Der Umwelt- und Gesundheitsausschuss des Europäischen Parlaments hat mit 47 zu 31 Stimmen bei 4 Enthaltungen gegen die bisherige bewährte Gentechnik-Regulierung, gegen Kennzeichnung, Risikoprüfung und Koexistenzregeln für die meisten neuen Gentechnik-Pflanzen votiert. „Katastrophal“ nennt das der grüne EU-Abgeordnete Martin Häusling. Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) und Testbiotech fordern das EU-Parlament auf, gegen diesen Beschluss zu stimmen. Und Bioland fordert alle EU-Parlamentarier dazu auf, sich dafür einzusetzen, dass die Parlamentsabstimmung erst dann stattfindet, wenn grundlegende Fragen zu Koexistenz und Patenten geklärt sind und die für Anfang Februar geplante Abstimmung im Parlament dementsprechend zu verschieben.
Zum Beschluss des EU-Umweltausschusses erklärt die Gentechnik-Expertin derAbL Annemarie Volling: „Aktuell wird versucht, schnell eine Positionierung des Europaparlaments durchzudrücken – ohne Beteiligung der Öffentlichkeit. Das lehnen wir ab, denn es geht um die Zukunft unserer Lebensmittelerzeugung und unserer Entscheidungsfreiheit auch weiterhin gentechnikfreie Lebensmittel herstellen zu können – konventionell und ökologisch. Das Votum des Umweltausschusses des Parlaments will die bisherige bewährte Gentechnik-Regulierung für fast alle neuen Gentechnik-Pflanzen abschaffen. Wir fordern das EU-Parlament auf, bei der bevorstehenden Abstimmung gegen diesen Gesetzesvorschlag zu stimmen und sich stattdessen für Wahlfreiheit und Schutz der gentechnikfreien Erzeugung und Züchtung in Europa einzusetzen.“
Häusling: Mittlere Katastrophe
Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament und Mitglied des Umwelt- und Gesundheitsausschusses sowie zuständiger Verhandlungsführer für die Grünen/EFA im Umweltausschuss, kommentiert: „Das Ergebnis ist eine mittlere Katastrophe für Umwelt und Verbraucherschutz. Wenn bei der Plenarabstimmung in zwei Wochen das Ergebnis genauso aussehen wird, sehe ich schwarz für einen regulierten Umgang mit der Neuen Gentechnik in der Landwirtschaft.
Die Position der Mehrheit der Abgeordneten im Ausschuss ist aus seiner Sicht „unangemessen und fahrlässig“. Diese Abgeordneten „lassen damit die Risikoprüfung für diese Sorten, sowie die Kennzeichnung von Pflanzen und Lebensmitteln, die mit Neuer Gentechnik erzeugt wurden, unter den Tisch fallen. Eine Nachverfolgbarkeit dieser Pflanzen wird unmöglich sein“.
Der gentechnikfreie Anbau - insbesondere der Ökolandbau - werde mit dieser Position mit Füßen getreten. „Zwar soll der Einsatz von NGTs im Ökolandbau weiter verboten bleiben, doch wie damit umzugehen ist, wenn es zu Verunreinigungen von Biofeldern und -ware mit Gentechnik kommt, steht in den Sternen. Nach aktuellem Stand der Dinge gäbe es keinerlei Entschädigung für Landwirte und Verarbeiter, die Einkommenseinbußen durch verunreinigte Waren hinnehmen müssen. Lediglich Koexistenz-Maßnahmen, wie Abstandsregelungen, sollen die einzelnen EU-Mitgliedsländer individuell erlassen können“, so Häusling.
Die Position ignoriere auch komplett die Verbraucherrechte. „Die Menschen in Europa wollen keine Gentechnik in ihrem Essen, und es ist ihnen wichtig, zu wissen, was sie essen. Eine freie Konsumentscheidung wird mit dieser Position aber nicht möglich sein.“
Auch wenn es anders kolportiert werde: „die Patentfrage ist mit dem heute abgestimmten Text keinesfalls gelöst - der Text ist eine bloße Positionierung, die, wenn auch gut, rechtlich nicht bindend ist. Eine Änderung des Europäischen Patentabkommens liegt außerhalb des Einflusses der EU“, erklärt Häsuling.
Auch die wissenschaftlichen Grundlagen, die zur Verharmlosung der Gentechnikpflanzen zugrunde gelegt wurden, seien höchst fragwürdig, wie mehrere jüngste Gutachten ausführten. Auch das Vorsorgeprinzip werde ignoriert.
Die Abstimmung im Umweltausschuss darf nach Absicht von Häusling nicht das Ende dieses traurigen Kapitels sein. „Voraussichtlich am 7. Februar wird sich das Plenum des Europäischen Parlaments zu dem Text positionieren. Dann kann und muss die heutige Abstimmung korrigiert werden“, so der Abgeordnete abschließend.
Bioland: Patentfrage weiter unbeantwortet
„Die heutige Abstimmung im Umweltausschuss des Europäischen Parlaments zeigt: viele Fragen sind noch ungelöst: zu Risiken, Patenten und dem Recht von Landwirten und Verbrauchern, die weiterhin keine Gentechnik wollen. Anstatt jetzt eine überstürzte Abstimmung EU-Parlament abzuhalten, sollten die Abgeordneten sich lieber etwas Zeit nehmen und darüber diskutieren, wie Landwirte, Verbraucher und die Umwelt vor den Risiken, die mit der Neuen Gentechnik verknüpft sind, geschützt werden können“, kommentiert Bioland-Vizepräsidentin Sabine Kabath.
„Patente auf Pflanzeneigenschaften bedrohen das europäische Innovationsmodell in der Züchtung, denn solche Eigenschaften, wie etwa Resistenzen gegen Schädlinge, werden auch durch konventionelle Züchtung erzielt. Dass sie künftig patentiert werden könnten, ist schlicht ungerecht und führt zu großen Abhängigkeiten von den Patentinhabern. Das Patentrecht in der jetzigen Form schützt Landwirte und Züchter davor nicht – was sie schützt, sind einzig Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung, die bislang für alle Arten von Gentechnik gelten und nun für bestimmte Arten abgeschafft werden sollen. Wie wollen die EU-Abgeordneten das den europäischen Landwirten erklären?“, fragt die Bioland-Vizepräsidentin.
Bioland begrüßt, dass eine Mehrheit der Europaabgeordneten aller Fraktionen dafür gestimmt hat, das Verbot von Gentechnik aller Art in der ökologischen Produktion beizubehalten. „Woran es aber weiterhin fehlt, sind Koexistenzmaßnahmen, die über die von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Mindesttransparenz von Neuer Gentechnik in Saatgutpartien hinausgehen“, so Kabath. Es sei wichtig, dass die Abgeordneten Änderungsanträge zum „freien Verkehr von NGTs“ abgelehnt haben, da dies zeige: eine klare Rechtsgrundlage, die es den Mitgliedstaaten erlaubt, Koexistenzmaßnahmen zu ergreifen, um die Integrität der ökologischen und konventionellen GVO-freien Produktion zu schützen, ist möglich.
„Schnellschüsse müssen unbedingt vermieden werden, dafür ist das Thema viel zu heikel. Denn Gentechnik, egal ob alt oder neu, ist, einmal freigesetzt, nicht rückholbar“, betont Kabath. „Wir fordern aller EU-Parlamentarier dazu auf, sich dafür einzusetzen, dass die Parlamentsabstimmung erst dann stattfindet, wenn grundlegende Fragen zu Koexistenz und Patenten geklärt sind!“
Testbiotech: Desaströse Auswirkungen
Laut dem Beschluss des Ausschusses, dem eine massive Lobbykampagne der Industrie und mit ihr verbündeter Akteure, die von der EU-Kommission unterstützt wurde, vorausgegangen war, können gentechnisch veränderte Pflanzen mit völlig neuen Eigenschaften in die Umwelt entlassen und zur Gewinnung von Lebensmitteln verwendet werden, ohne vorher ausreichend auf Risiken untersucht zu werden. Betroffen wären sogar Bäume und Sträucher, Gräser und andere Wildpflanzen, da der Vorschlag zur Deregulierung nicht nur auf Ackerpflanzen beschränkt ist. Die Auswirkungen auf die Ökosysteme und die biologische Vielfalt könnten nach Ansicht von Testbiotech desaströs sein.
Allerdings hat der Ausschuss laut Testbiotech auch einige Hürden für eine unkontrollierte Markteinführung von NGT-Pflanzen verankert: So werden umfassende molekulargenetische Daten verlangt, bevor eine Pflanze als sicher erklärt werden kann. Droht eine unkontrollierte Ausbreitung, sollen die Anträge auf Einführung von NGT-Pflanzen mit größter Vorsicht behandelt werden. Doch es scheint fraglich, welche Wirkung diese Änderungen tatsächlich entfalten werden.
Stimmt das Plenum des EU-Parlaments den Vorschlägen des Ausschusses zu, würden die Interessen von VerbraucherInnen und gentechnikfreien LebensmittelherstellerInnen erheblichen Schaden nehmen, da Kennzeichnung nicht mehr vorgeschrieben und eine Trennung der Produktionswege kaum mehr möglich wäre.
Auch für Testbiotech bleibt das Problem der Patentierung ungelöst. Mit dem Beschluss werde der falsche Eindruck erweckt, dass die EU Patente auf NGT-Pflanzen verbieten könne. „An die Stelle von wirkungsvollem Handeln tritt so eine Symbolpolitik, die darauf abzielt, die Akzeptanz der Neuen Gentechnik zu steigern. In der Folge können sogar Patente auf konventionell gezüchtete Pflanzen erteilt werden“, so Testbiotech.
Nach dem EU-Parlament muss der EU-Ministerrat seine Position noch abstimmen. Sowohl im Parlament als auch im Ministerrat hat die Kritik an der geplanten Deregulierung zuletzt deutlich zugenommen.
Testbiotech warnt davor, alte Fehler zu wiederholen: 1998 hatte sich die Industrie mit Hilfe der EU-Kommission bei der Frage der Patentierung von Patenten auf Pflanzen und Saatgut durchgesetzt. Damit konnten gentechnisch veränderte Pflanzen in Europa erstmals patentiert werden. Vorangegangen war eine Kampagne der Industrie, die ExpertInnen und zivilgesellschaftliche Gruppen für ihre Zwecke instrumentalisiert hatte. Heute würden viele Abgeordnete diesen Fehler gerne korrigieren. Doch das erweist sich als kaum möglich. Auch die jetzt anstehende Entscheidung könnte für nachfolgende Generationen schwerwiegende und kaum korrigierbare Folgen haben. Testbiotech fordert das Plenum des EU-Parlaments deswegen dringend dazu auf, dem vorliegenden Text nicht zuzustimmen.