Damit hat das Bundesministerium (BMEL) sicherlich nicht gerechnet. Ende März hat es seine Vorstellungen zur Tierhaltungskennzeichnung für Mastschweine vorgestellt (die Bauernstimme berichtete) – und breite und heftige Kritik geerntet. Die Orientierung der Kennzeichnung an den Stufen in der Eierkennzeichnung hat in der breiten Landwirtschaft, aber auch in der Industrie und im Handel Unverständnis bis Ablehnung hervorgerufen.
Tatsächlich überrascht das deutliche Abweichen von den Ergebnissen des Kompetenznetzwerkes Tierhaltung („Borchert- Kommission“) die gesamte Branche. Die Kommission hatte nach langen und intensiven Diskussionen Empfehlungen vorgelegt, die von der gesamten Teilnehmerschaft von Landwirtschaft, Industrie bis zu Umwelt- und Tierschutzverbänden einvernehmlich getragen wurden. Damit war ein langer und tiefgehender „Tierschutzkrieg“ eingehegt – trotz Unterschieden in Einzelfragen. Auch der Bundestag und Bundesrat hatten den Empfehlungen der Kommission politisch zugestimmt und die Länder- Agrarministerkonferenz noch am 1. April 2022 die Umsetzung durch die Bundesregierung angemahnt.
Kern der staatlichen Kennzeichnung
Nach aktuellem Stand beabsichtigt das BMEL eine verpflichtende staatliche Haltungskennzeichnung zunächst für Frischfleisch und verpacktes Fleisch von Schweinen ab der Mastphase in vier Stufen: 0= Bio; 1= Auslauf; 2 = Außenklima; 3 = Stallhaltung. Handelsunternehmen und Gastronomie sollen zur Kennzeichnung verpflichtet werden.
Positiv ist zunächst einmal zu bewerten, dass im Unterschied zu vielen bisherigen Vorschlägen diese Kennzeichnung verpflichtend und nicht freiwillig gehandhabt werden soll. Nachvollziehbar ist auch noch, dass man zunächst mit Schweinefleisch in der erzeugungs- und marktgerechten Umsetzung beginnen will.
Breite Kritik und Ablehnung
Damit ist aber schon das wohlwollende Verständnis am Ende. Die vielfältige Kritik reicht von den Tier- und Umweltschutzverbänden bis zu nahezu allen Bauernverbänden von DBV, Raiffeisenverband, ISN bis zur AbL und auch in die Fleischindustrie und den LEH. Einzig die Bioverbände befürworten das Kennzeichnungssystem, so dass Beobachter schon unken, ob sich das Ministerium zur Bio-Lobby instrumentalisieren lasse.
Der Inhalt der Ablehnung ist vielfältig und umfangreich, lässt sich aber zusammenfassen auf wesentliche Elemente des Systems:
Wie weiter mit der Zusammenarbeit?
Zwar hat das Ministerium zugesichert, weitere Bereiche wie Sauenhaltung oder andere Tierarten folgen zu lassen, doch das Misstrauen der Verzögerung ist bei allem Verständnis für die Probleme in der Koalition (FDP) unüberhörbar. Alle Verbände mahnen die Zusammenarbeit mit der Borchert-Kommission an, deren Auftrag im April ausläuft. Sie soll zwar laut Minister Özdemir irgendwie weiterarbeiten, hat aber bisher keinen konkreten Auftrag, damit deren Ergebnisse auch maßgeblich in das Regierungshandeln einfließen können. „Wir wollen nicht für die Galerie arbeiten, wenn das Ministerium doch macht, was es will“ wie es ein Beteiligter ausdrückte. Die Glaubwürdigkeit der Zusammenarbeit der Regierung mit der Zivilgesellschaft steht auf dem Spiel.
Inwieweit die geballte Kritik der Verbände die Meinung des Ministeriums beeinflussen kann, wird die nächste Zeit zeigen. Das politische Unverständnis bleibt, warum man die auf breite Zustimmung gestoßenen Vorgaben der Borchert-Kommission nicht umsetzt bzw. weiterverfolgt. Oder wie es AbL- Vorsitzender Martin Schulz ausdrückte: „Wir haben den Ball auf den Elfmeterpunkt gelegt und das Ministerium geht zur Eckfahne.“
Hugo Gödde