Deregulierung der Gentechnik: mahnendes Beispiel USA

Die Deregulierung von gentechnisch veränderten Nutzpflanzen und Lebensmitteln könnte weitreichende und langfristige Auswirkungen haben, nicht nur auf den Einsatz bestimmter Pflanzenbiotechnologien in der Landwirtschaft und der Lebensmittelproduktion in Europa, sondern auch auf die breitere nachhaltige und gerechte Entwicklung der europäischen Agrar- und Lebensmittelsysteme. Das Ausmaß und die Bedeutung dieser Auswirkungen erfordern weitere demokratische Debatten und eine parlamentarische Prüfung der künftigen rechtlichen Rahmenbedingungen für Gen-Editing-Techniken. So lautet eine der Schlussfolgerungen einer Analyse, die Wissenschaftler:innen der Universität Sussex im Auftrag der Grünen im Europaparlament durchgeführt haben. Für den grünen EU-Abgeordneten Martin Häusling zeigt die Analyse „eindeutig, dass durch die Einführung der Gentechnik mehr Pestizide ausgebracht werden, insbesondere Herbizide. Unter anderem, weil sich nachweislich resistente Beikräuter (super weeds) und resistente Insekten entwickelt haben, gegen die dann noch mehr Pestizide zum Einsatz kommen. Von den trocken- und dürretoleranten Sorten, die seit 20 Jahren versprochen werden, ist weit und breit keine Spur. Konventionell wurden dagegen in den letzten Jahren einige solcher Sorten erfolgreich gezüchtet oder wieder entdeckt.“ Und mit Blick auf den Deregulierungsvorschlag der EU-Kommission erklärt er: „Wenn diese naturwissenschaftlich nicht haltbare, völlig willkürliche und konzernfreundliche Regelung EU-Recht wird, wird sowohl die Basis der Wissenschaftlichkeit als auch das Vorsorgeprinzip, die Wahlfreiheit und der Verbraucherschutz über Bord geworfen.“

Die Folgen eines Setzens auf die Gentechnik haben die Wissenschaftsler:innen der Universität Sussex insbesondere am Beispiel der USA aufgezeigt. In der Analyse schreiben die Autor:innen: „Die Kommerzialisierung der GVO-Pflanzentechnologie in den USA und in einigen wenigen anderen Ländern, vor allem in Nord- und Südamerika, hat die Veränderungsprozesse in den Agrar- und Ernährungssektoren dieser Länder in erheblichem Maße beeinflusst und die Fixierung dieser Gesellschaften auf die industrielle Landwirtschaft, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt hat, noch verschärft. Die Patentierbarkeit der GVO-Technologie hat die Entstehung einer oligopolistischen Struktur der Saatgutindustrie ermöglicht, die auf der Übernahme eines Großteils der Saatgutindustrie durch eine Handvoll multinationaler Pestizidfirmen beruht. Die GV-Pflanzentechnologie in Verbindung mit der Ausweitung der Patentrechte auf GV-Pflanzen hat neue, sehr profitable Geschäftsmodelle geschaffen, die auf der Entwicklung und Lizenzierung von gentechnisch veränderten Gensequenzen beruhen, die in zahlreiche Saatgutsorten für eine Handvoll wichtiger Nutzpflanzen eingebaut werden. Dieses Saatgut wurde mit patentrechtlich geschützten Herbiziden, Insektiziden und Fungiziden kombiniert. Die F&E-Strategien der Unternehmen wurden so konzipiert, dass sie dieses Gewinnmodell unterstützen und einen Innovationsschwerpunkt bilden, der neue Pflanzensorten begünstigt, die für den Anbau mit Pestiziden und Düngemitteln optimiert sind.“

Dieser Weg des technologischen Wandels in den Ländern, die GVO einführen, habe zum Verschwinden vieler kleiner Saatgutfirmen, zu einem eingeschränkten Zugang zu geschütztem Keimplasma für die Unternehmen, die unabhängig geblieben sind, und zu einem begrenzten Spielraum für die damit verbundene Züchtung und Anpassung geführt. Viele nicht gentechnisch veränderte Sorten seinen vom Markt genommen worden und die genetische Vielfalt der verfügbaren Kultursorten habe sich verringert, was die Anfälligkeit der Anbausysteme erhöht. „Intensive Herbizidspritzungen sind zu einem wesentlichen Merkmal von GV-Anbausystemen geworden, und als unvermeidlich herbizidresistente Unkräuter auftauchten, reagierte die Pestizid-Saatgutindustrie mit dem Vorschlag von GV-Pflanzensorten, die gegen mehrere Herbizide resistent sind. Die Landwirte wurden zunehmend auf einen bestimmten Anbaustil festgelegt, der mit alternativen, ökologischeren Ansätzen unvereinbar ist. Einige Landwirte, die sich ansonsten für gentechnikfreies Saatgut entscheiden würden, sahen sich gezwungen, HT-Kulturen anzubauen, um sich vor Schäden durch Spritzmittelabdrift von benachbarten GVO-Betrieben zu schützen. In der Zwischenzeit fließt ein unverhältnismäßig großer Teil des landwirtschaftlichen Einkommens an eine Handvoll von Zulieferern“, so die Analyse.

Die Kommerzialisierung gentechnisch veränderter Nutzpflanzen hat laut der Analyse tiefgreifende direkte und indirekte Auswirkungen gehabt. Gentechnisch veränderte Nutzpflanzen haben sich in den Ländern, die sie eingeführt haben, weitgehend durchgesetzt, und zwar nicht in erster Linie, weil sie für die Landwirte außergewöhnlich produktiv oder profitabel sind, sondern weil sie als Teil eines Geschäftsmodells verpackt und vermarktet wurden, das den großen Agrarkonzernen, die Pestizide und Saatgut kombinieren, Milliarden von Dollar an Lizenzgebühren einbringt. Die Landwirte und der Rest der Saatgutindustrie mussten sich an diese strukturellen Veränderungen und Zwänge anpassen; sie hatten kaum eine andere Wahl, als sich auf ein System der Pflanzenproduktion zu verlassen und zu diesem beizutragen, das höchst problematische Folgen für die Nachhaltigkeit hat, was die biologische Vielfalt der Pflanzen, die ökologische Gesundheit und den wirtschaftlichen Wohlstand der Landwirte, der ländlichen Gemeinden und der kleinen Saatgutfirmen betrifft.

„Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ökologische, agrarökologische und nicht gentechnisch veränderte Saatgutunternehmen, Landwirte, Verarbeiter, Einzelhändler und Verbraucher von einer breiteren Anwendung von GVO-Technologien in der europäischen Landwirtschaft negativ betroffen sein könnten. Eine Deregulierung würde wahrscheinlich die technologischen Pfade beeinflussen, indem sie das Angebot an Sorten und Saatgut, die für den ökologischen, agrarökologischen und gentechnikfreien Anbau geeignet sind, weiter einschränkt, das Risiko einer Kreuzkontamination von gentechnisch veränderten und nicht gentechnisch veränderten Produkten erhöht, die Intensität des Herbizid- und Pestizideinsatzes in landwirtschaftlichen Gebieten steigert und Landwirte davon abhält, auf ökologischen und gentechnikfreien Anbau umzustellen. Ein Agrarsektor, der von geschützten GVO-Kulturen beherrscht wird, würde wahrscheinlich die Innovation untergraben und die Vielfalt der verfügbaren Sorten verringern, was die Widerstandsfähigkeit und Fähigkeit der Landwirtschaft im Zusammenhang mit dem Klimawandel beeinträchtigen würde. Die deregulierte Verwendung von GVO-Kulturen in der EU birgt daher die Gefahr, dass wichtige politische Ziele der EU, wie z. B. die Strategie ‚Vom Erzeuger zum Verbraucher‘, untergraben werden“, heißt es in der Analyse.

12.07.2023
Von: FebL/PM

Die Analyse der Universität Sussex.