Risiken werden bei den Bauern und Bäuerinnen abgeladen

Obwohl ich mich nun schon länger mit dem Thema Gentechnik und mit den Deregulierungsabsichten der EU-Kommission auseinandersetze, hat's mich jetzt doch gesetzt, als die jüngsten Vorschläge aus Brüssel ans Licht kamen. Egal, wie ich es hin und her drehe, egal, welche Vorsorgemaßnahmen wir ergreifen würden, mit diesem Gesetzesvorschlag könnten wir Gentechnikverunreinigungen auf unseren Äckern und in unseren Ställen nicht mehr verhindern. Die geplante Deregulierung ist komplett auf Kontamination und Verunreinigung ausgelegt. Je vielfältiger die Strukturen, desto häufiger würde es zu Verunreinigungen kommen.

Wie managen?

Wenn ich dem Nachbarn beim Mähen zuschaue, kommt ein beklommenes Gefühl in mir auf. In jede Richtung von unserem Hof grenzen unsere Flächen an die von unterschiedlichen Kollegen und Kolleginnen mit konventionell und biologisch bewirtschafteten Betrieben. Wir helfen uns gegenseitig mit unseren Maschinen und Geräten, beim Mähen, Heuen, Misten, Säen, Ernten, Transportieren, Lagern. Wir sind in verschiedenen Genossenschaften und im Maschinenring und da geht die gemeinschaftliche Nutzung von Gebäuden, Lägern, Maschinen weit über die Anzahl der Nachbarn hinaus.

Was wird sein, wenn die EU-Gentechnik-Vorschläge durchkommen? Wie sollten wir das managen? Wer trägt die Kosten für Analysen, Kontrollen und Verunreinigungen? Für die bäuerliche Landwirtschaft ist die Gentechnikfreiheit existenziell, um nicht in Abhängigkeiten zu geraten. Unsere Märkte verlangen die Gentechnikfreiheit unserer Produkte, sei es über regionale Qualitätszeichen, die ökologische Landwirtschaft, Milch, Eier und Geflügelfleisch, die als „ohne Gentechnik“ zertifiziert sind, die Direktvermarktung oder Mühlen und andere Verarbeiter – und wir sichern uns damit einen wichtigen Marktvorteil.

Ohne die jetzt gültigen Gesetze können wir diese Gentechnikfreiheit nicht mehr leisten. Auch menschlich nicht, denn der Versuch, ohne entsprechende Gesetzeswerkzeuge die Gentechnik abzuwehren, kostet nicht nur Geld, sondern auch Nerven. Er wird Konflikte auf dem Land und mit der Gesellschaft schaffen und unsere Kraft binden, die wir dringend für richtige Lösungen auf den Höfen brauchen.

Bauernrisiko

Der Vorschlag aus Brüssel, so wie wir ihn jetzt kennen, sieht vor, dass bei über 90 Prozent der GVOs, die mit neuartiger Gentechnik verändert wurden, keine der wichtigen Regeln mehr gelten sollen. Keine Informationspflicht, kein Standortregister, keine Abstandsregeln, keine Haftung, keine Nachweismethoden – und keine Kennzeichnungspflicht. Wir wüssten dann nicht, wenn jemand auf dem Feld oder in seinem Garten GVOs anbaut und ob es gerade die Kultur ist, die wir auch anbauen und die kontaminiert werden könnte. Wenn ich nichts weiß, kann ich keine Vorsorgemaßnahmen ergreifen.

Was aber, wenn am Ende unsere Ernte GVO-Verunreinigungen aufweist und nicht mehr verkäuflich ist? Dann haftet, im Falle dieser Gesetzesänderung, niemand. Ob und an wen ich dann meine Ware verkaufen kann und vor allem zu welchem Preis, bleibt mein Problem. Spätestens, wenn das dann ein zweites Mal vorkommt, sind wir ein Risikofaktor in der Lieferkette und werden als LieferantInnen ausgemustert.

 

Aber es ist nicht nur das Problem von einzelnen Betrieben. Immer wenn es in einer Produktsparte in der Vergangenheit zu irgendwelchen Verunreinigungen gekommen ist, wurden wir in Sippenhaft genommen. Egal ob wir etwas damit zu tun hatten oder nicht. Unsere Waren wurden erstmal ausgelistet und viele unserer Kunden riefen an, um zu erfahren, ob unsere Produkte auch von diesem oder jenem Skandal betroffen seien. Nitrofen, Dioxin, Fipronil, Antibiotikarückstände. Die Folgen waren Unverkäuflichkeit und Preisverluste, aber vor allem Vertrauensverluste bei unseren Kunden und in der Gesellschaft. Genau das erzählen auch die KollegInnen aus Kanada. Trotz riesiger Kosten zur Vorbeugung und Analyse und trotz großer Flächen passiert genau das immer wieder. Ungewollte GVO-Verunreinigung und Preisverfall für alle, die diese Ware anbieten. Und im Gegensatz zu Pestiziden sind GVOs lebende Organismen. Also ein dauernd mitwachsendes und zunehmendes Problem.

Schaden auf dem Land

Und es gibt noch etwas, das mich als Bäuerin sehr verärgert: Neben den Folgen einer flutartigen Patentierungswelle, die uns mit Züchtungsbehinderung und Lizenzprozessen die Luft für die Zukunft nehmen würde, würden diese Entwicklungen das Vertrauen in die immer weniger werdenden LandwirtInnen erschüttern. Wir sollen gezwungen werden, ganz bewusst auch über Verunreinigungen, den VerbraucherInnen das unterzujubeln, das die meisten freiwillig nicht kaufen würden. Denn Patente lohnen sich natürlich nur, wenn die Produkte auch im Markt untergebracht werden können. Natürlich ohne Wahlfreiheit. Die bisher ungeprüften Risiken für das Ökosystem und die menschliche Gesundheit hätten ihren Ursprung dann auf unseren Feldern. Wie praktisch für die Industrie! Gleichzeitig würden über die internationalen Handelsabkommen wie Mercosur viele ungeprüfte, mit Patentlizenzen gesegnete und mit Pestiziden abgefüllte GVOs auf unsere Teller und in unsere Ställe gespült. Davor verursachen sie ökologische und gesundheitliche Schäden bei den Menschen und in der Umwelt dort, wo sie produziert werden. Diejenigen, die diese Vorschläge in Brüssel gemacht haben, wissen das, das weiß ich aus direkten Gesprächen mit EU-Beamten. Und es ist ihnen egal – sie werden am Ende nicht die Verantwortung für unsere abzusehenden Probleme übernehmen.

Die finanziellen Argumente wie z. B. Konzerngewinne schlagen jeden Faktencheck. Fragen nach verantwortlichem Handeln und gemeinwohlorientierter Gesetzgebung bleiben unbeantwortet. Das macht mich zornig. Es macht mich aber auch zornig, dass viele von den Menschen, die jetzt gerade politisch verantwortlich sind und die diesen ganzen Schlamassel verhindern könnten, die jahrelang das hohe Lied der Biodiversität und der vielfältigen Landwirtschaft gesungen haben, sich im Augenblick in Schweigen hüllen und sich vor klaren Worten drücken. Diese klaren Worte sollten wir als Bäuerinnen und Bauern jetzt laut äußern und auf unser Recht auf Patent- und Gentechnikfreiheit unseres Saatgutes und unserer Tiere pochen. Das ist eine Investition für die Zukunft, die sich wirklich lohnt!