Marktbeobachtungen von Hugo Gödde +++ Auch drei Monate nach der Parlamentswahl haben die Niederlande noch keine neue Regierung. Der Rechtspopulist Geert Wilders, mit Abstand der Wahlsieger und mit der größten Fraktion, konnte bis heute keine regierungsfähige Koalition zustande bringen. Die Gespräche mussten (vorerst) abgebrochen werden. Auch die BürgerBauernBewegung (BBB), die im letzten Jahr bei Regionalwahlen noch ganz vorn lag und jetzt bei der Wahl 5% und 7 Abgeordnete gewonnen hat, wollte an einer Koalition unter Wilders mitwirken - trotz dessen populistischer, europakritischer und ausländerfeindlicher Grundhaltung. Die BBB hoffte, das Agrarministerium übernehmen zu können, auch wenn sie der kleinste der Koalitionspartner wären, „um die schlimmsten Regelungen für die Landwirte zu verhindern“. Nun ist erst einmal alles auf Eis gelegt. Aber der Abbruch der Verhandlungen schadet den Rechtspopulisten offensichtlich nicht. Bei einer möglichen Neuwahl würden sie nach aktuellen Umfragen noch zulegen.
Neue Regierung – alte Probleme
Dem derzeitigen Agrarminister Piet Adema von der calvinistischen Kleinpartei „ChristenUnie“ ist schon klar, dass seine Zeit als Minister gezählt ist und es unter Wilders „definitiv einen Wechsel der niederländischen Politik, auch der Agrarpolitik“ geben würde, wie er in einem Interview des Tagesspiegel erklärte. Aber er weiß auch, dass sich eine neue Regierung denselben Problemen stellen muss, allen voran dem Klimawandel, der Stickstoffkrise und der Frage der Ernährungssicherheit. Nun ist in unserem Nachbarland die Unterversorgung nicht das Thema der Landwirtschaft. Schließlich ist die Niederlande mit ca. 105 Mrd. Euro nach den USA der zweitgrößte Agrarexporteur der Welt. Die Selbstversorgung steht bei Milch bei 170%, bei Schweinefleisch über 300%. Auch bei Rindfleisch liegt sie im EU-weiten Export weit vorn, von Gemüse ganz zu schweigen. Traditionell ist Deutschland der bedeutendste Abnehmer mit etwa 25%.
Aber diese hohen Produktionsanteile in dem bevölkerungsreichen Land führen seit längerem zu Folgeschäden. „Wir müssen vor allen Dingen den Klimafußabdruck der Landwirtschaft reduzieren. In den Niederlanden sprechen wir da von vier Megatonnen Kohlenstoff“, so Adema. Es ist zu viel Stickstoff vor allem in der Luft. Lange Zeit hat die Regierung versucht, das Problem auszusitzen. Seit 2019 hat das oberste Gericht aber klare Maßnahmen angemahnt. Seitdem haben sich die Beschlüsse der Regierung verschärft und auch die Landwirte in die Pflicht genommen. Zunächst hat man es noch mit freiwilligen Maßnahmen versucht, zumal auch die Landwirte mit drastischen Aktionen (Treckerdemonstrationen, Blockaden) gegenhielten und bei der Bevölkerung Unterstützung fanden.
Die Regierung sucht noch nach geeigneten Maßnahmen. Adema: „Das geht zum einen über technische Innovationen, die Emissionen verringern. Oder Managementanpassungen, etwa über Futtermittel in der Rinderhaltung. Doch es müssen auch die Viehbestände runtergehen. Beispielsweise um rund 20 Prozent bei den Rindern.“ Doch viele Landwirte sehen nicht ein, dass der Agrarbereich der Hauptschuldige für die hohen Stickstoffwerte sein soll. Der Verkehr, die Industrie oder der Gebäudebau würden mehr dazu beitragen. Alles übertrieben und der Nutzen nicht wissenschaftlich belegt und es würde doch schon überall an den CO2-Minderungen gearbeitet, meint Landwirt A. Jaspers. Aber den „grünen Ideologen“ gehe es nicht schnell genug. Auch Adema glaubt, dass die meisten Landwirte die Maßnahmen akzeptieren, „solange sie noch einen angemessenen Lebensunterhalt verdienen können.“
Programm „Spitzenlast bewältigen“
Mit dem Programm „Aanpak Piekbelasting“ (Spitzenlast bewältigen) sollen die größten landwirtschaftlichen Emittenten in der Nähe von Naturschutzgebieten „vom Markt genommen werden“ – Kosten ca. 1,5 Mrd.Euro. „Ziel ist es, die Stickstoffemissionen zu verringern und unsere natürliche Umwelt wiederherzustellen.“ Es soll so viel Geld gezahlt werden, dass die Viehhalter freiwillig ausscheiden. Dafür dürfen sie danach niemals wieder Landwirtschaft betreiben. „Ein anderer Ansatz betrifft Landwirte, die sehr intensiv wirtschaften, aber auf extensivere Methoden umsteigen wollen – zum Beispiel auf Öko-Landbau.“ Dafür will man eine Werbe-Kampagne für Bioprodukte anschieben, um das Verbraucherwissen über Bioanbau zu erhöhen. „Anschließend soll der Markt seine Arbeit machen“, wünscht sich der Minister.
Die Regierung hat als Ziel 25% Agrarflächen für Bio bis 2030 ausgegeben. Zurzeit liegt der Wert bei 4,5%. Die meisten Landwirte misstrauen solchen Plänen und schütteln den Kopf – zumal die verfügbare Fläche für die Betriebe fehlt, wie Adema zugesteht. Seine Lösung: 25 bis 30 Prozent der Landwirte möchten aufhören, weil sie keinen Nachfolger haben. Diese frei werdenden Flächen könnten extensivere Landwirte erwerben und dadurch “den Umstieg auf Bio machen.“
Bisher hat die „Exit-Strategie“ zu wenig gebracht, weil die Bauern kein Vertrauen haben und die finanziellen Anreize zu niedrig waren. Fast 1300 Nutztierhalter haben sich dafür angemeldet, aber nur 50 Landwirte einen Vertrag unterzeichnet. Da setzen die Tierhalter lieber auf eine neue Regierung, die sie von dem gesamten „Öko-Gedöns“ befreit.
Große Risiken für den Agrarhaushalt
Der verbreitete Weg, die Krise des Klimawandels und der Umweltbelastung durch das finanzielle Füllhorn wegzuschaffen, könnte sich aber als Bumerang erweisen. In einem Schreiben an die Regierung hat Jan-Kees Goet, Generalsekretär des Agrarministeriums, die finanziellen Risiken auf 10 bis 15 Mrd. Euro beziffert. Das Worst-Case-Szenario würde eintreten, wenn z.B. Greenpeace in einem Zivilverfahren den Staat zwingen würde, die Nitratbelastung kurzfristig drastisch zu reduzieren, wie es eigentlich das Gerichtsurteil von 2019 aussage. Dann wäre eine Zwangssanierung der Tierproduktion und eine Entschädigung der Landwirte fällig. Hintergrund sind bereits anhängige Klagen von Landwirten, die nach dem alten Stickstoffrecht vor 2019 ohne Genehmigung gebaut hätten. Das oberste Gericht hat diese damaligen Vorgaben für Unrecht erklärt, so dass ca. 2000 Ställe illegal gebaut wurden. Außerdem will die Regierung bis 2040 Investitionen in tiergerechte Haltungsformen mit ca. 3 Mrd. Euro finanzieren.
Zudem seien, so Goet, Belastungen durch internationale Biodiversitätsverpflichtungen und für ein Nitrat-Aktionsprogramm ab 2026 zu kalkulieren. Ferner fürchtet er mögliche Gerichtsverfahren, wenn der Staat Nachbarn von Viehbetrieben vor Geruchsbelästigung schützen müsste, wenn diese eine Baugenehmigung vorweisen können. Auch hier sind bereits Berufungsverfahren am Gericht in Den Haag.
Güllekosten verdoppeln sich
Dabei haben Tierhalter auch im normalen Produktionsablauf schon genug Sorgen. Nach Aussagen des Direktors des Zentrums der Güllebewertung (NCM), Jan Roefs, könnten sich die Kosten der Gülleentsorgung in den nächsten zwei Jahren von 20 bis 25 Euro je Tonne auf 40 bis 50 Euro verdoppeln, da sich der Gülleüberschuss in dieser Zeit verfünffachen werde. Die Verschärfung der Auflagen für Wasserreinhaltung ab 2024, so analysieren Experten, würden den Düngemittelmarkt lahmlegen. Außerdem laufe die Ausnahmeregelung aus, die es den Holländern bisher erlaubte, mehr Gülle auszubringen als anderen EU-Mitgliedern. So müssen nun Pufferstreifen entlang der Gräben angelegt werden, die nicht gedüngt werden dürfen. Zuletzt habe das Ministerium die „kontaminierten“ Güllezonen von 40% auf 50% ausgeweitet.
Bisher produzierten die holländische Tiere 15 Mio. kg mehr Stickstoff durch Mist und Gülle als im Inland verbraucht wurde. Dieser Überschuss konnte noch exportiert werden. Ab 2026 rechnet der NCM wegen der Regelungen mit 79 Mio. kg Überschuss, also dem Fünffachen. Roelfs erwartet einen geringeren Düngeeinsatz und weniger Tiermist, d.h. weniger Tiere. Aber selbst die Tierreduktion um 30%, die die Umweltverträglichkeitsbehörde fordert, könne das Stickstoffproblem kaum lösen. Innovationen bei Futtermittelprodukten, bei Güllevergärung und technische Lösungen bei Stallbauten und Anderes bleiben wichtig, aber ob sie ausreichen, wie manche Agrarorganisationen lautstark verkünden, erscheint zweifelhaft.
Dem Marktbeobachter fehlt die Vorstellung, wie man die Stickstoff- und anderen Probleme lösen will, ohne die Tierhalter in ihrem Unternehmerrecht zu beschneiden. Technologieoffenheit, Freiwilligkeit und Vergabe von Produktionsrechten wie bisher können einiges bewirken und sind wichtig. Aber zu befürchten ist, dass das Problem zu groß ist, zu lange vernachlässigt wurde und nun mit Macht zurückschlägt. Staatliche Maßnahmen, Gesetze, Verordnungen einschließlich Förderung bedrohen als Folge die landwirtschaftliche Tätigkeit. Die Agrarbranche wehrt sich massiv gegen die „Verbürokratisierung“. Aber die Probleme werden kaum „wegregiert“ durch eine neue Regierung, wie manche Treckeraktivisten oder Rechtspopulisten glauben.
Nebenbei: Das hat in Deutschland die Borchert-Kommission klug erkannt. Wenn man nicht offensiv, rechtzeitig und mitbeteiligt die Dinge angeht, werden Gerichte und Ordnungsrecht die Entscheidungen vorgeben, war ein wichtiger Ansatz. Man kann es in den Niederlanden studieren.