Unternehmen starten neue Initiative für Wahlfreiheit bei Gentechnik im Essen

Prominente Persönlichkeiten aus der deutschen Lebensmittelwirtschaft haben am 9. Januar eine neue Unternehmens-Initiative für den Erhalt von Kennzeichnung und Wahlfreiheit bei Gentechnik-Lebensmitteln gestartet. Bezugnehmend darauf erklärt der grüne EU-Agrabeordnete Martin Häusling, dass die Eile, mit der zurzeit auf EU-Ebene ein Vorschlag der EU-Kommission zur Herausnahme neuer gentechnischer Verfahren aus dem Gentechnikrecht abgehandelt wird, der Relevanz des Themas völlig unangemessen und grob fahrlässig ist.

Die Chef:innen der Unternehmen Alb-Gold, Alnatura, Andechser, dm und Frosta appellieren in einem gemeinsamen offenen Brief an Manfred Weber, den Fraktionsvorsitzenden der EVP im Europaparlament und stellvertretenden Vorsitzenden der CSU, sich für den Erhalt von Kennzeichnung und Wahlfreiheit bei Gentechnik-Lebensmitteln einzusetzen. Bei der Vorstellung ihrer Initiative im Rahmen einer Pressekonferenz haben sie alle Unternehmen aus Lebensmittelherstellung und -handel in Deutschland dazu eingeladen, den offenen Brief mitzuzeichnen.

Schlüsselrolle der EVP-Fraktion

Den Anlass für die Initiative bilden die bevorstehenden intensiven Verhandlungen und Abstimmungen im Europaparlament zu der Frage, ob mit neuer Gentechnik hergestellte Lebensmittel in der EU künftig erkennbar bleiben. Dabei kommt den Abgeordneten von CDU/CSU und ihrer EVP-Fraktion im Europaparlament nach Ansicht der Initiative eine Schlüsselrolle zu. Sie wollen Produkte neuer Gentechnik noch stärker deregulieren als die EU-Kommission.

Der Verband Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG), der Ökoanbauverband Bioland, die Assoziation ökologischer Lebensmittelhersteller (AöL) und der Bundesverband Naturkost Naturwaren (BNN) unterstützen die Unternehmen bei ihrer Initiative für Wahlfreiheit bei Gentechnik im Essen.

Zum Start der Initiative erklärt Felix Ahlers, FRoSTA: „FRoSTA steht seit über 20 Jahren für maximale Transparenz. Jeder sollte nachvollziehen können, ob ein Lebensmittel mit oder ohne Gentechnik produziert wurde, um sich entsprechend entscheiden zu können. Nur dann können sich auch Lebensmittelhersteller und Landwirte differenzieren. Eine vom Gesetzgeber vorgegebene, transparente Deklaration auf der Verpackung wäre der richtige Weg.“

Die Wahlfreiheit und eine klare Kennzeichnung betont auch Kerstin Erbe, dm-Drogeriemarkt: „Bei dm ist es uns wichtig, dass uns Menschen weiterhin die freie Wahl überlassen bleibt, ob wir gentechnisch veränderte Nahrungsmittel produzieren und konsumieren wollen. Es geht um unsere Ernährung, um das, was wir unseren Körpern täglich zuführen. Auch wenn gentechnische Verfahren heute präziser sind als früher, verbleiben zu beachtende und zu bewältigende Risiken. Dafür brauchen wir eine klare Kennzeichnung als Entscheidungsgrundlage.“

„Eine weitgehende Deregulierung des Gentechnikrechts widerspricht den Grundsätzen einer ausbalancierten und verantwortungsvollen Politik, sowohl für die Verbraucherschaft als auch für die Natur“, erklärt Prof. Dr. Götz E. Rehn, Alnatura. Über 90 Prozent der Kundinnen und Kunden forderten eine umfassende Sicherheitsprüfung für gentechnisch veränderte Pflanzen und die verpflichtende Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebensmittel. „Die Anwendung von Gentechnik bei Lebensmitteln muss zwingend deklariert werden. Nur so ist beim Lebensmitteleinkauf ,Wahlfreiheit durch Transparenz‘ möglich. Die EVP will die neue Gentechnik sogar für Bio-Lebensmittel zulassen. Das ist zu Recht gemäß EU-Bio-Verordnung verboten und das lehnen wir konsequent ab“, so Rehn.

Jan Plagge, Bioland, fordert EVP zum Nachbessern auf: „Die Vorschläge der EVP-Berichterstatterin Jessica Polfjärd verhindern Koexistenz und Wahlfreiheit. In der Praxis kann ein Nebeneinander von Landwirtschaft mit und ohne Gentechnik nur funktionieren, wenn es auch für alle so genannten neuen gentechnischen Verfahren eine Kennzeichnungspflicht gibt – und zwar bis zum Endprodukt, dem Lebensmittel. Die aktuelle Position des EU-Agrarausschusses sieht allerdings gar keine Kennzeichnungspflicht mehr vor, nicht einmal für Saatgut, und auch keinerlei Koexistenzregeln für Anbauformen mit und ohne Gentechnik. Hier muss vor allem die EVP, also die CDU/CSU, ihrer Verantwortung gerecht werden und im EU-Parlament dringend nachbessern.“

Häusling: In den nächsten Tagen und Wochen auf allen Ebenen gegen Deregulierung vorgehen

„Die Eile mit der zurzeit auf EU-Ebene ein Vorschlag der EU-Kommission zur Herausnahme neuer gentechnischer Verfahren aus dem Gentechnikrecht abgehandelt wird ist der Relevanz des Themas völlig unangemessen und grob fahrlässig“, erklärt Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament, Mitglied im Umwelt- und Gesundheitsausschuss und Verhandlungsführer für die Grünen im Europäischen Parlament. „Am 24. November hat im Europäischen Parlament das erste Arbeitstreffen im Kreise des Verhandlungsteams stattgefunden, nächste Woche soll der Sack dann schon zugemacht werden und die Position am 24.1. zur Abstimmung gebracht werden im zuständigen Umweltausschuss. Knapp sieben Wochen - inklusive der Weihnachtspause - können dem Thema nicht gerecht werden, dafür ist es viel zu komplex, technisch und vielschichtig. Zudem geht die Berichterstatterin der EVP wenig bis gar nicht auf die Bedenken anderer Fraktionen ein“, so Häusling.

Auf dem Spiel steht für den grünen EU-Abgeordnetetn sehr viel. „Setzen sich die Hardliner durch, so werden in Zukunft mehr als 90 Prozent an Saatgut, Pflanzen und Erzeugnissen, die mit neuer Gentechnik erzeugt wurde, ohne Risikoprüfung, Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeitsmöglichkeit auf den Markt kommen. Damit würden die gentechnikfreie Landwirtschaft und der Handel torpediert, den Verbraucher:innen die Wahlfreiheit genommen, gentechnikfrei einzukaufen und zu konsumieren. Von den potentiellen Risiken auf Ökosysteme und Gesundheit ganz zu schweigen. Dass der Vorschlag gegen das Vorsorgeprinzip verstößt und rechtlich fragwürdig ist, haben verschiedene Gutachten dargestellt.“

„Treibende Kraft hinter dem Eiltempo ist die Europäische Volkspartei (EVP), die den Hut aufhat bei diesem Dossier und deren Schlüsselpersonen es gar nicht schnell genug gehen kann mit der Deregulierung der Neuen Gentechnik“, erklärt Häusling mit Verweis auf den offenen Brief der Unternehmen der Lebensmittelbranche an den EVP-Vorsitzenden Manfred Weber, in dem sie ihn auffordern, ihre Position zu revidieren.

„Auch im Agrarministerrat hat Spanien unter ihrer Ratspräsidentschaft gepusht und auch die Belgier, die jetzt den Vorsitz haben, haben das Thema als oberste Priorität auf der Agenda und es soll vor dem Ende der Legislaturperiode im Mai unter Dach und Fach sein. In den nächsten Tagen und Wochen gilt es also auf allen Ebenen gegen diese Deregulierung anzugehen“, so der EU-Abgeordnete.

Die Erstunterzeichner:innen des offenen Briefes sind:
- Felix Ahlers, Vorstandsvorsitzender, FRoSTA AG,
- Kerstin Erbe, Geschäftsführerin Ressort Produktmanagement, dm-drogerie markt GmbH + Co. KG,
- Irmgard Freidler, Geschäftsführerin, ALB-GOLD Teigwaren GmbH
- Prof. Dr. Götz E. Rehn, Gründer und Geschäftsführer, Alnatura Produktions- und Handels GmbH,
- Barbara Scheitz, Geschäftsführerin, Andechser Molkerei Scheitz GmbH.