In einer repräsentativen Umfrage verlangten 83 Prozent der Österreicher:innen, Produkte aus neuen gentechnischen Verfahren (NGT) genauso streng zu kontrollieren und zu regulieren wie solche aus alter Gentechnik. Unterstützung bekamen sie vom österreichischen Umweltbundesamt. Das nannte den Vorschlag der EU-Kommission „wissenschaftlich nicht nachvollziehbar“. Selbst die konservative ÖVP (Österreichische Volkspartei) distanziert sich vom Kommissionsvorschlag.
1000 Österreicher:innen hatte die Agentur Marketagent im Auftrag der österreichischen ARGE Gentechnik-frei zum NGT-Vorschlag der EU-Kommission befragt. 83 Prozent wollen die bisherige Regulierung auch für NGT beibehalten. 90 Prozent forderten eine verpflichtende Kennzeichnung auch für Produkte aus oder mit NGT. Fast drei Viertel der Befragten waren der Ansicht, dass die hohe Qualität der österreichischen Landwirtschaft durch NGT in Gefahr gebracht würde. Ebenso viele verlangten eine breite, gesellschaftliche und interdisziplinäre Diskussion über Ziele und Zwecke, die mit dem Einsatz der Neuen Gentechnik erreicht werden sollen. Erst danach solle auf Basis einer Kosten-Nutzen-Analyse über mögliche Gesetzesänderungen entschieden werden. Bedingungslose Befürworter von NGT gab es in der Umfrage zwölf Prozent.
„Konsument:innen wollen keine Lebensmittel mit Gentechnik – dies gilt für die gesamte EU, und besonders für Österreich“, sagte Florian Faber, Geschäftsführer der ARGE Gentechnik-frei. Und weiter: „Der Gesetzesvorschlag bedroht das in den EU-Verträgen verankerte Recht auf Wahlfreiheit, da Kennzeichnungspflicht, Rückverfolgbarkeit und klar geregelte Zulassungsverfahren schlichtweg abgeschafft werden sollen.“ Europaparlament und Mitgliedsstaaten dürften den Gesetzesvorschlag in dieser Form keinesfalls akzeptieren. Laut Faber sei der Verordnungsentwurf „als klarer Angriff der EU-Kommission auf alle Bereiche der Landwirtschaft zu sehen, die ohne Gentechnik arbeiten“. Allein die ‚Ohne Gentechnik‘- und die ‚Bio‘-Produktion würden in Österreich zusammen rund 4,5 Milliarden Euro erwirtschaften.
Faber stellte auch ein Papier vor, das Mitarbeiter:innen des österreichischen Umweltbundesamts im Auftrag der ARGE Gentechnik-frei verfasst haben. Sie kommen darin zu dem Ergebnis, die Vorschläge seien wissenschaftlich nicht nachvollziehbar. Wesentliche Fragen der Haftung, Patentierung und Koexistenz blieben völlig ungeklärt und das in den EU-Verträgen festgelegte Verursacherprinzip und das Vorsorgeprinzip würden ausgehebelt. Die Kritik an der fehlenden Wissenschaftlichkeit bezieht sich vor allem auf die Kriterien, mit denen die Kommission NGT-Pflanzen der Kategorie 1 definiert, die sie von allen Reglementierung ausnehmen will. In dem Papier heißt es: „Die im Vorschlag genannten Grenzen für die Äquivalenz von 20 veränderten oder herausgeschnittenen DNA Bausteinen, sowie von 20 verschiedenen Veränderungen pro Produkt, entbehren jeder wissenschaftlichen Grundlage.“ Mit der sehr breiten Definition von NGT 1-Pflanzen sei es möglich, „auch weitreichende und komplexe Veränderungen im Genom vorzunehmen. Dadurch sind auch unerwünschte Effekte nicht ausgeschlossen“.
Schon im April 2023 hatten die Expert:innen des österreichischen Umweltbundesamtes in der Fachzeitschrift Plants zu den Umweltrisiken von NGT-Pflanzen Stellung genommen. Dabei zerpflückten sie die Stellungnahme der EU-Lebensmittelbehörde EFSA vom Oktober 2022, auf deren Argumente sich die EU-Kommission stützt. An dem Aufsatz in Plants waren auch Mitarbeiter:innen des deutschen Bundesamtes für Naturschutz, des Schweizer Bundesamtes für Umwelt, der italienischen Umweltbehörde ISPRA und des polnischen Umweltministeriums beteiligt.
Die österreichische Bundesregierung aus ÖVP und Grünen hat sich – anders als die deutsche – einhellig hinter die gentechnikfreien Wünsche der Bevölkerungsmehrheit gestellt. „Im Regierungsprogramm ist klar verankert, dass keiner Neuregelung der Gentechnik-Gesetzgebung zugestimmt wird“, zitierte Euractiv den ÖVP-Abgeordneten Klaus Lindinger. Entsprechend positionierte sich Österreich auch in den EU-Gremien. Unter besonderer Beobachtung stehen die Europaabgeordneten der ÖVP. Denn ihre Fraktion, die EVP (Europäische Volkspartei, zu der auch CDU und CSU gehören), setzt sich vehement für die NGT-Vorschläge der Kommission ein. Deshalb lobte Alexander Bernhuber, Umweltsprecher der ÖVP im Europaparlament, erst einmal den Vorschlag. Es sei an der Zeit, das mehr als 20 Jahre alte Gentechnik-Gesetz wieder auf den neuesten Stand der Wissenschaft zu bringen, sagte er. Anschließend definierte er seine roten Linien: die potenziellen Monopolstellungen von Saatgutunternehmen, die unzureichenden Regeln zur Kennzeichnung und dass die letzte Entscheidung über eine Zulassung nicht bei Österreich liege. Sein Fazit: „Daher ist der derzeitige Vorschlag abzulehnen".