Vorschlag der EU-Kommission will die Verhandlungsposition von Bäuerinnen und Bauern stärken:
Als eine seiner ersten Amtshandlungen hat Christophe Hansen, seit Dezember amtierender EU-Kommissar für Landwirtschaft und Ernährung, die Vorschläge der Europäischen Kommission ein Reformpaket zur „Stärkung der Position der Landwirtinnen und Landwirte in der Lebensmittelversorgungskette“ vorgestellt. Damit griff er ein Versprechen der EU-Kommission auf, welches diese den protestierenden Bäuerinnen und Bauern vor einem Jahr gab - im gleichen Atemzug mit dem als Vereinfachung begründeten Auflagenabbau bei der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Obwohl die Hauptforderung der Bauernproteste Anfang 2024 quer durch Europa ein „gerechteres Einkommen durch faire Preise“ war, müssen die Bäuerinnen und Bauern noch immer auf die Umsetzung entsprechender Maßnahmen warten, während der Auflagenabbau bei den Grundanforderungen der GAP im Eilverfahren und ohne Folgenabschätzung vor der Europawahl verabschiedet wurde.
Gerechter Rahmen als Hebel
Um faire Preise zu erreichen, sind ein gerechter Rahmen für den Verkauf landwirtschaftlicher Erzeugnisse und mehr Transparenz am Markt die größten Hebel. Entsprechend kündigte die EU-Kommission bereits im März 2024 neben der Einrichtung einer Agrarmarkt- und Lebensmittelketten-Beobachtungsstelle (AFCO) auch Anpassungen der Europäischen Verordnung über eine Gemeinsame Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeugnisse (GMO) an. Diese ist ein zentraler Bestandteil der GAP. Gleichzeitig sollen auch in der Richtlinie gegen unlautere Handelspraktiken (UTP) Nachbesserungen vorgenommen werden. Die nun vorliegenden Vorschläge für die GMO und UTP sollen, wenn es nach Kommissar Hansen geht, möglichst bis zur Sommerpause vom Rat und dem Europäischen Parlament beschlossen werden. So sollen Verbesserungen schnell wirksam werden, und es sollen Überschneidungen zur anstehenden großen Reform zur GAP nach 2027 vermieden werden, für die Hansen bereits in der zweiten Jahreshälfte Vorschläge vorlegen will. Darin sollen weitere Reformschritte für eine gerechtere GMO enthalten sein.
Generationswechsel
Bei der bereits begonnenen Diskussion um die Ausgestaltung der GAP nach 2027 könnte die gerechtere Ausgestaltung der Marktregeln innerhalb der GMO somit sehr viel deutlicher in den Fokus rücken und mit der Schaffung einer Basis für auskömmliche Einkommen in der Landwirtschaft eine vollständige Knüpfung der Agrargelder an gesellschaftliche Leistungen überhaupt erst ermöglichen. Denn bei einem möglicherweise knapper werdenden EU-Agrarbudget werden faire Preise zur Grundvoraussetzung dafür, dass die Fördergelder auf Anreize für den notwendigen sozial-ökologischen Wandel ausgerichtet werden können. Darüber hinaus erhöhen gerechtere Märkte mit der Aussicht auf auskömmliche Einkommen auch den Anreiz für junge Menschen zur Hofnachfolge, mehr als jede Junglandwirt:innen-Förderung es vermag.
Verpflichtende Lieferverträge
Unter anderem sollen alle EU-Länder verpflichtet werden, die Regeln zu schriftlichen Lieferverträgen umzusetzen, was der Diskussion in Deutschland zur bislang stets blockierten Umsetzung einer Vertragspflicht im Milchsektor neuen Schwung bescheren würde. Schon heute sieht die GMO vor, dass Mitgliedsstaaten freiwillig eine Vertragspflicht für die Milchbranche (Artikel 148 GMO) und andere Agrarerzeugnisse (Artikel 168 GMO) umsetzen können. Eine Vertragspflicht im Milchsektor wird jedoch nur von knapp der Hälfte der EU-Länder angewandt. Die Umsetzung bedeutet, dass Milchviehbetriebe und Molkereien vor Ablieferung der Milch einen schriftlichen Vertrag über die Liefermenge, den Milchpreis, die Qualität sowie die Dauer des Vertrages abschließen müssen. Dies soll zu einer Glättung und Stabilisierung der Milchmenge und Preise führen und könnte dazu beitragen, dass sich mehr Bäuerinnen und Bauern in Erzeugerorganisationen bündeln, wodurch die Verhandlungsposition gestärkt würde. Auch die Planbarkeit würde sich durch eine Erfassung der Milchmenge verbessern.
Deutschland blockt
Trotz umfangreicher Bemühungen des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) hat Deutschland von dieser Möglichkeit bislang keinen Gebrauch gemacht. Der Grund dafür ist vor allem der massive Gegenwind der Agrarindustrieverbände und des Genossenschaftsverbands, deren Einflüsse sich in der Positionierung des Deutschen Bauernverbands und der Unionsfraktion widerspiegeln und bis ins Kanzleramt reichten. Die Regelungen seien ein Eingriff in die Vertrags- und Satzungsfreiheit und würden zu unnötigem zusätzlichen Bürokratieaufwand führen. Der neue EU-Agrarkommissar Hansen verteidigte seinen Vorschlag jedoch in der Öffentlichkeit mit der Entgegnung, dass eine E-Mail oder ein bis zwei Seiten ausreichend und überschaubar seien, um die erforderlichen Absprachen festzuhalten.
Gegenwind trotz Zustimmung durch Zukunftskommission
Der Gegenwind ist umso verwunderlicher, als es doch jüngst im neusten Abschlussbericht der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) genau zu diesem Punkt eine Einigung aller Beteiligten gab. „An dieser Forderung werden sich alle Parteien nach der Bundestagswahl messen lassen müssen, wenn ihnen etwas am Erhalt einer flächendeckenden regionalen Milcherzeugung mit ihren vielen Vorteilen für Menschen, Tiere, Klima, Umwelt und Biodiversität liegt“, sagt Ottmar Ilchmann, agrarpolitische Sprecher der AbL und Milchbauer aus Niedersachsen. Auch die meisten anderen Agrarverbände sowie die Zivilgesellschaft halten sich an den ZKL-Beschluss und treten weiter für diese Forderungen ein.
Stärkung in der Kette
Ein weiterer Punkt im Reformpaket ist die Stärkung von Erzeugerorganisationen und deren Verbände Was zunächst positiv klingt, wird problematisch, sobald nicht anhand klarer Kriterien große Erzeugerorganisationen mit Konzerncharakter, wie beispielsweise das Deutsche Milchkontor (DMK) oder die BayWa AG, davon ausgeschlossen werden. Hier ist das operative Geschäft ausgelagert und nicht mehr durch die bäuerlichen Mitglieder kontrollierbar. Kleine Erzeugergemeinschaften, die zum Wiederaufbau regionaler und lokaler Versorgungsketten beitragen, brauchen dagegen dringend Unterstützung, sowohl bei der Gründung also auch bei der laufenden Arbeit.
Weitere Inhalte der Vorschläge umfassen zum Beispiel Mindeststandards für die Verwendung der Begriffe „fair“, „gerecht“ und „kurze Lieferkette“ sowie die Möglichkeiten zur Bereitstellung von Mitteln aus der Agrarreserve in Marktkrisen für Erzeugerorganisationen, die Marktverantwortung übernehmen. Beim Artikel 210a, der es erleichtern soll, höhere Preise für nachhaltiges Wirtschaften durchzusetzen, sollen soziale Aspekte aufgenommen werden.
Beratungen begonnen - Deutschland zögerlich
In der ersten Agrarrat-Diskussion zu den Vorschlägen waren einige Mitgliedsstaaten, darunter auch Deutschland, eher zögerlich und forderten die Gründung einer Arbeitsgruppe für weitere Beratungen. Andere Länder unterstützten Hansen und forderten darüber hinaus auch, dass zukünftig der systematische Verkauf unter Produktionskosten verhindert werden müsse. Auch im EU-Parlament haben die Beratungen nun offiziell begonnen, nachdem Hansen in einer Sondersitzung des Agrarausschusses in Straßburg die Vorschläge vorstellte. Entgegen der Stimmung in Deutschland reagierten die EU-Parlamentarier überwiegend positiv darauf. Parallel erarbeiten auch der Ausschuss der Regionen und der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss eine Stellungnahme.