Kommentar: Milchmarkt neu denken

Wir Landwirte haben in den letzten 20 Jahren ein Auf und Ab an Milchpreisen und auf der anderen Seite stetig ansteigende Kosten erlebt. In jeder Milchpreiskrise haben wir wahnsinnig viele Betriebe verloren, in den letzten 20 Jahren ungefähr 50 Prozent aller Milchviehbetriebe – europaweit. Insofern ist es ein interessantes Signal, was der neue EU-Agrarkommissar Christophe Hansen zur Marktgestaltung gesendet hat, damit die Volatilität der Märkte nicht immer wieder Existenzen kostet.

Lautstarke Gegenwehr - ganz eigene Interessen

Bisher skizzieren Deutscher Bauernverband, Raiffeisenverband und Milchindustrieverband unisono ein wahnsinnig aufwendiges Horrorszenario und Bürokratiemonster. Ganz viele Milchviehhalter haben sich mit der Problematik überhaupt noch nicht auseinandergesetzt, ihre Meinungsbildung findet unter dieser lautstarken, industriegeleiteten Abwehr statt. Dabei hat die Industrie ganz eigene Interessen, weil sie von der Situation, wie sie jetzt ist, profitiert: nämlich dass das Risiko am Milchmarkt immer nach unten durchgereicht werden kann. Wenn man mal überlegt, dass die Molkereien zum Handel und zur weiterverarbeitenden Industrie hin alles vorausplanen und vertraglich absichern, ist es ein Unding, uns Lieferanten, die ihnen den Rohstoff für ihre Produkte liefern, weiszumachen, solche unternehmerisch selbstverständlichen Instrumente seien nicht zu bewältigen. Hansen hat mehrfach betont, dass auch schon ein E-Mail-Verkehr, wie er monatlich sowieso zwischen Lieferant und verarbeitender Industrie stattfindet, als Vertragssituation genutzt werden kann.

Verschiedene EU Nachbarländer mit Vertragsgestaltung

Es lohnt, sich die verschiedenen Lösungswege europäischer Nachbarländer anzuschauen: Sei es in Spanien oder in Frankreich, in Italien oder in den Balkanstaaten, in Belgien – überall versucht man durch das Modell der Vertragsgestaltung einen neuen, durchaus gangbaren Weg zu schaffen, der am Ende die Marktschwankungen glättet. Das passiert durch längerfristige Verträge, durch engere Zusammenarbeit unter den Vertragspartnern und durch Absprachen, die man in Verträgen etablieren kann, z. B. was kosten neue Entwicklungen im Tierwohl-, Umwelt- und Klimabereich?

Dabei ist es elementar wichtig, die Produktionskosten als unverhandelbare untere Grenze einzuziehen – gar nicht einzelbetrieblich, sondern bezogen auf Regionen. Dann bekommen wir Stabilität mit Anpassungsmechanismen und Perspektive nach vorne, damit die Betriebe Investitionen tätigen können und junge Landwirte auf den Höfen ihre Zukunft sehen.

Drei-Parteien-Verträge als neue Geschäftsbeziehungen

Und dann bekommen wir auch endlich Klarheit über die Margen in der Kette und eine Transparenz der Kosten. Da könnten uns darüber hinaus privatwirtschaftliche Initiativen wie die Drei-Parteien-Verträge helfen. Da müsste man im konventionellen Bereich den Schritt weiter gehen und in der Weiterverarbeitung und im Außer-Haus-Bereich die Kosten offenlegen und durch Verträge absichern. Das spielt den Ball rüber zur Wirtschaft, denn die Beziehungen am Markt werden darüber entscheiden, ob wir zukünftig wirtschaftlich Landwirtschaft betreiben und unsere Ansprüche an die Tierhaltung sowie Umwelt- und Klimakriterien berücksichtigen können. 

Ökoregelung Weideprämie für Milchkühe muss kommen

Die Weidehaltung von Kühen verbindet diese Ansprüche, ist aber ein Beispiel dafür, wie gesellschaftlich anerkannte Wirtschaftsweisen bei der Honorierung am Markt und bei Fördermaßnahmen hintenanstehen. Bislang war bei den Ökoregeln der GAP kaum was für Grünlandbetriebe dabei, deshalb ist eine zusätzliche Ökoregelung Weideprämie für Milchkühe dringend gefordert. Diese ist schon vom Bundestag beschlossen und muss nun umgesetzt werden. Auch hier gibt es Kräfte, die dagegen arbeiten. Gerade bei knapper werdenden Kassen müssen wir aber das vorhandene Geld in Richtung bäuerliche Betriebe mit vielfältigen gesellschaftlichen Leistungen lenken.