Gesetzesvorschlag der EU-Kommission ist Blankoscheck für die Gentechnik-Industrie

Die EU-Kommission hat heute ihren Gesetzesvorschlag zur Deregulierung neuer Gentechniken (New Breeding Technologies – NBTs) vorgelegt. Einen „Blankoscheck für die Gentechnik-Industrie“ sieht darin die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft und fordert Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir auf, diesen Vorschlag zurückweisen. Scharfe Kritik üben auch Bioland und der grüne EU-Abgeordnete Martin Häusling. „Überwiegend positiv beurteilt“ wird der Vorschlag demgegenüber vom Deutschen Bauernverband.

„Wir werden nicht zulassen, dass das Recht auf gentechnikfreie Erzeugung von Lebensmitteln und das Recht auf Wissen, was wir züchten, säen, ernten, verarbeiten, verkaufen und essen untergraben wird. Die AbL fordert Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir und alle verantwortlichen Politiker:innen und Ministerien auf, den inakzeptablen Gesetzesvorschlag zu neuen Gentechniken zurückweisen“, erklärt Annemarie Volling, Gentechnik-Expertin der AbL.

Nach Auffassung der AbL zielt der heutige Gesetzesvorschlag der EU-Kommission auf eine nahezu vollständige Deregulierung neuer Gentechnik-Pflanzen ab. Würde der Vorschlag so durchkommen, wäre dies das Aus der gentechnikfreien konventionellen und ökologischen Landwirtschaft und Lebensmittelerzeugung. Volling erläutert hierzu: „Die gentechnikfreie konventionelle und ökologische Erzeugung von Lebensmitteln ist ein großer Wettbewerbsvorteil für europäische Bäuer:innen. Diese wertvollen Märkte sollen jetzt leichtfertig zu Gunsten hypothetischer Industrie-Versprechen geopfert werden. Dabei ist für uns Bäuer:innen klar: Mit den neuen Gentechnik-Pflanzen werden wir die Klima-, Biodiversitäts- und Hungerkrise nicht lösen können, diese sind grundlegender anzugehen. Mit zum Teil hohen Investitionen haben sich gentechnikfrei wirtschaftende Bäuer:innen und Lebensmittelverarbeiter:innen ihre Märkte aufgebaut. Der heutige Gesetzesvorschlag würde ihnen dafür jegliche Grundlagen entziehen. Er bedroht bäuerliche und handwerkliche Existenzen. Die Interessen der gentechnikfreien Wertschöpfungskette und der Verbraucher:innen, die sich auch weiterhin gentechnikfrei ernähren wollen, werden missachtet. Stattdessen stellt die EU-Kommission den Gentechnik-Konzernen einen Blankoscheck aus. Sie sollen ihre Gentechnik-Pflanzen ohne jegliche Risikoprüfung, ohne Kennzeichnungspflicht bis zum Produkt, ohne Rückverfolgbarkeit und Haftungsansprüche auf den Markt bringen können. So würden sie mit Gentechnik durch die Hintertür Abhängigkeiten schaffen und damit ihre Profite sichern. Wir Bäuer:innen und die Gesellschaft werden es nicht hinnehmen, dass wir auf den abzusehenden Folgeschäden der Gentechnik-Risikoprodukte sitzen bleiben sollen. Die Konzerne wollen die Lebensmittelerzeugung in den Griff bekommen, vom Saatgut bis zum Teller. Warum sollten wir das zulassen?“

Bioland: Gefährlicher Abschied vom Vorsorgeprinzip

Bioland- und IFOAM Organics Europe-Präsident Jan Plagge sieht in dem Vorschlag einen gefährlichen Abschied vom Vorsorgeprinzip. „Risikoprüfung, Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung: Diese wichtigen Instrumente des Gentechnikrechts gibt die EU-Kommission auf, zugunsten eines laschen Regelwerks, das vor allem den Agrochemie-Konzernen gefallen dürfte. Denn für sie wird es künftig deutlich leichter, genomeditierte Pflanzen auf den Markt zu werfen, in vielen Fällen ganz ohne einen vorherigen – aus ihrer Sicht sicher lästigen – Prozess, der die Gefahren abschätzt. Das ist für die EU eine Zäsur und der gefährliche Abschied vom lange gelebten Vorsorgeprinzip“, so Plagge.

Dass die großen Saatgut-Unternehmen sich künftig massenweise neue Patente auf Pflanzeneigenschaften sichern können, ist für sie nach Ansicht von Plagge so etwas wie „die vergoldete Kirsche auf der Sahnetorte“. Die Strategie sei jedoch durchschaubar: „Unternehmen nutzen Pflanzeneigenschaften aus der Natur und bauen diese nach, um sie als technische Erfindung patentieren zu können. Der heute vorgelegte Entwurf ebnet insofern den Weg für eine Flut an Patenten, auch auf klassisch gezüchtete Pflanzen. Denn von einer Anpassung des Patentrechts, die diese Praxis verhindern könnte, ist bislang überhaupt nicht die Rede. Den vielen europäischen Verbraucher*innen, die Gentechnik kritisch sehen, sollen künftig die Augen verbunden werden. Denn verpflichtende Gentechnik-Kennzeichnungen entfallen nach dem Entwurf für viele Endprodukte. Auch das wird die Saatgut-Konzerne freuen, denn was nicht gern gesehen oder in dem Fall gegessen wird, das versteckt man lieber.“

Häusling: Neue Gentechnik bleibt Risikotechnologie

Auch für Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament und Mitglied des Umwelt- und Gesundheitsausschusses, hebelt der Gesetzesvorschlag das Vorsorgeprinzip und die Transparenz aus. „Unsere Befürchtungen wurden mit diesem Vorschlag wahr: Züchter, Landwirte und Lebensmittelhersteller können zukünftig eine Kontamination mit gentechnisch veränderten Stoffen nicht mehr vermeiden, da die Entwickler der gentechnischen Veränderungen ihre Nachweismethoden für sich behalten dürfen. Profitieren werden die großen multinationalen Agro-Unternehmen, denn sie können die nicht gekennzeichneten - aber patentierten - Produkte verwenden und damit ihre Kontrolle über unsere Lebensmittelproduktion weiter ausbauen“, so Häusling.

Die EU-Kommission erweise Mensch und Natur mit diesem Vorschlag nicht nur einen Bärendienst, sie werfe damit sowohl die Basis der Wissenschaftlichkeit, als auch das Vorsorgeprinzip, die Wahlfreiheit und den Verbraucherschutz über Bord. „Klar ist: Auch die sogenannte neue Gentechnik ist und bleibt eine Risikotechnologie mit ungewissem Ausgang und muss sich einem strengen Zulassungsprocedere mit Risikoprüfung unterziehen. In Zeiten, in denen kein Staubsauger ohne Prüfkennzeichen auf den Markt kommen darf und kein öffentliches Gebäude ohne Brandschutzzertifikat abgenommen werden kann, sollte kein Unternehmen und kein Labor mit Freifahrtschein Veränderungen im Genom vornehmen dürfen, deren unbeabsichtigte Effekte nicht beherrschbar sind“, erklärt der EU-Abgeordnete.

Hinzu komme: „Gentechnik-Saatgut ist patentiert und damit von der weiteren gemeinsamen Züchtung ausgeschlossen, da unerschwinglich. Es braucht aber frei nutzbares Saatgut für Züchterinnen und Züchter, die damit lokal angepasste Sorten weiterzüchten können. Statt für Missbrauch Tür und Tor zu öffnen und Konzernen Marktmacht direkt in die Hände zu legen, sollten wir zweierlei tun: Risikotechnologie, wie die neue Gentechnik gut und nach dem Vorsorgeprinzip regulieren und andererseits die bekannten, deutlich risikoärmeren und gut funktionierenden naturbasierten Lösungen, wie Agrarökologie und Ökolandbau, vorantreiben. So können wir durch behutsamen Umgang mit unseren Ressourcen und standortangepasster Züchtung stabile Systeme erzeugen, die die Anpassung an den Klimawandel schaffen und unsere Ernährung sichern.  Den Beweis, dass Gentechnik das auch kann, ist diese bisher schuldig geblieben, im Gegenteil:“

Wohin das führe, zeige sich in den USA. Auch dort habe man bei Einführung der ‚alten‘ Gentechnik die große Nachhaltigkeit versprochen, doch seitdem hat sich dort der Verbrauch von Pestiziden deutlich erhöht. Und auch die neue Gentechnik erzeuge dort – ohne strenge Zulassung – keinerlei bahnbrechenden Erfolge.

DBV begrüßt den pragmatischen Vorschlag

Vom Bauernverband werden die Vorschläge „überwiegend positiv beurteilt“. DBV-Generalsekretär Bernhard Krüsken erklärt dazu: „Wir begrüßen den pragmatischen Vorschlag der Kommission, der Argumente von Kritikern und Befürwortern der NBTs ausbalanciert und vor allem der technischen Entwicklung Rechnung trägt. Das ist eine brauchbare Grundlage für die weitere Diskussion. Es besteht dringender Handlungsbedarf, weil der bisherige Rechtsrahmen für die NBT schlicht ungeeignet ist.“

Mit den neuen Techniken können nach Ansicht des DBV züchterische Innovationen schneller in der Praxis ankommen und dabei helfen, die aktuellen Herausforderungen durch den Klimawandel besser zu bewältigen. Ebenso könne durch eine effektivere Resistenzzüchtung der Einsatz von klassischen Pflanzenschutzmitteln gesenkt werden. Und auch die Rückverfolgbarkeit der so gezüchteten Pflanzen sei in dem Entwurf ausreichend geregelt. Das vorgesehene Transparenzregister biete für alle Beteiligten die Grundlage, die Verwendung von NBT-Sorten in der Verarbeitungskette nachzuvollziehen. „Für uns ist die Möglichkeit wichtig, getrennte Liefer- und Logistikketten außerhalb der neuen Techniken und mit einer durchgehenden freiwilligen Kennzeichnung organisieren zu können.“

Allerdings ist es für den Deutschen Bauernverband auch weiterhin unabdingbar, parallel eine Lösung in der Frage der Patente zu schaffen. Das Sortenschutzrecht biete seit Jahrzehnten ausreichende Möglichkeiten für den Schutz des geistigen Eigentums der Züchter. Biopatente seien schlicht nicht notwendig und werden von der Landwirtschaft im Grundsatz abgelehnt. Dass dies von vielen weiteren Stakeholdern ebenso gesehen wird, hebe die Kommission an mehreren Stellen des Entwurfes hervor. „Dies sehen wir als klaren Auftrag an die Kommission, hier parallel eine entsprechende Regelung zu schaffen und die fragwürdige Praxis der Erteilung von Biopatenten zu stoppen“, so Krüsken.

 

05.07.2023
Von: FebL/PM

AbL, hier die AbL-Vorsitzende Elisabeth Fresen (re.) und AbL-Mitarbeiterin Iris Kiefer, mit eindeutiger Botschaft. Foto: AbL