Holland: Gülle-Realität gegen rechtspopulistisches Agrar-„Weiter So“

Marktbeobachtungen von Hugo Gödde +++ So einfach sind die Agrar-Umwelt-Realitäten nicht aufzuhalten und die rechtlichen Bedingungen nicht zurückzudrehen – auch von einer gewählten rechtspopulistischen Regierung nicht. Das muss seit Monaten die rechte Regierung in den Niederlanden und mit ihr der Koalitionspartner, die BauernBürgerBewegung (BBB) erfahren. Viele Bauernaktivisten, die zuvor mit massiven Treckerprotesten auf sich aufmerksam gemacht hatten, erwarteten, dass nun die Agrar-Uhren wieder anders gehen und der ungebremsten Produktion von Milch und Fleisch wieder Vorrang eingeräumt werde vor Umwelt- und Klimaschutz. Die neue Agrarministerin Femke Wiersma von der BBB hatte im letzten Sommer diese Hoffnung geweckt. Bisher konnte sie aber noch nicht liefern, was den Frust unter ihren Anhängern hochtreibt.

Regierung muss Stickstoff-Belastung senken

Nun hat auch noch das Bezirksgericht Den Haag der Klage von Greenpeace stattgegeben und die Regierung verurteilt, ihre Bemühungen für eine verringerte Stickstoffbelastung der Umwelt zu intensivieren. Das gesetzliche Umweltziel für Stickstoff (vor allem Gülle) bis 2030 müsse zwingend eingehalten werden, sonst drohten hohe Strafen. Die Hälfte der in den vielfältigen und verbreiteten Natura 2000-Gebieten muss dringend unter einen kritischen Wert gedrückt werden. Der Zustand der stickstoffempfindlichen Gebiete habe sich in den letzten Jahren fast überall verschlechtert, vor allem wegen Stickstoffablagerung aus der Landwirtschaft. Das müsse dringend gestoppt werden. Als Beispiel wird das „Programm für Stickstoff“ aus 2015 kritisiert. In Erwartung zukünftiger Reduzierungs- bzw. Wiederherstellungsmaßnahmen wurden in großem Maße z.B. bauliche Genehmigungen durchgewunken, die potenziell schädlich für die Natur waren. Grundlage war die interne betriebliche Saldierung. Wer z.B. die Jungtiere zur Aufzucht ausgelagert oder emissionsärmere Techniken eingesetzt hat, konnte ohne Genehmigung die freiwerdenden N-Mengen in der Tierhaltung aufstocken. Dies widerspricht den jüngsten Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs, so der Staatsrat, ein Verfassungsorgan zur Beratung der Regierung. Nach Schätzungen der Rabobank wirtschaften seither etwa 50% der Viehhalter ohne umweltschutzrechtliche Genehmigung. Diese müssen sie bis 2030 nachholen, d.h. in der Regel abstocken. 

„Katastrophaler Richterspruch“

Für die Ministerin und besonders für den Bauernverband bedeutet das Urteil einen herben Rückschlag in der Stickstoffdiskussion. Gerade noch wollte man in Brüssel die holländische Ausnahmeregelung für den Gülleeinsatz (230 kg N statt 170 kg N in anderen EU-Ländern) weiterhin durchdrücken und damit Zeit gewinnen. Wiersma schloss nicht aus, in Revision zu gehen, wie es der Bauernverband fordert, auch wenn die Chancen nicht gut stehen. Ihre BBB-Chefin van der Plas will gleich das ganze Gesetz ändern, um aus der Bredouille zu kommen. Ger Koopmans, der Bauernverbands-Präsident, will rasch die Zielwerte senken. Die im Gesetz verankerten Grenzwerte seien unrealistisch, idealistisch und nicht umsetzbar für ein Agrarexportland und würden die Wettbewerbsfähigkeit ruinieren, erklärt die Vorsitzende der Landwirte-Aktionsgruppe Agractie, Alien van Zijtveld, und nennt das Urteil „katastrophal“. Zugleich warf sie der Ministerin vor, Lösungen für die Gülleproblematik seit ihrem Amtsantritt verschleppt zu haben.

Welche Alternativen?

Der Richter kritisierte zudem, dass die aktuelle Regierung das Nationale Programm der alten Mitte-Rechts-Regierung, mit dem 20 Mrd. € zur Umstellung bzw. zum Tierhaltungsabbau bereit gestellt werden sollten, gestrichen bzw. auf 5 Mrd. € gekürzt habe, ohne eine eigene Strategie vorzulegen. Nur noch ein freiwilliger Ausstieg soll gefördert werden. Damit könnten aber die Stickstoffziele wohl nicht erreicht werden.

Bisher hat sich die Regierung auf technische Lösungen und Innovationen (Futterzusätzen, Urease usw.) konzentriert, ist aber an einer wirklichen N-Reduktion gescheitert. Mit den aktuellen Maßnahmen stocken die Schritte nach vorn und der Abbau zugleich, so eine Rabobank-Milchexpertin. Sie befürchtet außerdem, dass sich die unsichere Genehmigungslage auf die Kreditzinsen auswirken werden.

Den Vorschlag des Direktors von Demeter, Bert Van Ruitenbeek, man müsse den Import von Kraftfutter und den Einsatz von Kunstdünger drastisch verringern, weisen alle Experten des „holländischen Geschäftsmodells“ (Industrialisierung, Rationalisierung, Export) entschieden zurück.

Gülle teuer wie nie

Die aktuelle Güllepolitik sieht eher nach einem Bemühen um Zeitgewinn aus. Dabei geht aber den Betrieben die Luft aus. Laut ING-Bank werden bis 2030 noch ein Drittel der Schweinebetriebe mit 30% weniger Tierzahlen überleben. Bereits jetzt wird viel zu viel Gülle produziert und der Überschuss soll sich bis 2026 noch vervielfachen. Bereits heute kostet die Entsorgung des Kubikmeters Gülle ca. 35 bis 40 Euro, also fast 20 € pro Schwein, wer keine eigene Verwertung hat. Eine Hoffnung richtet sich auf die Aufbereitung von Feststoffen, auf Biogasanlagen und auf Gülleexport z.B. nach Polen oder gar Übersee. Aber auch die Aufarbeitung ist energieintensiv und teuer.

Der Marktbeobachter sieht, dass auch in den Niederlanden die Rechtspopulisten und ihre aktivistischen Agraranhänger lernen, dass man mit lauten Forderungen und strammer Lobbypolitik noch eine Zeitlang das alte Geschäftsmodell der Industrialisierung/Export verlängern und es als Versorgungssicherheit verkaufen kann. Aber ab einem bestimmten Zeitpunkt ist die Schraube überdreht. In unserem Nachbarland scheint man an der Grenze angekommen zu sein. Der Rückbau ist schwierig und kostet. Schon macht die Forderung nach De-Industrialisierung die Runde. Aber keiner weiß, was das bedeutet.

Landwirtschaftsministerin Femke Marije Wiersma sorgt für Frust bei ihren eigenen Anhängern. Fotos: Martijn Beekmann/Governemnt of the Netherlands; Elsemargriet/Pixabay