Fressen, Moral oder gleich der Bioreaktor?

Der Eindruck, den die Eurotier hinterlässt, ist in vielerlei Hinsicht zwiespältig. Der verheißungsvolle Titel der „Weltleitmesse für professionelle Tierhaltung“ lautete: „Transforming Animal Farming“. Aber wohin transformiert werden soll, ist keineswegs ausgemacht. In Deutschland – vor allem in wissenschaftlichen und politischen Zusammenhängen – wird der Umbau der Tierhaltung in Richtung mehr Tierwohl kaum noch in Frage gestellt, Initialzündung war 2015 das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung, der der Nutztierhaltung ein gesellschaftliches Akzeptanzproblem attestiert hatte. Spätestens seitdem begannen Stallbaueinrichter auch alternative Konzepte an ihren Messeständen aufzunehmen, heute kann es sich auf der Eurotier fast niemand mehr leisten, nicht auch eine Bewegungsbucht im Abferkelportfolio aufzubauen, von Spielzeug, Bürsten, Raufutterportionierern oder gar Gruppensäuge- oder Spielarenen gar nicht zu sprechen. Im Milchviehbereich wurde gerade eine noch komfortablere, flexible Boxenabtrennung mit der DLG-Goldmedaille ausgezeichnet. Wie viel Relevanz für die Nachfragen auf der Messe und auch für die Ställe auf dem Land all das hat, sei allerdings dahingestellt. Die Kassenlagen auf den Höfen lassen allein schon wenig Spielräume zu, vor allem, solange höherpreisige Vermarktungsmöglichkeiten Mangelware sind und die staatliche Förderung übersichtlich ist.

In der Verbändehalle wähnte man sich hingegen schon in einer verheißungsvollen Zukunft. Dort stellte das Bundesministerium gemeinsam mit den Landwirtschaftskammern und anderen Bundesinstitutionen großzügig angelegte kleine Stallmodelle und gesamtbetriebliche Konzepte für mehr Tierwohl vor. Dazu gab es eine Bühne, wo rund um die Uhr kurze Fachvorträge zu hören waren. Das Netzwerk Fokus Tierwohl bietet daneben in einer Talk Lounge und auf kleiner Bühne ebenfalls Expertentalks. Die zehn oder zwanzig Menschen, die sich die Zeit nehmen, hier oder nebenan zuzuhören, erfahren spannende Details aus aktuellen und zum Teil sehr praxisnahen Forschungsvorhaben aller Nutztiergattungen. Bernhard Feller von der Landwirtschaftskammer NRW und sein Kollege Christian Meyer aus Schleswig-Holstein zeichnen ein umfassendes Bild einer am Tierverhalten orientierten Schweinehaltung. Feller macht Grundsätzliches klar, wie z. B., dass die momentanen gesetzlichen Platzvorgaben von 0,75 m² pro Mastschwein keine Strukturierung des Stalls zulassen oder dass zukünftig Haltungssysteme daran gemessen werden, ob sie mit langen Schwänzen funktionieren. Gleichzeitig sagt er auch: „Die Ansprüche der Gesellschaft, aber auch die Bezahlung werden sich nicht ändern. Insofern werden Schweinehalter immer auf staatliche Förderung angewiesen sein“, wenn sie mehr Tierwohl realisieren wollten. Er betont die positiven Auswirkungen von Außenklima im Hinblick auf eine gelingende Strukturierung der Buchten, beschreibt die Pferdefüße, die noch in der momentanen Vorlage des Tierhaltungskennzeichnungsgesetzes liegen – Ausläufe etwa müssen planbefestigt und eingestreut sein, um die höheren Stufen drei und vier zu erreichen. Gleichzeitig weist er darauf hin, dass Außenklimahaltungen zu bodennahen Emissionen – plötzlich riecht es beim Nachbarn auf der Terrasse – und zu neuen Fragen hinsichtlich der Biosicherheit – Schweinepest, Vogelschutznetze, ... – führen. „Landwirtschaft muss die Handlungsführerschaft übernehmen in der Entwicklung tier- und umweltfreundlicher Haltungssysteme“, das klingt als Resümee fast ein bisschen zu sehr nach Wunsch statt Wirklichkeit.

Überleben

Ähnliches treibt wohl BMEL-Staatsekretärin Ophelia Nick um, als sie im Rahmenprogramm der Eurotier eine Konferenz zum Wiederaufbau der Nutztierhaltung in der Ukraine mit ihren Grußworten eröffnet. Neben dem Ausdruck der Solidarität für das angegriffene Land und der Unterstützung für die durch Leid, Zerstörung und Tod betroffene Landwirtschaft sagt sie eben auch, dass sie sich wünsche, dass die Vorstellungen des Bundeslandwirtschaftsministeriums hinsichtlich einer tier- und umweltfreundlichen Tierhaltung auch in der Ukraine Wiederhall finden würden. Die ukrainischen Vertreter:innen unterschiedlicher agrarischer Unternehmen und Institutionen dort klingen eher so, als wären Nicks Worte im Nirwana der Simultanübersetzung verschwunden. Auch verständlich sind doch ihre Sorgen – mit einem durch Krieg und russische Besetzung zu großen Teilen vernichteten Geflügelbestand und einem Viertel vernichteter Schweine, mit einem massiven Infrastrukturproblem, was regelmäßiges Melken zum Vabanquespiel und Milchabholung zum russischen Roulette macht, blickt man anders auf Tierhaltungsdebatten. Noch in der Zerstörung den Mut zu haben, Wiederaufbau zu thematisieren, scheint fast jeden Gedanken an Tierwohl-Chichi im Keim zu ersticken. Man wolle schnell wieder die eigene Bevölkerung versorgen können und möglichst auch noch mit dem Export dringend nötiges Geld in das geschundene Land bringen, so der Tenor der Podiumsvertreter:innen. Einzig Viktor Scheremeta vom Verband kleinerer Agrarproduzenten führte aus, dass die vielen in der Ukraine auch noch vorhandenen kleineren landwirtschaftlichen Betriebe gerade eine wichtige Rolle in der dezentralen Lebensmittelversorgung einnehmen, auch, weil sie beispielsweise mit den Energieengpässen viel besser umgehen können als agrarische Großbetriebe.

Kunst

Groß und klein, und wer versorgt uns mit was, diese Fragen diskutierte die DLG in einem noch ganz anderen Licht auf ihrer Bühne unter dem Thema: „Wie wird das Fleisch der Zukunft erzeugt und was bedeutet das für die Nutztierhaltung?“ Sollte es aus Sicht der Landwirtschaft nicht vor allem darum gehen, an der Produktion von Fleischersatzprodukten überhaupt noch beteiligt zu sein? Längst entwickeln Konzerne pflanzenbasierte Alternativen, aber eben auch Kunstfleisch aus dem Bioreaktor. Da sind auf der einen Seite Konzerne wie Big Dutchman, die mit Großanlagen in die Insektenlarvenproduktion als Proteinquelle für Trog und/oder Teller einsteigen. Auf der anderen Seite scheint Alexander Heuer vom Start-up Neat einen anderen Weg aufzuzeigen. In einem Franchise-System sollen Bauern und Bäuerinnen neben ihrer Tierhaltung aus Nabelschnurzellen gewonnenes Kunstfleisch produzieren. Neben der Novel-Food-Verordnung, die das in der EU noch gar nicht zulässt, stehen Finanzierungsvorbehalte und die Frage, ob der Verbraucher diese Art von Fleischerzeugnissen überhaupt akzeptieren wird. „Wir wollen aber die Landwirtschaft von Anfang an mit im Boot haben“, so Heuer. Nick Lin-Hi, Professor an der Universität Vechta, machte klar, dass bei allen Fragezeichen aus seiner Sicht die Frage nicht mehr ist, ob die alternativen Proteinquellen kommen, sondern nur noch, wann. Der Preis werde sich durch die Skalierungseffekte eines Bioreaktors schnell anpassen und spätestens, wenn der Kunstburger billiger sei als der vom echten Tier, werde der Verbraucher zugreifen. Europa und speziell Deutschland müssten aufpassen, dass man nicht ähnlich wie bei der Elektromobilität vom Fortschritt abgehängt werde. Schweinehalter Thomas Asmussen sieht der tierlosen Fleischerzeugung positiv entgegen: „Die Frage ist doch, wie kommen wir weiter nach vorn, weiter runter können wir jedenfalls nicht mehr angesichts von sinkendem Schweinefleischverzehr und Soja aus dem Regenwald.“