Marktbeobachtungen von Hugo Gödde +++ Der Winter ist eine gute Zeit für Bauernaktionen. Medien warten geradezu auf den Beginn von Treckerdemonstrationen. In den letzten Jahren waren die Landwirtschaftsaktivisten in Holland immer ganz vorn dabei. In diesem Jahr halten sie sich erst einmal zurück. Schließlich ist „ihre“ Partei, die Bauern- Bürger-Bewegung (BBB), mitten in der rechten Regierung des Rechtspopulisten Wilders und stellt mit Femke Wiersma sogar die Ministerin. Aber unter der Oberfläche rumort es bereits. In einer Umfrage unter den Anhängern der BBB ist ihr Vertrauenswert bereits auf 50% gesunken, während ihr 30% nicht oder gar nicht vertrauen. Dabei ist sie erst seit Anfang Juli Chefin des Agrarressorts. Für 56% des eigenen Wählerklientels hat sie bisher nichts erreicht.
Katastrophale Güllepolitik
Die Kritik der Wähler richtet sich vor allem gegen die Ungewissheit bei der „katastrophalen“ Güllepolitik. Auf Druck der Basis hatte Wiersma den Stickstoffplan der Vorgängerregierung abgeschafft, ohne eine eigene Strategie zu bieten. Weiterhin bleiben vorgeschlagene Maßnahmen Stückwerk und die Hoffnung auf Verlängerung der Ausnahmenregelungen aus Brüssel für die holländische Viehwirtschaft schwindet immer mehr. Darauf beruht aber ein erheblicher Teil der „Güllepolitik“, sich Zeit zu verschaffen und kurzfristig keine großen Einschnitte erleiden zu müssen. Aber – wie es scheint – hat auch diese Regierung die Wirklichkeit eingeholt und das starke Auftreten der Agrarlobbyisten auf Normalmaß gestutzt. Im Oktober wurde ein neues Güllegesetz mit breiter Mehrheit verabschiedet, das den Nutzviehbestand erheblich einschränken soll. Schon jetzt wird zu viel Gülle produziert und nach Berechnungen des Niederländischen Zentrums für Gülleverwertung (NCM) würde sich dieser Überschuss bis 2026 verfünffachen, wenn sich nichts ändert. 400.000 Tankwagenladungen müssten dann entweder exportiert oder teuer verarbeitet werden.
Brüssel spielt wohl nicht mit
Entsprechend verärgert zeigte sich der größte Bauernverband (LTO), der ganz auf technisch verbesserte Möglichkeiten der Gülleverwertung einschließlich des Gülleexports und die Verlängerung der Ausnahmeregelung (Rogation) setzt. Zunächst hatte die neue Regierung angekündigt, gegen ein „erzwungenes Schrumpfen des gesamten Viehbestands“ in Brüssel auf den Tisch zu schlagen und den „Regel-Überdruck“ zu nehmen. Davon wird vorerst nichts. Fast zwei Jahrzehnte durften Landwirte mit einer Sondergenehmigung der EU mehr Gülle (230 kgN/ ha) produzieren als ihre Kolleginnen und Kollegen in den anderen Mitgliedstaaten. Weil sie sich aber nicht an die Vereinbarungen gehalten haben, teilte Brüssel Ende 2022 mit, dass ab 2025 schrittweise damit Schluss sei. Bis 2026 müssen die Stickstoffmengen auf das normale EU-Maß von 170 kgN/ha reduziert werden. Der Ausstoß von Stickstoff muss allein im nächsten Jahr um 5,3 Prozent reduziert werden, der von Phosphat sogar um 9,3 Prozent. Dies wird nicht ohne Reduktion des Bestands möglich sein. Ein Protest gegen den alten Plan hatte aber die Bewegung erst stark gemacht. Nun muss man ihn selbst vollziehen. Die Ministerin verstehe die Enttäuschung, heißt es. Man habe im Ministerium jeden Stein umgedreht, um andere Möglichkeiten zu finden. Sie überbringe auch lieber positive Nachrichten. Der Ministerin fehle es offensichtlich an Mut, beklagte sofort die radikale Aktionsgruppe „Farmers Defense Force“. Schließlich sei der Zusammenhang zwischen Klimaauswirkungen und Tierzahlreduktion ohne wissenschaftliche und ökologische Grundlagen. Das müsse in Brüssel nur mal unmissverständlich dargelegt werden. Man hofft auf die neue „rechtere“ Kommission und auf die Anerkennung von Fake News, sagen Umweltwissenschaftler.
Freiwilliger Ausstieg
Gegen die politische „Zwangsreduktion“ setzt man auf den subventionierten freiwilligen Ausstieg. Die Summen sind hoch angesetzt. Nach zunächst mäßigem Erfolg der Maßnahme wurde der Fördersatz erneut erhöht und mit 5 Mrd. Euro ausgestattet. Angesichts der Berechnungen auch von Banken, dass die Bestände und vor allem die kleinen/mittleren Betriebe heruntergefahren werden müssten, wächst der Druck auf die Höfe. Bis 2030 rechnet die ING-Bank noch mit einem Drittel der Schweinebetriebe und die ABN-Amro-Bank fordert einen Rückgang von 30% der Tierzahlen. Da wirkt natürlich eine subventionierte Stilllegung. Jedenfalls werden die Schweine- und Milchkuhbestände in den nächsten Jahren sinken. Die Schlachthöfe und Molkereien stellen sich bereits mit ihren Kapazitäten und Lieferketten darauf ein.
Güllepreis steigt, Verarbeitung und Export als Notlösung
Dass ein freiwilliger Ausstieg das Problem löst, erwartet niemand – zumal die Stickstoffmenge noch angestiegen ist. Weitere (eher technische) Maßnahmen sollen, so die Ministerin, innovative Futtermittelzusatzstoffe, die den Anteil an Phosphat und Stickstoff in der Gülle senken, Biogasanlagen, Aufbereitung von Feststoffen und – natürlich – der Export von Gülle sein. Er ist in den letzten Monaten bereits leicht angezogen, auch nach Deutschland, mit 44% Absatzland Nr. 1. Fachleute gehen davon aus, dass der Anstieg mit der Verbilligung der Gülle zu tun hat. Hoffnungen liegen auf den Export nach Osteuropa trotz höherer Transportkosten. Denn die Entsorgung des Kubikmeters Gülle liegt für den Tierhalter inzwischen bei 40 Euro, besonders in viehdichten Regionen. Das macht fast 20 Euro pro Schwein aus, wenn man die Gülle nicht anders verwerten kann. Dieser Wettbewerbsnachteil ist bei der heftigen Konkurrenz um kostengünstiges Fleisch und Milch im europäischen Binnenmarkt kaum auszugleichen.
Abbau beim Naturschutz und beim Provinzeinfluss
Auch weniger restriktive Maßnahmen in den Natura 2000-Gebieten (z.B. Ausgleichsflächen) sollen den Landwirten entgegenkommen. Ob das die EU mitmacht, die viel Geld in die Naturschutzgebiete fließen lässt bzw. die Gerichte, die ja auf die Dringlichkeit der Einhaltung der Gesetze verweist, wird man sehen. Zudem hat Wiersma den Provinzen das Recht genommen, mit eigenen Umsetzungsplänen zu reagieren. Dagegen hatte sich besonders der Bauernverband ausgesprochen, der in den Konzepten der Provinzen zu wenig Spielraum sah – zum Verdruss auch der BBB-Anhänger, die bei den letzten Provinzwahlen in vielen Regionen stärkste Kraft geworden waren und nun mitregieren wollten.
Der Marktbeobachter registriert, dass es nicht ausreicht, mit großen (radikalen) Protestaktionen und Ministerposten die Backen aufzublasen und die Realität an die Seite zu schieben. Das Stickstoffproblem ist hausgemacht und seit Jahren verdrängt und muss gelöst werden. Zu gern hat sich die holländische Viehwirtschaft in ihren Erfolgen des Exports und in ihren Rationalisierungsfortschritten gesonnt. Aber zu viel (300% Selbstversorgung bei Schweinefleisch und 170% bei Milch) ist und bleibt auch unter anderen politischen Machtverhältnissen zu viel. Was breitbeinig verdrängt oder vernachlässigt wurde, holt die Landwirtschaft spätestens jetzt ein. Agrarkritiker hatten seit langem auf die Risiken der Industrialisierung hingewiesen. Das Aufholen der Fehler der Vergangenheit tut weh und kostet viel Geld - der Landwirtschaft, aber auch der Gesellschaft. 5 Mrd. Euro für den Rauskauf von Höfen – dafür könnten wir den Umbau mit weniger Tiere und mehr Tierwohl komplett bezahlen. Dafür muss aber der politische Wille vorhanden sein.