Milchersatz boomt – aber für wen?

Marktbeobachtungen von Hugo Gödde +++ Milchersatz, Pflanzendrinks oder pflanzliche Proteinprodukte sind weiterhin im Kommen, auch wenn die Spitze des Hypes in diesem Jahr vorerst gebrochen ist. Laut amtlichen Statistiken lag der Absatz von pflanzlichem Milchersatz wie Haferdrinks im ersten Halbjahr 2023 in Deutschland um ca. 75 Prozent über 2020, aber mit deutlich rückläufigem Wachstum in 2023. Der gesamte Umsatz mit Milchersatzprodukten belief sich in Deutschland im vergangenen Jahr auf 610 Mio. Euro, womit der heimische Markt Spitzenreiter in Europa ist. Lange Zeit war der Markt alternativen Start-ups überlassen worden (z.B. „Black-Forest-Nature“) und wurde von Bioproduzenten (und Tofu-Unternehmen) dominiert. Danach kamen Konzerne wie Nestlé oder Oatly, die die verführerischen Marktpionierpreise nutzten. Inzwischen sind nach längerem Zögern auch Genossenschaftsmolkereien wie Arla oder DMK, aber auch Privatmolkereien wie Müller, Naarmann oder Oetker auf den Zug gesprungen. „Momentan haben die pflanzlichen Alternativen einen Marktanteil von etwa 10% bei Trinkmilch,“ schätzt Rudolf Schmidt, Geschäftsführer der Landesvereinigung der Milchwirtschaft in NRW. Sollte das Wachstum so weitergehen, sagt Schmidt voraus, „haben wir in fünf bis zehn Jahren 30 bis 35% weniger Absatz an konventioneller Trinkmilch im LEH.“ Jetzt wird es marktrelevant – auf Kosten der Kuhmilch.

Hafermilch – hip für junge Kundschaft in Deutschland

Laut einer AMI-Analyse von Haushaltsbefragungen sind besonders Menschen in der Altersgruppe von 18 bis 24 Jahren, Singles, Paare ohne Kind und junge Familien Pflanzendrinks gegenüber aufgeschlossen. Ein veganer oder laktosefreier Ernährungsstil verknüpft mit Klimaschutz und Tierschutz ist angesagt. Hafermilch darf in keinem Szenecafé und keiner Studierenden-WG fehlen.

Für eine Trendanalyse haben Wissenschaftler der Universität Hohenheim mehr als 3.000 VerbraucherInnen aus Dänemark, Deutschland, Frankreich, Italien, Polen und Spanien über ihre Einstellung zum Kauf von Milchersatzprodukten befragt. Der Studie zufolge spielt das Tierwohl zusammen mit Aspekten wie Gesundheit und Umwelt/Klima eine große Rolle bei der Kaufentscheidung. Deutsche Verbraucher lassen sich besonders von Tierwohlbedenken leiten. „Die Entscheidung für den Verzehr von pflanzlichen Molkereiprodukten wird weitgehend von den Ernährungsgewohnheiten bestimmt“, sagt die beteiligte Wissenschaftlerin Dr. Beate Gebhardt. Geänderte kulturelle Wertvorstellungen (Individualisierung, höhere Bildung) würden die Deutschen stärker beeinflussen als soziale Normen und kulturelle Traditionen, die in anderen Ländern präsenter sind. So ist die Akzeptanz der Milchersatzprodukte zum Beispiel in den Mittelmeerländern und Polen aufgrund der dortigen Esskultur deutlich geringer als bei uns. Verbraucher in Frankreich, Italien und Spanien hätten vor allem wegen sensorischer Eigenschaften Bedenken. Entsprachen Preis, Geschmack, Vielfalt und Verfügbarkeit dagegen den Erwartungen, könnte der Konsum steigen. Auch den Polen seien die Imitate zu fett, zu süß und zu teuer.

Ernährungsnutzen in der Diskussion

Auch der Ernährungsnutzen ist umstritten. Hafermilch, das mit Abstand erfolgreichste Produkt, besteht zu 90 bis 95% aus Wasser plus einem mehr oder weniger verarbeiteten Haferbrei. Davon hält Bernhard Pointner, Chef der Berchtesgadener Molkerei wenig. Der Nährwert sei vergleichbar mit Apfelschorle, kritisiert er. Das Geschmacksproblem ist nicht einfach zu lösen, denn der Geschmacksträger ist das Fett, in der Kuhmilch ausreichend vorhanden. Ohne Milchfett schmecken die Produkte wässriger oder fader und müssen z.B. durch Emulgatoren, Aromen und vor allem Calzium (bei Bio nicht erlaubt) ausgeglichen werden. Auch Kaloriengehalt, Zucker, Ballaststoffe und fehlendes Eiweiß steht zur Disposition. Stiftung Warentest bewertet die pflanzlichen Alternativen aber gut und zukunftsträchtig.
In Zukunft wird auch die Klimabilanz stärker im Vordergrund stehen. Oatley versucht gerade eine Kampagne für einen niedrigeren CO2-Fußabdruck zu triggern, um die Vorteile der „planted based“ hervorzuheben.

Hohe Preise wanken 

Wenn der Markt aus seiner Nische hinauswachsen will, muss sich vor allem im Preis etwas bewegen. Für eine „eingeschworene“ Kundschaft spielt er keine große Rolle, aber darüber hinaus wird der Käuferkreis preissensibler. 53% lagen die pflanzlichen Produkte nach Berichten von Konsumforschern im Schnitt über den „normalen“ Preisen. In 2023 habe sich diese Differenz auf 23% verringert, so die deutsche NGO ProVeg. Bei Hafermilch z.B. spreizte sich der Preis häufig um 100% und die Margen waren nach Aussage von Marktexperten immens. Andere halten die niedrige Marktdurchdringung für den Kostenkiller.

Nach der Ankündigung der Discounter im Oktober, vegane Produkte der Eigenmarken zum gleichen Preis anzubieten wie tierische Produkte, hat eine Abwärtsspirale eingesetzt. Preisnachlässe von 20% wurden registriert. Der Markt wird sich in den nächsten Monaten neu sortieren.

Oatly weiterhin auf Talfahrt

Dass es selbst für Lieblinge der Börse nicht so einfach ist, neue Märkte aufzubauen, merkt seit einiger Zeit der weltweit agierende schwedische Hafermilchhersteller Oatly. Auch in Deutschland (Rewe, Edeka) sind seine Milchprodukte prominent vertreten. Im Mai 2021 wurde die Aktie mit einem Kurs von 17 US-Dollar an der US-Techbörse Nasdaq gehandelt. Im Sommer 2023 notierte man bei 2 US$ pro Aktie, fast 90 % unter Börsenstart und weit unter seinen Zielvorstellungen. Anfang November lag sie bei unter 0,50 US$. Zwar stieg der Nettoumsatz im ersten Quartal auf 195 Mio. US-Dollar. Die Nettoverluste sanken auf 75 Mio. $ (im Quartal!). Nach großem Erfolg in einem Wachstumsmarkt sieht das nicht aus. Im lukrativen Vorzeigemarkt USA sank der Absatz zuletzt, während die Umsätze wegen kräftig gestiegener Preise wuchsen. Weiterhin reden Analysten die Lage rosig. „Wir glauben, dass der Markt für das haferbasierte Segment weiter von Bedeutung ist“, so ein Finanzdienstleister. Der Markt habe den Tiefpunkt erreicht und strebe nach oben. Oatly will in 2024 Rentabilität erreichen. Dafür muss man aber zunächst ein Kreditvertrag über 125 Millionen US-Dollar und 300 Millionen US-Dollar durch den Verkauf von Wandelanleihen für die Liquidität und die „finanzielle Unabhängigkeit“ einholen. Schlüsselmärkte sind nun Deutschland und Großbritannien. 2022 war in Deutschland ein deutlicher Importeinbruch pflanzlicher Drinks zu verzeichnen, verursacht vor allem durch die schwedische Oakly. Seine Hafermilch liegt im LEH mit über 2 Euro weit jenseits regionaler Drinks von ca. 1,35 €/kg (Bio liegt z.T. sogar darunter). Und wenn jetzt die Discounter die Preise auf tierisches Niveau (Kuhmilch) drücken?

Der Marktbeobachter sieht weiterhin Wachstumschancen für einen Markt von pflanzlichen „Milch“produkten, die juristisch Drinks oder Getränke genannt werden müssen. Laut EU-Verordnung ist Milch bezeichnet durch „ein- oder mehrmaliges Melken gewonnenes Erzeugnis der normalen Eutersekretion“. Aber es zeichnet sich ein Weg aus der Nische mit allen üblichen unerwünschten Folgen (Preis, Konditionen) für Verarbeiter und Erzeuger ab. Noch scheinen die Imitate gewinnträchtig. Aber wachsen in der Menge heißt schrumpfen im Preis. Eine „Marktkonsolidierung“ bietet sich an. Molkereien vertrösten die Milchbauern damit, dass sie in Zukunft ja Hafer oder Soja regional liefern könnten. Vom Grünland?

 

15.11.2023
Von: Hugo Gödde

Aktuell bietet Oatly der Milchindustrie Werbefläche für deren CO2-Fußabdruck an. Bildquelle: Oatly