Gen-Schere verursacht Chaos im Erbgut von Tomaten

Zum ersten Mal wurden chromothripsisartige Effekte bei Tomaten nachgewiesen, deren Erbgut mit CRISPR/Cas verändert wurde. Mit Chromothripsis wird ein Phänomen bezeichnet, bei dem sich in einem ‚katastrophischen’ Ereignis oft Hunderte genetische Veränderungen auf einmal ereignen. Dabei können Abschnitte des Erbguts vertauscht, verdreht, neu kombiniert werden oder auch ganz verloren gehen. Eine Konsequenz: Aus Verfahren der Neuen Gentechnik resultierende Pflanzen können nicht per se als „sicher“ betrachtet werden und es muss, anders als aktuell von der EU-Kommission vorgesehen, eine Risikoprüfung erfolgen. Das teilt das Institut für unabhängige Folgenabschätzung in der Biotechnologie Testbiotech mit.

Bei Zellen von Säugetieren (und Menschen) ist ‚CRISPRthripsis‘, wie das Phänomen auch genannt wird, laut Testbiotech schon länger bekannt. Jetzt wurden diese Effekte auch beim Einsatz der Gen-Schere bei Pflanzen nachgewiesen. Eine aktuelle Publikation wurde schon während des Peer-Review-Prozesses veröffentlicht. Nach den vorliegenden Ergebnissen führt der Einsatz der Gen-Schere wesentlich häufiger zu ungewollten genetischen Veränderungen, als bisher angenommen. Große Teile des Erbguts können betroffen sein.

Insbesondere dann, wenn die Gen-Schere CRISPR/Cas an der Schnittstelle beide DNA-Stränge durchtrennt, können deren Enden ihre räumliche Nähe zueinander verlieren. Misslingt die Reparatur der Schnittstelle, kann sich das abgetrennte Ende umstrukturieren, an einer anderen Stelle im Erbgut eingebaut werden oder auch ganz verloren gehen. Chromothripsis scheint bei Pflanzen ansonsten eher selten aufzutreten. Durch den Einsatz der Gen-Schere können auch Orte im Erbgut häufiger betroffen sein, die ansonsten durch natürliche Reparaturmechanismen geschützt sind. Die Risiken können nicht pauschal vorhergesagt werden, sondern müssen im Einzelfall untersucht werden.

Die jetzt vorliegenden Ergebnisse werfen ein neues Licht auf die angebliche Präzision der Gen-Scheren: Zwar können mit Hilfe der Neuen Gentechnik bestimmte Orte im Erbgut gezielt angesteuert werden, um es an dieser Stelle zu durchtrennen. Die Folgen dieser Schnitte sind jedoch wenig vorhersagbar und nicht kontrollierbar. In der Konsequenz können die aus den Verfahren der Neuen Gentechnik (NGT) resultierenden Pflanzen nicht per se als ‚sicher‘ angesehen werden, sondern müssen eingehend auf Risiken geprüft werden.

Ohne genaue Genomanalysen kann Chromothripsis leicht übersehen werden. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass diese Effekte bspw. auch bei NGT-Pflanzen aufgetreten sind, die in den USA bereits dereguliert wurden.

Auch in Europa könnten Pflanzen mit derartigen Gendefekten bald auf den Markt kommen: laut Dokumenten der EU-Kommission, die letzte Woche ‚geleaked‘ wurden, soll zukünftig in vielen Fällen schon eine Notifizierung ausreichen, um NGT-Pflanzen freizusetzen und entsprechende Produkte zu vermarkten. Dabei wäre es, ähnlich wie in den USA, nicht vorgeschrieben, unbeabsichtigte genetische Veränderungen wie die Chromothripsis zu untersuchen. Diese neue Regulierung würde nicht nur landwirtschaftlich genutzte Ackerpflanzen, sondern auch Wildpflanzen umfassen. Testbiotech warnt davor, dass die geplante Deregulierung und die massenhafte Freisetzung von NGT-Organismen die Lebensgrundlagen künftiger Generationen gefährden kann.

21.06.2023
Von: FebL/PM

Zum ersten Mal wurden chromothripsisartige Effekte bei Tomaten nachgewiesen. Bildquelle: Testbiotech