Immer weniger Milchkühe gehen auf die Weide – die Geschichte eines Hofs, der es anders macht:
Ob Friedrich Merz wohl mitkriegt, was sich in seiner Heimatregion verändert: dass dort im Sauerland immer weniger Rinder im Allgemeinen, aber vor allem auch immer weniger Milchkühe auf den grünen Hügeln grasen? Dorothee Biermann und Jürgen Altbrod mit ihrem Sohn Julian bewirtschaften einen Milchviehbetrieb in Merz’ Wahlkreis, und sie gehören zu den wenigen Betrieben dort, die ihre Kühe jetzt im Frühjahr wieder auf die Weide lassen. „Wir haben noch einen Nachbarn, der macht das sporadisch, ansonsten guckt man auf den Berg und sieht nur noch unsere Rinder“, sagt Biermann, die im AbL-NRW-Landesvorstand ist. Die Familie bewirtschaftet gemeinsam 83 ha, von denen 54 ha Grünland sind. Auf den Ackerflächen werden neben Kleegras Getreide und Mais als Futter für die 64 Fleckviehkühe, für die gleiche Anzahl weibliche Nachzucht und für die 25 Hühner angebaut. Ein klassisch bäuerlicher Hof, typisch für eine mittelgebirgige Grünland-Region wie das Sauerland – und doch inzwischen ein aussterbendes Modell. Vor acht Jahren haben sie ihren Hof auf Bio umgestellt, „aber auf die Weide haben wir die Kühe auch schon vorher genauso getan“, sagt Dorothee Biermann. Und überhaupt hätten sie gar nicht so viel verändern müssen: Bio-Kraftfutter, kein Kalkammon mehr und kein Spritzen-TÜV – das Aufwändigste sei vielleicht, dass sie die fünf Hektar Mais auf dem Acker seitdem hacken würden.
Wachstum und Verschuldung
„Das, was wir hier machen mit der Weidehaltung, ist das traditionelle System in der Gegend“, sagt Biermann, „es ist fatal, dass es immer weniger wird.“ Die Gründe liegen auf der Hand: Es sei arbeitswirtschaftlich anstrengend und aufwändig, und die Milchleistung von der Weide sei mit im Schnitt 7.200 Litern „nicht so doll“. Zäune reparieren im Frühjahr und hin und wieder neu machen, Portionsweiden abstecken im Gras, das nicht zu alt und nicht zu jung sein darf, in einem Maß, das nicht zu viele Futterreste lässt, und „wenn sie zu viel drauf gekackt haben, fressen sie es auch nicht mehr“ – all das müsse man bedenken. Und dann die Lauferei auf den Berg und wieder runter … „Dann kommt man aber auch an die schönen Stellen und Spaß macht das Wandern durchaus auch“, so Biermann. Es freue sie auch für die Kühe, wenn sie dahin kämen, wenn es ihnen gut gehe und wenn auch sie die schöne Aussicht ins Tal sichtlich genössen. „Man kann eben nicht alles nur betriebswirtschaftlich bewerten.“
Wirkung auf Biodiversität mehr würdigen
Viele Milchviehbetriebe im Sauerland setzten weiter auf Wachstum und verschuldeten sich für immer größere Ställe, aus denen die Kühe dann oft nicht mehr auf die Weide kämen. Andere ohne Nachfolger (oder mit entmutigten Hoferben) gäben auf. „Es gibt eine Menge Fehlentwicklungen, und die überbordende Bürokratie tut auch ihren Teil. Nur wenige Betriebe wagen eine Zukunft ohne Wachstum, aber für uns ist es der richtige Weg, den wir zuversichtlich beschreiten“, resümiert Biermann. „Klar kann man auch Tierwohl ohne Weide im richtig guten Stall hinbekommen und manchmal wollen die Kühe auch gar nicht raus.“ Aber sie empfinde es als sinnvoll, die Tiere zu der physischen Herausforderung der Witterung manchmal auch zu nötigen. Und schließlich sei die Weide nicht nur für das Rindvieh ein Gewinn; auch die Wirkung auf die Biodiversität müsse viel mehr gewürdigt werden. Im Sauerland waren die Zäune mit Eichenpfählen immer auf Dauer gebaut worden, nun verschwinden sie und mit ihnen die Altgrassäume und Büsche. „Ab und zu macht man mal einen Dornbusch weg, bevor er zu groß wird“, sagt Dorothee Biermann, „ansonsten kann da alles wachsen. Sind die Zäune weg, wird bis an die Wegebankette ran gemäht. Die Zäune sind wichtige Strukturelemente und Saumbiotope in der Landschaft.“
Weideprämie
In NRW wird die Sommerweide von Milchkühen bereits über ein Programm der Agrarumweltmaßnahmen in der zweiten Säule der GAP mit 60 Euro je GVE gefördert. Das bringt dem Betrieb Altbrod/Biermann ein zusätzliches Einkommen von immerhin rund 5.000 Euro im Jahr. Würde die von der AbL geforderte und vom Bundestag beschlossene neue Ökoregelung zur Weidehaltung umgesetzt, würde der Betrieb durch eine Aufstockung der Prämie noch zusätzlich gewinnen. Aber vor allem bundesweit würden bäuerliche Höfe profitieren und zur Weidehaltung motiviert. Im guten Fall könnte die Abwärtstendenz bei der Weidehaltung gestoppt werden, im besten Fall ließen vielleicht Betriebe die Kühe auch wieder neu raus. „In der Schweinehaltung gibt es gerade positive Ansätze, von den Vollspaltenställen in bessere Haltungsformen zu wechseln – bei der Rinderhaltung geht es mit Aufgabe der Weide eher in die andere Richtung“, sagt Biermann. Dabei stellten sich die Verbraucher Milchkühe überwiegend auf der grünen Wiese vor – eine bundesweite Weideprämie sei da nur angemessen.
Wölfe als Bedrohung bei Weidehaltung - angemessen Lösungen finden
Sorgen macht ihr, dass sich auch im Sauerland zunehmend Wölfe in freier Wildbahn ansiedelten. Diese könnten zu einer ernsten Bedrohung der verbliebenen traditionellen Weidehaltung führen, da Rinder auf der Weide vor Wölfen nicht zu schützen sind. Sie würden verstört, vertrieben und im schlimmsten Fall gerissen – dann blieben auch die Tiere im Betrieb Altbrod/Biermann im Stall, und die Biowirtschaft mit Weideverpflichtung müsste beendet werden. Aber die Familie ist auch hier zuversichtlich, dass eine angemessene politische Lösung gefunden wird, und macht weiter – bald kommen die Kühe wieder raus.