansätze von Züchtung und Landwirtschaft, die wir zur Lösung der Klima- und Biodiversitätskrisen dringend benötigen.“

Und Annemarie Volling, Gentechnik-Expertin derAbL, kommentiert: „Bäuerinnen und Bauern ist klar, mit den neuen Gentechnik-Pflanzen ist die Klima- und Hungerkrise nicht lösbar, diese müssen grundlegend angegangen werden. Um auch in Zukunft die Wahlfreiheit und das Recht auf Gentechnikfreiheit für konventionelle und biologisch wirtschaftende Bäuer:innen zu sichern, müssen auch die neuen Gentechniken nach EU-Gentechnikrecht reguliert bleiben. Wir fordern die verantwortlichen Politiker:innen auf, die gentechnikfreie Erzeugung vom Saatgut bis zum Teller zu sichern.“

Protest in Bayern

Gegen die Pläne der EU-Kommission protestierte auch in München vor dem Europäischem Patentamt ein breites Bündnis für eine gentechnikfreie Natur- und Landwirtschaft.
Richard Mergner, Vorsitzender beim Bund Naturschutz, erklärt: „Es entsetzt mich, mit welcher Dreistigkeit und Offensichtlichkeit die EU-Kommission den Wünschen der Agrogentechniklobby folgt und die Interessen der Verbraucher*innen und Bäuerinnen und Bauern ignoriert. Jetzt ist es Zeit, entschlossen zu handeln und die Bestrebungen der EU-Kommission stoppen! Die Zeit des Schweigens endet heute auch für Ministerpräsident Markus Söder. Wir fordern ihn auf, Klartext zu reden und das Bekenntnis zu einem gentechnikanbaufreien Bayern zu erneuern. Dazu gehört auch seinen CSU-Mann in Europa Manfred Weber daran zu erinnern, dass Bayern zu den gentechnikanbaufreien Regionen Europas gehört.“

Und Thomas Lang, 1.Vorsitzender der Landesvereinigung für den ökologischen Landbau in Bayern e.V (LVÖ), sagt: „Die EU-Kommission lobt sich dafür, in den Vorschlägen anzuerkennen, dass der Ökologische Landbau Gentechnikfrei ist. Doch es bleibt völlig offen, wie das umgesetzt werden soll, wenn es keine Vorgaben zur Rückverfolgbarkeit und Koexistenz gibt. Nach der "Farm to Fork" Strategie will Europa 25% Ökolandbau bis 2030 in Europa umzusetzen. Mit diesen Vorschlägen zur Gentechnik-Gesetzgebung vollzieht die Kommission aber eine Vollbremsung und streut Verunsicherung. Dabei zählt jeder Tag, um durch den Öko-Landbau Artenvielfalt, fruchtbare Böden, sauberes Wasser und den Klimaschutz zu fördern.“

Auf Bio als Lösung verweist Barbara Scheitz, Geschäftsführerin der Andechser Molkerei: „Bio ist die Lösung. Der Ökolandbau hat durch seine Anbautechniken eine hohe Resilienz gegenüber den Herausforderungen des Klimawandels. Das hat zuletzt auch Prof. Hülsbergen von der TU-München mit seiner Langzeitstudie gezeigt. Unsere Natur ist das beste ‚Lebens-Netzwerk‘: passen wir uns an, realisieren wir ‚Bio für alle‘, dann helfen wir unserer Mitwelt und uns selbst. Gemäß unserem Credo: ‚Natürliches natürlich belassen“.

Eine „schleichende Enteignung von Bäuerinnen und Bauern“ sieht Christoph Fischer von der Organisation Zivilcourage in den Vorschlägen der Kommission: „Was die EU-Kommission mit ihren Vorschlägen zur Gentechnik-Gesetzgebung präsentiert, ist die schleichende Enteignung von Bäuerinnen und Bauern. Mit den neuen Gentechniken geht auch eine Vielzahl von neuen Patenten auf Pflanzen einher. Wenn Saatgut nicht mehr als GVO-Saatgut gekennzeichnet ist und GVO-Felder nicht mehr in einem Standortregister stehen, wird Lizenzforderungen von Patenthaltern Tür- und Tor geöffnet. Das können wir in den USA schon seit 2 Jahrzehnten beobachten.“

Von einem Frontalangriff auf den Verbraucherschutz“ spricht Jutta Saumweber von der Verbraucherschutzzentrale Bayern: „Lebens- und Futtermittel, die mit Verfahren der neuen Gentechnik hergestellt werden, müssen als gentechnisch veränderte Produkte gekennzeichnet werden. Die Ankündigung der EU-Kommission die Kennzeichnungspflicht aufzuheben, ist ein Frontalangriff auf den Verbraucherschutz und die Wahlfreiheit. Verbraucher*innen müssen selbst entscheiden können, ob sie gentechnisch veränderte Lebensmittel kaufen wollen oder nicht. Die Europäische Kommission verwässert die Risikoprüfung für diese Produkte. Das Vorsorgeprinzip – ein Grundpfeiler der europäischen Gesetzgebung und des Verbraucherschutzes – wird bewusst ausgehebelt.“

Johann Leis, Landesvorsitzender des Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) in Bayern, sieht den Markt für gentechnikfreie Produkte in Gefahr: „Wir haben viel in unsere Lieferketten investiert, um den Verbraucher*innen nachvollziehbar gentechnikfreie Produkte zu bieten. Dadurch ist die Transparenz auch bei den Futtermitteln gestiegen. Der Markt mit gentechnikfreien Produkten hat in Deutschland ein Volumen von 16 Milliarden Euro pro Jahr, 80 Prozent der bayerischen Milchprodukte sind gentechnikfrei. Mit ihren Vorschlägen droht die EU-Kommission diesen Markt zu zerstören und unseren Bäuerinnen und Bauern die Existenzgrundlage zu nehmen.“

Und Josef Schmid, Landesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft in Bayern, erklärt: „Die bäuerliche Landwirtschaft wird es nicht zulassen, dass das Recht auf gentechnikfreie Erzeugung von Lebensmitteln und das Recht auf Wissen, was wir züchten, säen, ernten, verarbeiten, verkaufen und essen durch die EU-Kommission unter dem Einfluss der Agrogentechniklobby untergraben wird. Wir Bäuerinnen und Bauern werden es nicht hinnehmen, dass wir auf den abzusehenden Folgeschäden der Gentechnik-Risikoprodukte sitzen bleiben. Die AbL fordert alle verantwortlichen Politiker*innen und Ministerien auf, den inakzeptablen Gesetzesvorschlag zu neuen Gentechniken zurückweisen.“

Das Bündnis ist sich einig: Die EU-Kommission ignoriert mit ihren Vorschlägen die technischen Risiken, die mangelnden Erfolge, bis hin zu den rechtlichen Fragestellungen, Patenten und Gebühren, jegliche kritische Auseinandersetzung mit der Gentechnik in der Landwirtschaft. Das Bündnis fordert daher die politischen Vertreter*innen auf, den Vorschlag auf allen Ebenen der EU-Kommission zu stoppen und die Rechte ihrer Bürgerinnen und Bürger im Sinne des Vorsorgeprinzips und der Wahlfreiheit zu gewährleisten.

Özdemir: Patentierung und Koexistenz nicht ausreichend berücksichtigt

In einer ersten Reaktion auf die Vorschläge der Kommission erklärt Cem Özdemir: "Für mich als Minister für Landwirtschaft und Ernährung sind bei der Regelung zu Neuer Gentechnik entscheidend, dass sowohl die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher als auch die der Landwirtschaft im Mittelpunkt der Ausgestaltung stehen. Im aktuellen Vorschlag ist das besonders bei zwei zentralen Themen nicht ausreichend berücksichtigt – bei der Patentierung und der Koexistenz. Unsere Land- und Lebensmittelwirtschaft, egal ob konventionell oder ökologisch, darf nicht in ihrer wirtschaftlichen Substanz gefährdet werden.
Dafür ist einerseits wichtig, dass die Probleme der Patentierung von Pflanzen gelöst und nicht verschärft werden. Das heißt, das Vorhaben darf nicht zur Einführung von Biopatenten durch die Hintertür führen. Das ginge zulasten unserer mittelständischen Zuchtunternehmen, die gerade in Deutschland besonders stark sind. Zudem könnten Patente auf Saatgut in der gesamten Wertschöpfungskette bis hin zum Handel zu Haftungsrisiken führen.“

Außerdem braucht es nach Ansicht des Ministers wirksame Koexistenzmaßnahmen über die gesamte Wertschöpfungskette, um beiden Bereichen, also mit Agrogentechnik und ohne, weiterhin ihr Auskommen zu gewährleisten und Haftungsrisiken nicht den Unternehmen zuzumuten, die gentechnikfrei wirtschaften wollen. „Kurz gesagt: Wer gentechnikfrei wirtschaften möchte, muss das weiterhin tun können“, so Özdemir.

Auch müsse dem Vorsorgeprinzip weiterhin Rechnung getragen werden. „Das Vorsorgeprinzip schützt nicht nur Gesundheit, Umwelt und Verbraucherinnen und Verbraucher, sondern bietet auch den Unternehmen Sicherheit bezüglich Haftungsrisiken. Ob der vorliegende Entwurf dem gerecht wird, muss angezweifelt werden. Im weiteren Verfahren werden wir uns in diesem Sinne konstruktiv einbringen und für eine gemeinsame Linie der Bundesregierung werben", erklärt Özdemir abschließend und weist damit auf die vermutlich nicht ganz problemlosen Verhandlungen mit der die Gentechnik befürwortenden FDP hin.

12.07.2023
Von: FebL/PM

Bauern-, Verbraucher- und Umweltverbände fordern vor dem Bundeslandwirtschaftsministerium "Deregulierung der Gentechnik stoppen, Herr Özdemir". Foto: AbL