Der Einsatz der Gentechnik in der Landwirtschaft bedarf einer umfassenden Technikfolgenabschätzung

Die versprochenen Vorteile und hohen Erwartungen, die der Einsatz von transgenen Pflanzen in der Landwirtschaft vor rund 30 Jahren geweckt hatte, wurden bisher nicht oder nur teilweise erfüllt. Doch gibt es bisher kaum systematische und unabhängige Untersuchungen, um die tatsächlichen Auswirkungen auf die Landwirtschaft objektiv zu bewerten. Das ist das Ergebnis eines Berichts des Instituts für unabhängige Folgenabschätzung in der Biotechnologie Testbiotech, der jetzt auf einer gemeinsamen Veranstaltung der Fraktionen der Grünen/EFA, der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten (S&D) und der Linken im EU-Parlament in Brüssel unter anderem vor dem Hintergrund vorgestellt wurde, dass die EU-Kommission für den 7. Juni dieses Jahres einen Verordnungsvorschlag angekündigt hat, der den Umgang mit neuen genomische Verfahren regeln soll, zu denen unter anderem neue gentechnische Verfahren wie CRISPRCas gehören.

Laut dem Bericht wurden in Bezug auf die Risiken zwar von verschiedenen Behörden Risikobewertungen einzelner gentechnisch veränderter Pflanzen (‚Events‘) vorgenommen. Doch weder kombinatorische Wirkungen noch kumulative Effekte oder Wechselwirkungen der Gentechnik-Pflanzen untereinander wurden bisher eingehend geprüft. Damit werden systemische Effekte auf die Umwelt und die Sicherheit von Nahrungsmitteln nicht ausreichend erfasst. Vorliegende Publikationen zeigen laut dem Bericht aber, dass insbesondere Wechselwirkungen zwischen den gentechnisch veränderten Pflanzen, beziehungsweise deren Eigenschaften, dazu führen können, dass die Agro-Ökosysteme weiter destabilisiert werden, z.B. durch die beschleunigte Ausbreitung bestimmter ‚Schädlinge‘.

Zudem kommt es in mehreren Regionen bereits zu einer unkontrollierten Ausbreitung transgener Pflanzen u.a. in wilden Populationen, so der Bericht. Davon betroffen sind auch Länder ohne Gentechnik-Anbau und in manchen Fällen auch Zentren der biologischen Vielfalt. Dabei kommt es bei den spontanen Kreuzungen mit transgenen Pflanzen auch zu ‚next generation effects‘, d.h. bei den Nachkommen transgener Pflanzen werden Eigenschaften beobachtet, die bei der ursprünglichen Risikobewertung unbekannt waren. Es gibt weitere problematische Auswirkungen auf die Landwirtschaft, die zwar oft diskutiert werden, aber bisher auf der Ebene der Politik nicht gelöst wurden. Dazu gehören Patente auf gentechnisch verändertes Saatgut, die im Bereich der Pflanzenzüchtung zu einer starken Unternehmenskonzentration geführt haben. Dadurch konnte eine Handvoll global agierender Großkonzerne ihre dominante Marktposition ausbauen. Infolgedessen beeinflussen diese Konzerne in vielen Regionen der Welt die Anbaupraxis auf den Feldern. Dabei nehmen sie oft wenig Rücksicht auf die tatsächlichen Probleme in der Landwirtschaft, sondern lassen sich ehervon ihren Gewinnerwartungen leiten. Ein anderes bisher ungelöstes Problem, insbesondere in Ländern mit großflächigem Anbau transgener Pflanzen, ist die Koexistenz mit den gentechnikfreien, traditionellen oder ökologischen Produktionssystemen.

Um solche negativen Auswirkungen bei einer möglichen Einführung von Pflanzen aus Neuer Gentechnik (NGT) zu vermeiden, sollten die bisherigen Zulassungsverfahren durch eine umfassende Technikfolgenabschätzung (TA) ergänzt werden, folgert der Bericht. Ziel der TA soll es sein, potenzielle Vor- und Nachteile von NGT-Anwendungen – einschließlich der ökologischen und sozio-ökonomischen Gesamtauswirkungen – in ihrer Gesamtheit zu untersuchen. So sollen überhöhte Erwartungen kritisch überprüft, potenziell negativen Auswirkungen auf die Ökosysteme vorgebeugt und der Eingriff in den Naturhaushalt und die Umwelt möglichst in Grenzen gehalten werden.

Der Einsatz der Neuen Gentechnik wird oft damit begründet, dass angesichts des Klimawandels neue Lösungen benötigt werden, um die Welternährung zu sichern. Doch neue Lösungen können nicht als nachhaltig gelten, wenn ihr Einsatz dazu führen kann, dass die Ökosysteme durch massenhafte Freisetzungen nicht angepasster Organismen überlastet werden, Risiken unbemerkt in Lebensmitteln akkumulieren, Züchtung durch Patente behindert wird und die Interessen der VerbraucherInnen missachtet werden. Die Konzepte von Natur- und Umweltschutz basieren zu großen Teilen auf dem Prinzip der Vermeidung von Eingriffen. Diese müssen auch im Bereich der Gentechnik zur Anwendung kommen. Die Einführung der Technikfolgenabschätzung in die Gentechnikregulierung kann dazu beitragen, die Art und die Anzahl von möglichen Freisetzungen gentechnisch veränderter Organismen wirksam zu kontrollieren und zu begrenzen.

Häusling: Umweltverträglichkeitsprüfung und eine umfassende Folgenabschätzung unbedingt erforderlich

Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen, Mitglied im Umwelt- und Gesundheitsausschuss des Europäischen Parlaments und Organisator der Veranstaltung erklärt anlässlich der Vorstellung des Berichts: „Die Versprechen der Pestizidreduktion oder der besseren Klimaresilienz sind bisher nirgendwo wissenschaftlich nachweisbar eingelöst worden! Eine Co-Existenz von bäuerlichen Betrieben, die gentechnisch-verändertes Saatgut einsetzen und denen, die dieses nicht tun wollen, gibt es in der Praxis nicht. Wahlfreiheit beim Einsatz von Gentechnik kann nicht garantiert werden. Dies würde das Wachstum des Ökolandbaus massiv gefährden.“ Der Ökolandbau, den die EU-Kommission auf 25% bringen will, sei per Definition gentechnikfrei - und wolle es auch bleiben. „Eine Deregulierung des EU-Gentechnikrechts ist deshalb grob fahrlässig. Auch die sog. Neue Gentechnik muss dem geltenden Recht unterstellt bleiben, so gebietet es das Europäische Vorsorgeprinzip, wenn man es ernst nimmt“, so Häusling.

Klimaresilienz lasse sich nicht durch gentechnische Manipulation erzwingen. Trocken- und Nässetoleranz gebe es nicht per Genschere. „Was wir dringend ändern müssen, sind unsere Anbausysteme, nicht einzelne Pflanzen: Weg von den Monokulturen, hin zu mehr Fruchtfolgen und Biodiversität mit einem effizienten Zusammenspiel von Pflanze und Bodenorganismen. Ich begrüße es deshalb sehr, dass auf Initiative Österreichs der EU-Umweltrat sich letzte Woche zum Deregulierungsvorschlag der EU-Kommission ausgetauscht hat und das Thema weiter intensiv bearbeiten will. Eine Umweltverträglichkeitsprüfung und eine umfassende Folgenabschätzung halte ich für unbedingt erforderlich. Auch Testbiotech betont in seiner heute veröffentlichten Publikation, dass dem Einsatz der Gentechnik in der Landwirtschaft eine umfassende Technikfolgenabschätzung vorausgehen muss“, erklärt Häusling.

29.03.2023
Von: FebL/PM

Der Einsatz der Gentechnik in der Landwirtschaft bedarf einer umfassenden Technikfolgenabschätzung. Bildquelle: Testbiotech